«Die Bäume holen immer noch die Rückstände aus den Hitzesommern nach»

Die Revierförster Ueli Müller und Fabian Grond zum Zustand des Waldes

«Vielen ist die Bedeutung unserer Wälder nicht bewusst»: Fabian Grond (links) und Ueli Müller, die für das Forstrevier Affoltern-Hedingen-Bonstetten verantwortlichen Förster. (Bild Daniel Vaia)

Niemand kennt die Wälder im Säuliamt besser als Ueli Müller und Fabian Grond: Sie sind Förster (Müller) und stellvertretender Förster (Grond) des Forstreviers Affoltern-Hedingen-Bonstetten. Beide sind gleichzeitig für den Mettmenstetter Forst- und Strassenunterhaltbetrieb UMag AG tätig, Müller als Geschäftsführer, Grond als Betriebs­leiter. Im Interview erklären die beiden, wie sie die aktuelle Situation des Waldes einschätzen – und ob die Waldbesitzer angesichts der zunehmenden Trockenheit die Zeichen der Zeit erkannt haben.

Dank des vielen Regens in den ersten Monaten dieses Jahres sehen die Bäume im Wald so kräftig aus wie seit Jahren nicht mehr. Geht es dem Wald so gut, wie er aussieht?

Ueli Müller: Dem Wald geht es grundsätzlich gut. Der viele Regen der vergangenen Wochen und Monate, gepaart mit den kurzen heissen Perioden, hat kurzfristig für einen üppigen Wuchs im Wald gesorgt. Den Bäumen tut das viele Wasser sehr gut, jedoch sind diese immer noch die Rückstände aus den Hitzesommern von 2008 bis heute am Aufholen.

Fabian Grond: Einzelne Baumarten wie Buche und Weisstanne haben in den letzten Jahren derart gelitten, dass einige Exemplare diesen Rückstand jetzt nicht mehr aufholen können und absterben. Dies ist jedoch der Lauf der Natur, ein Baum stirbt ab und macht dafür der nächsten Generation Platz. Die einzige Baumart, von der man sagen kann, ihr geht es wirklich schlecht, ist die Esche. Diese leidet unter dem Eschentriebsterben, einem Pilz, der vor zirka zehn bis zwölf Jahren aus Asien in die Schweiz eingeschleppt wurde und den Grossteil der Eschen in der Schweiz befällt.

Woran erkennt der Förster, wie gut oder schlecht es dem Wald geht?

Ueli Müller: Für den Förster gibt es einige Anzeichen, um einen Wald auf seine Gesundheit hin zu beurteilen. Als Erstes schauen wir das grosse Ganze an: Wie sind die Bäume im Laub? Hat man Anzeichen, dass Bäume Mühe haben, wie Verfärbung im Blätterdach oder absterbende Partien? Die Baumkronen sind der Motor eines jeden Baumes, hier macht er die Fotosynthese und produziert Nährstoffe zum Überleben. Geht es der Krone schlecht, geht es dem ganzen Baum schlecht. Dann schauen wir die Einzelbäume an: Schäden am Stamm, Pilzbewuchs, sichtbare Krankheiten oder Schäden im Wurzelbereich. Stresssymptome sieht man einem Baum gut an, er verfällt dann in eine Art Notfallmodus, um das Überleben zu sichern, Laubbäume lassen Äste wachsen an Orten, wo vorher keine waren, lassen das Laub fallen, obwohl noch nicht Herbst ist, oder Teile der Krone werden langsam dürr.

Was bräuchte es, damit die Bäume kräftiger und widerstandsfähiger werden?

Fabian Grond: Im Allgemeinen braucht es wieder «normale» Jahres­zeiten, hier reden wir hauptsächlich vom Sommer und vom Winter. Wenn der Sommer durchschnittliche Temperaturen hat und genug Niederschläge über die ganze Periode, dann ist das kein Problem für den Wald. Genau gleich verhält es sich im Winter: Ist dieser kalt, also mit Phasen unter dem Gefrierpunkt, gepaart mit Niederschlägen, kann der Wald seine Ruhezeit ausnutzen und sich erholen. Wie wir alle wissen, ist dies jedoch etwas zum Wunschdenken geworden und fast nicht mehr der Fall.

Ueli Müller: Darum braucht es andere Wege, die wir Förster seit Jahren am Einführen und Umsetzen sind. Man fördert durchmischte Wälder mit vielen verschiedenen Baumarten und Baumhöhen. So können die Bäume einander unterstützen, Krankheiten und Insekten, die eine spezifische Baumart befallen, haben keine Chance mehr, der Wald wird somit krankheits- und sturmresistenter.

Was können wir alle dazu beitragen, damit es dem Wald und den Bäumen besser geht? Als Förster, als Waldbesitzer, als Spaziergänger und Freizeitsportler im Wald?

