Hausärztemangel: Neue Modelle sind nötig

Im Knonauer Amt müssen sich Bürgerinnen, Bürger sowie die Behörden auf alternative Lösungen einstellen

Eine Erhebung von 2018 prognostizierte einen deutlichen Rückgang an Hausarztpraxen im Knonauer Amt. Die aktuellen Praxen sind auf www.albisdocs.ch zu finden. (Grafik: Johannes Bartels / Zahlen: Bruno Köhler)

Eine Erhebung von 2018 prognostizierte einen deutlichen Rückgang an Hausarztpraxen im Knonauer Amt. Die aktuellen Praxen sind auf www.albisdocs.ch zu finden. (Grafik: Johannes Bartels / Zahlen: Bruno Köhler)

Will man sich in Haushaltspraxen im Knonauer Amt anmelden, bekommt man manchmal die Auskunft: «Wir können keine neuen Patientinnen und ­Patienten mehr aufnehmen.» Und nun? In akuten Fällen wählt man die Notfallstation des Spitals Affoltern oder eines anderen Spitals.

Laut einer Studie von SwissMedPreprints sollen innerhalb von einem Jahrzehnt 44 Prozent der derzeitigen Belegschaft von Generalisten verschwinden, hauptsächlich aufgrund von Pensionierung und Verringerung der Arbeitsbelastung. Um diese Lücke zu schliessen, müssen verschiedene Szenarien einbezogen und die Politik gefordert werden. Es gilt, attraktive Ausbildungs- und ­Arbeitsbedingungen zu schaffen, um den zukünftigen Bedarf an Gesundheitsdienstleistungen zu decken.

Veralteter Tarif berücksichtigt Ausgaben zu wenig

Die Obfelder Ärztin Eveline Breidenstein hat sich Gedanken gemacht, weshalb für Ärzte eine eigene Hausarztpraxis in der herkömmlichen Form wenig attraktiv ist: «Zu wenige Ärztinnen und Ärzte wurden in der Schweiz ausgebildet, weil die Hürde Numerus clausus zu hoch war, zwei Drittel der Personen, die ­Medizin studieren wollten, scheiterte.» Der Numerus clausus wurde offiziell im September 2024 abgeschafft. Nun ist es am Bundesrat, eine sinnvolle Alternative zu entwickeln.

«Seit die Qualitätssicherungsmassnahme zur qualitativen Zulassungsbeschränkung für Praxis-Ärzte seit 1.1.2022 in Kraft ist, die vorschreibt, dass Ärzte aus dem Ausland zuerst drei Jahre an einer Schweizer Weiterbildungsstelle gearbeitet haben mussten, bevor sie in ­einer Praxis angestellt oder selbstständig werden dürfen, kann die Schweiz nicht mehr so einfach ausgebildete Mediziner aus dem Ausland rekrutieren. Per Dringlichkeitsbeschluss hat das Parlament 2023 diese Zulassungsbeschränkung für Hausärztinnen, Pädiater und Kinder­psychiaterinnen ausgesetzt», so Eveline Breidenstein. «Das ist sehr zu begrüssen, denn leider haben in den letzten Jahren deutlich mehr Spezialärzte als Grundversorger in die Schweiz gewechselt.» Wenig motivierend für junge Ärztinnen und Ärzte, eine Hausarztpraxis zu eröffnen, sind die Tatsachen, dass die Eröffnung einer Praxis mit hohen ­Kosten und administrativen Hürden verbunden ist. «Junge Ärztinnen möchten einen adäquaten Lohn, wenn sie mit gut 30 Jahren endlich ins Berufsleben einsteigen können. Der jetzige Tarif berücksichtigt die Infrastrukturkosten von 1994 und entspricht weder heutigen Mieten noch Angestelltenlöhnen, noch den Lebenshaltungskosten 2024», ­erklärt Eveline Breidenstein. Zudem werden immer mehr medizintechnische Apparate benötigt, deren Anschaffung kostenintensiv ist.

Gemeinschaftspraxen oder Zentren als Lösungsansätze

Lösungen können Gemeinschaftspraxen oder Gesundheitszentren sein. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Erich Villiger hat Eveline Breidenstein in Obfelden ein Ärztehaus aufgebaut, wo neben Ärztinnen, Spezialisten und Therapeutinnen eine gemeinsame Infrastruktur und ­Administration genutzt werden können.

Auch Ronald Alder, Ottenbacher Gemeinde- und Kantonsrat, sieht diesen Ansatz als zielführend. «Es gilt, in neuen Modellen zu denken. Die Idee, dass jedes Dorf seinen Hausarzt hat, wird angesichts des Ärztemangels immer unrealistischer.» Er studierte Umwelthygiene, hat Erfahrung in der Pharmawelt und ist im Gesundheitsbereich tätig. Im ­Bezirk Affoltern arbeitet er zusammen mit dem Forum Gesundheit auf verschiedene Gesundheitszentren hin, die den umfassenden Ansprüchen der ­Bevölkerung gerecht werden können.

Er setzt sich für elektronische Patientendossiers EPD ein. Damit werden die Interventionen verschiedener medizinischer Fachpersonen transparent und administrative Arbeit – beispielsweise bei der Überweisung von Patienten – verringert sich. «Es kann nicht sein, dass langjährig ausgebildete Ärzte oder Pflegefachpersonen Dossiers abtippen!» Eine weitere Entlastung kann der Einsatz von Advanced Practice Nurses APN sein. Dazu führt Bruno Köhler, Hausarzt in Mettmentstetten, ein Pilotprojekt durch.

An der Schnittstelle zwischen Ärztinnen und Patienten

Eine Pflegeexpertin APN ist eine ­registrierte Pflegefachperson, die sich Expertenwissen, Fähigkeiten zur Entscheidungsfindung bei komplexen Sachverhalten und klinische Kompetenzen für eine erweiterte pflegerische Praxis angeeignet hat. Pflegeexperten APN sind fähig, in unterschiedlichsten Settings vertiefte und erweiterte Rollen zu übernehmen und diese in eigener Verantwortung im interprofessionellen Team auszufüllen. Und somit können sie die Hausärztinnen und Hausärzte entlasten. Andere Länder, insbesondere im angloamerikanischen Raum, haben längst positive Erfahrungen mit dem Einsatz von APN gesammelt.

Ronald Alder sieht die Verantwortung für die Lösung des Hausärztemangels auch bei der Politik und bei den Versicherungen, beispielsweise bei der Finanzierung von APN. Die starren ­Finanzierungsstrukturen verhindern innovative Modelle. Aber auch jede einzelne Person ist gefordert. «Das Gesundheitswesen in der Schweiz ist auf einem hohen Niveau», ist Ronald Alder überzeugt. Doch jeder kann dazu beitragen, dass die Kosten tief gehalten werden und sich fragen: «Was brauche ich wirklich» – statt zu denken: «Schliesslich bezahle ich Krankenkassenbeiträge – und diese will ich auch möglichst intensiv nutzen.»

Mit dem «Forum Gesundheit» ist das Knonauer Amt auf gutem Weg, eine Vorbildfunktion im Gesundheitswesen im Kanton Zürich einzunehmen. ­Betreffend Freiwilligenarbeit oder die Vernetzung aller involvierten Organisationen und Institutionen ist unser Bezirk vorbildlich. Dazu beitragen müssen aber alle.