«Wir können viel von Wildtieren lernen»
Jagd: unverzichtbares Wildtiermanagement oder überholtes Konzept? – Ein Ämtler Jäger gibt Einblick

«Die Beweggründe, Jäger zu werden, sind vielfältig», sagt Paul Erni, Obmann der Jagdgesellschaft Affoltern. «Manche wachsen in Jägerfamilien auf, für andere ist es eine späte Entdeckung, oft verbunden mit dem Wunsch, aktiv etwas zum Naturschutz beizutragen.» Er selbst lernte die Jagd vor über 30 Jahren durch einen Freund kennen und schätzen. «Nach einer intensiven zweijährigen Ausbildung legte ich 1995 die Jagdprüfung ab. Später vertiefte ich mein Wissen weiter und absolvierte 2005 die Prüfung zum Jagdaufseher. Heute bin ich überzeugt, dass man in diesem Beruf nie auslernt.»
«Kein Tag als Jäger ist wie der andere», betont Paul Erni. Die Aufgaben reichen von Revierkontrollen und Wildbeobachtungen über Einsätze bei Wildunfällen bis hin zu Schadensbegrenzung in Land- und Forstwirtschaft. «Ein respektvoller Umgang mit der Natur ist wichtig. Deshalb bitten wir alle Naturbesucher, auf den Wegen zu bleiben und die Wildtiere nicht zu stören.» Neben der Unterstützung der Waldbesitzer und der Durchsetzung von Natur- und Jagdgesetzen ist die regulierte Bejagung ein zentraler Aspekt dieser Tätigkeit. Ob durch Ansitzjagd oder Gesellschaftsjagden im Spätherbst – es geht darum, den vorgeschriebenen, kantonalen Mindestabschuss zu erreichen, um das ökologische Gleichgewicht zu bewahren. «Eine intakte Natur braucht ein ausgewogenes Wildtiermanagement», erklärt Paul Erni.
Und welche Eigenschaften zeichnen einen guten Jäger aus? «Freude an der Natur, Geduld und eine ausgeprägte Beobachtungsgabe. Wildtiere passen sich schneller an als der Mensch – sie zeigen uns, wie wertvoll eine intakte Biodiversität ist. Wir können viel von ihnen lernen, um nachhaltiger und rücksichtsvoller mit unserer Umwelt umzugehen.»
Kontroverse um die Jagd
Die Jagd ist seit jeher umstritten. Kritiker stellen infrage, ob der Mensch tatsächlich regulierend eingreifen muss oder ob natürliche Raubtiere wie Bären, Wölfe und Luchse das Gleichgewicht wieder herstellen könnten. Auch ethische Aspekte, insbesondere die Trophäenjagd, sorgen für kontroverse Diskussionen. «Ich nehme Kritik ernst, doch oft zeigt sich in Diskussionen, dass viele Menschen wenig über Natur und Tierverhalten wissen», sagt Paul Erni. «Die grössten Probleme entstehen durch den Menschen selbst – etwa durch den steigenden Platzbedarf und unsere Freizeitaktivitäten, die Natur und Wildtiere belasten.» Trotz kontrovers geführter Debatten geniesst die Jagd hierzulande breite Akzeptanz: «2018 lehnten die Zürcher Stimmbürger das Volksbegehren zur Abschaffung der Jagd mit über 80 Prozent ab. Das zeigt, dass viele Menschen den Wert eines regulierten Wildtiermanagements erkennen und schätzen.»
Faszination Natur
Für viele Jäger ist die enge Verbindung zur Natur das Herzstück ihrer Arbeit. «Aussergewöhnlich schön ist der Frühling, wenn die Natur erwacht und wir gesunde, kräftige Wildtiere beobachten können», sagt Paul Erni. «Besonders bewegend ist es, ab April die ersten Jungtiere zu sehen – junge Füchse, Dachse, Rehe und Rotwild.»
Solche Momente zeigen, dass Jäger sein weit mehr bedeutet als einzig das Erlegen von Wildtieren. Jäger setzen sich zudem aktiv für den Artenschutz ein, beispielsweise durch Projekte wie die jährliche Rehkitzrettung, bei der Jäger und Landwirte verhindern, dass Jungtiere bei der Mahd verletzt oder getötet werden.
Die Jagd bleibt ein Balanceakt zwischen Tradition, Naturschutz und ethischen Fragen. Sie wird weiterhin polarisieren – doch ein offener Dialog zwischen Jägern, Naturschützern und der Gesellschaft ist wichtig, um nachhaltige Lösungen für Mensch und Natur zu finden.
Die Entwicklung der Jagd
«Die Jagd hat sich über die Jahre stark verändert», erklärt Paul Erni, Obmann der Jagdgesellschaft Affoltern. Früher stand die Fleischversorgung im Vordergrund, heute geht es zunehmend um Wildtiermanagement und Artenschutz. Moderne Technologien wie Wildtierkameras und Drohnen erleichtern die Beobachtung und Bestandskontrolle.
• Historische Jagd: Bis Mitte des 20. Jahrhunderts war die Jagd ein Privileg oder eine Notwendigkeit zur Nahrungsbeschaffung. Wilderei war unter der arbeitenden Bevölkerung verbreitet.
• Wandel nach dem Zweiten Weltkrieg: Ab den 1990er-Jahren gewann der Naturschutz zunehmend an Bedeutung und beeinflusste auch die Jagdpraxis.
• Zeitgemässe Aufgaben: Heute ist die Jagd zentral für das Wildtiermanagement – sie erhält das Gleichgewicht der Natur und beugt Wildschäden vor. Zudem helfen Jäger, Krankheiten wie Fuchsräude, Vogelgrippe oder Afrikanischer Schweinepest einzudämmen.
• Bergung toter Tiere: Das Bergen von Wildtieren, die dem Strassenverkehr zum Opfer fallen, erfordert viel Zeit. Im Revier Affoltern werden jährlich zwischen 25 und 40 verendete Tiere geborgen. (net)