Fabian Grond: Waldbesitzer können etwas dazu beitragen, indem sie ihren Wald pflegen und auf den Weg der Mischungssteigerung in Bezug auf die Baumarten bringen. Auch den Wald verjüngen und so fit halten können sie, oder, wenn alles nichts nützt, auch neue Baumarten pflanzen. Pflanzungen müssen nicht unbedingt sein und dienen mehr als Notlösung, ein fitter Wald verjüngt sich in der Regel von alleine.

Ueli Müller: Wir Förster können unserer Arbeit nachkommen und uns an den Plan halten, damit wir den Wald in Zukunft dort hinbringen, wo wir ihn haben wollen, damit dieser bereit ist für die Zukunft. Spaziergänger, Joggerinnen und Jogger sowie Bikerinnen und Biker können nicht viel dazu beitragen, ausser achtsam zu sein, den Wald mit Respekt zu betreten und auch so wieder zu verlassen. Wichtig ist auch, dass man nicht jeden Trampelpfad als Weg benutzt, als Reitpiste oder Bike-Trail, gerade in Bezug auf Wurzelschäden. Der Wald ist offen für alle, das soll er auch bleiben.

Haben die Waldbesitzer – der Staat, die Gemeinden, Holzkorporationen und Private – die Zeichen der Zeit erkannt und handeln sie entsprechend?

Fabian Grond: Definitiv. Alle Waldbesitzer in der Schweiz haben einen Förster, der für sie zuständig ist und sie unterstützt. Sämtliche Waldfragen gehen eigentlich immer zuerst über den Förster. Da dieser eine beratende Rolle einnimmt, kann er die Bewirtschaftung der einzelnen Wälder mit den Wald­besitzern zusammen in die richtige Richtung lenken.

Ueli Müller: Natürlich hat das letzte Wort stets der Waldbesitzer, es gibt jedoch niemanden, der sich wehrt oder sträubt. Gemeinsam findet man den Weg, um vor allem die Wälder, die es nötig haben, die also eher Monokulturen sind, in einen stufigen Mischwald umzuwandeln. Stufig bedeutet, dass ein Wald Bäume in mindestens drei Höhen hat.

Sie, Fabian Grond, haben in Ihrer 1.-August-Rede in Hedingen gesagt, dass man heute «einzelne, alte Bäume als ökologische Kleinstandorte» auch mal nach einem Sturm stehen oder liegen lässt. Das dürfte einige Zuhörerinnen und Zuhörer doch erstaunt haben. Sind die Zeiten der «aufgeräumten» Wälder vorbei?

Fabian Grond: Das stimmt, und das ist auch so. Die Zeiten der blitzblank bis auf den letzten Ast geräumten und fast parkähnlichen Wälder sind vorbei. Man hat erkannt, dass man bei zu «pingeligem» Aufräumen dem Boden einen Grossteil der Nährstoffe wegnimmt. Alles, was im Wald zurückbleibt, verrottet und geht somit als Nährstoffe und Energie wieder in den Boden für die wachsenden Bäume und Pflanzen. Zudem bilden z. B. Asthaufen oder ein stehender toter Baum optimale Unterschlüpfe für Tiere, Insekten und Pilze, die sonst vergebens nach Lebensraum im Wald suchen und mit der Zeit verschwinden. Mit dem Liegenlassen von Holz und Ästen oder eben Stehenlassen von toten Bäumen fördert man ganz vieles auf einmal. Und dies auf einfachste Weise.

Gilt dieser Ansatz auch für das Problem Borkenkäfer? Vor Jahren, als das Problem akut wurde, hat man ja mit dem Borkenkäfer befallene Bäume behandelt, als seien sie brandgefährliche Infektionsherde, die man sofort entfernen oder sonst wie unter Kontrolle bringen muss.

Fabian Grond: Für Bäume, die vom Borkenkäfer befallen sind, gilt dieser Ansatz nur bedingt. Der Borkenkäfer ist ein Schädling und soll und muss bekämpft werden. Dieser befällt nur die Fichte und Fichtenmonokulturen, die wir noch aus früheren Zeiten haben: Sie sind ein gefundenes Fressen für die Käfer. Sind viele Bäume eines Fichtenbestands auf grosser Fläche befallen, dann kann das zum totalen Ausfall dieses Waldes führen bei Nicht-Bekämpfung. So verliert man Jahre an Arbeit, die man in diesen Bestand gesteckt hat, und auch der Wert des Holzes nimmt ab. In einem Mischbestand sieht das anders aus, da kann man eine befallene Fichte stehenlassen und diese als Totholz der Natur überlassen. Eine Bekämpfung macht also Sinn bei grossflächigem Befall mit einer Gefahr der Ausbreitung.

Sind «Borkenkäferbäume» eigentlich wertlos beziehungsweise höchstens noch als «Totholz» von Nutzen?

Ueli Müller: Ganz und gar nicht. Das Holz der gefällten Käferbäume ist in der Statik und Substanz noch genau gleich wie ein nicht befallener Baum. Aus Käferholz kann derselbe Balken für ein Hausdach gesägt werden wie aus einem gesunden Baum. Dadurch, dass der Baum aber vom Käfer befallen ist, gilt er bei den Sägereien als Schadholz und somit als minderwertig. Der einzige Grund dafür ist, dass die Käfer einen Pilz unter die Rinde mitnehmen, der das Holz leicht bläulich verfärbt. Es wird also aus rein ästhetischen Gründen viel weniger bezahlt. Dies hat zur Folge, dass dem Waldbesitzer nichts bleibt – trotz der ganzen Arbeit, die er hatte. Diese Gegensätze – Bekämpfungspflicht, hohe Erntekosten, tiefe Verkaufspreise – machen die Situation für Waldbesitzer nicht einfacher – ganz abgesehen davon, dass sie ihren ganzen oder Teile ihres Waldes verlieren. Zum Glück werden aber vom Kanton Gelder gesprochen, die ein Minusgeschäft verhindern, sodass wenigstens eine schwarze Null bleibt.

Wird dem Wald von der Allgemeinheit die Wertschätzung und Bedeutung zugemessen, die nötig ist?

Fabian Grond: Dem Wald an sich wird von der Öffentlichkeit durchaus die nötige Wertschätzung zugesprochen. Was oft aber fehlt, ist der Respekt dem Wald gegenüber. Dies hängt damit zusammen, dass vielen die Bedeutung unserer Wälder nicht bewusst ist. Für viele steht er einfach da und wächst vor sich hin. Was derzeit noch fehlt, ist das Verständnis für die Natur, den Wald und unsere Arbeit. Vor allem aber auch fehlt das Verständnis für die Holznutzung. Jeder und jede braucht Holz, das ist aber den meisten nicht bewusst. Wir versuchen mit Öffentlichkeitsarbeiten und Projekten dies zu ändern und die Bevölkerung für den Wald zu gewinnen.

Wie wird sich Ihrer Meinung nach die Bewirtschaftung des Waldes in den nächsten 20, 30 Jahren verändern?

Ueli Müller: Ich denke nicht, dass sich unsere Bewirtschaftungsmethoden in den nächsten 20 bis 30 Jahren gross verändern werden. Aufseiten der Technik sind wir im Forst sehr weit fortgeschritten, und aufseiten Waldbewirtschaftung haben wir mit unseren Gesetzen und Methoden eine der nachhaltigsten und naturnahesten Waldbewirtschaftungen der Welt. Was sich verändern wird, ist der Wald an sich. Gewisse Baumarten werden weniger, neue kommen dazu. Wir lenken diese Veränderung in die, wie wir wissen, momentan richtige Richtung, damit unsere Wälder erhalten bleiben.

Die Trockenheit spielt jetzt schon – und in Zukunft wahrscheinlich noch mehr – eine zentrale Rolle. Könnten Sie sich vorstellen, dass man in den Wäldern zur Bewirtschaftung anstelle schwerer Maschinen wieder vermehrt Pferde einsetzt? Diese verdichten den Waldboden offenbar viel weniger stark, wodurch der Boden Feuchtigkeit viel besser und länger speichern kann.

Ueli Müller: Ja, die Trockenheit spielt eine grosse Rolle für den Wald und den Boden. Was aber schwere Maschinen betrifft, ist Trockenheit an und für sich nichts Schlechtes. Ist der Boden ausgetrocknet, bietet er den Maschinen mehr Widerstand und die Schäden sinken auf ein Minimum. Wir fahren, wenn möglich, stets nur, wenn der Boden trocken oder gefroren ist, um genau diese Minimierung zu erreichen. Zudem haben wir stets ein Gassen-Netz, das heisst, dass wir nur auf den vorgegebenen Gassen in einem Wald fahren, dabei legen sich die Maschinen alle Äste der gefällten Bäume vor sich hin, um einen Astteppich zu erhalten und so das Gewicht zu verteilen. Diese Gassen bleiben ein Leben lang gleich, um so wenig Waldboden wie möglich zu befahren.

Fabian Grond: Die Pferde würden weniger Schäden verursachen, das ist klar. Auch arbeiten einige Fuhrmänner immer noch mit den Pferden im Wald. Jedoch ist diese Methode einfach nicht wirtschaftlich genug, so wie die Industrie heutzutage läuft und die Holzpreise schwanken.

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