Auch im Bezirk fehlen Medikamente

Spitäler und Apotheken im Säuliamt registrieren derzeit einen sehr akuten Mangel

Pino Marino von der Amavita-Apotheke hat viel zu tun mit der Beschaffung der Ersatzmedikamente. (Bild Florian Hofer)

Pino Marino von der Amavita-Apotheke hat viel zu tun mit der Beschaffung der Ersatzmedikamente. (Bild Florian Hofer)

«Ich arbeite seit 33 Jahren als Apotheker, aber so etwas habe ich noch nicht erlebt», erzählt Pino Marino. Der Geschäftsführer der Amavita-Apotheke in Affoltern hat inzwischen fast täglich mit dem Mangel an zahlreichen, auch etablierten Medikamenten zu tun. Diese fehlten teilweise schon in der Coronazeit, aber in den letzten Monaten hat sich die Situation offenbar wieder verschlimmert. «Das ist inzwischen ein Riesenproblem», sagt Marino. «Das hat sich mit der neuen Regierung in den USA jetzt aktuell sogar noch verschärft.» Die Gründe dafür sind komplexe, nicht immer funktionierende Lieferketten für die oft in Asien produzierten Medikamente, abgelaufene Patente und mangelnde Rentabilität bei billigen Medikamenten, die dann einfach nicht mehr hergestellt werden.

Das stellt auch Angela Caduff, Chefapothekerin am Universitäts-Kinder­spital Zürich, das auch für die Kinder-Reha in Affoltern zuständig ist, fest. Alleine im Jahr 2024 habe ihr Team 70 Infoschreiben zum Thema an die jeweiligen Fachpersonen respektive Abteilungen des Universitäts-Kinderspitals versenden müssen. «Das Problem betrifft sieben Prozent des gesamten Kispi-Arzneimittelsortiments», hat Caduff ausgerechnet. «Das ist ein relevantes Problem, vor allem in der Kinderheilkunde», weiss die erfahrene Apothekerin, die seit 25 Jahren im Beruf arbeitet und derartige Engpässe früher nicht in ­diesem Ausmass erlebt hat. Während Erwachsene oftmals einfach auf ein Ersatzmedikament mit dem identischen Wirkstoff eines alternativen Anbieters ausweichen können, sei das bei Kindern und Neugeborenen deutlich komplexer. Neben den Wirkstoffen beinhalte ein Medikament meist auch sogenannte Hilfsstoffe. «Diese können bei Kindern, und vor allem bei Früh- und Neugeborenen, gefährliche unerwünschte Nebenwirkungen hervorrufen», so Caduff.

«Auch das Spital Affoltern ist fast täglich davon betroffen», bestätigt ­Karin Dubach, Leiterin Apotheke im ­Spital Affoltern. Dies spüre man vor ­allem bei preisgünstigen Arzneimitteln mit ­abgelaufenem Patentschutz, da­runter zum Beispiel Antibiotika und Schmerzmittel.

Die Webseite drugshortage.ch listet tagesaktuell alle Medikamente auf, die nicht lieferbar sind. Waren es Mitte Februar noch 230, wurden am Freitag schon 596 nicht lieferbare Produkte gezählt. Darunter selten gebrauchte Medikamente, aber auch sehr weit verbreitete wie das Diabetiker-Mittel Medformin, Antibiotika sowie Medikamente bei Herzleiden, Gicht oder Impfstoffe, um nur einige Gruppen zu nennen. Kritisch ist auch die Versorgung mit Morphin-Ampullen zur Linderung starker Schmerzen.

Besser sieht es offenbar bei der Senevita aus. «Die Senevita Obstgarten in Affoltern ist von allfälligen Lieferengpässen bestimmter Medikamente nicht betroffen», teilt Mediensprecherin Martina Summermatter mit. Und auch im Seewadel kann man nicht klagen. Geschäftsleiterin Jino Omar sagt dazu: «Ein Mangel ist bei uns derzeit nicht spürbar.» Sie verweist auf die Amavita-Apo­theke. Diese sei ihr Hauptlieferant. «Sollte es einen Engpass geben, nehmen wir Kontakt mit der Apotheke auf.» Eventuelle Probleme würden dort gelöst. Was der Apotheker Pino Merino bestätigt. Doch wie sieht die Strategie der Spitäler bei Medikamentenmangel aus? «Aufgrund der Erhöhung von Lagerbeständen, einer vorausschauenden Planung und teilweise des Imports von Medikamenten aus dem Ausland kann das Spital Affoltern die Versorgung der Patientinnen und Patienten jederzeit sicherstellen – ohne qualitative Einbussen», sagt Nicole Keller. Eine frühzeitige Kommunikation und rechtzeitige Kontingentierung der Arzneimittel durch die Lieferanten bei einem bevorstehenden Engpass sei hilfreich, um rechtzeitig alternative Lösungen zu finden und die Versorgungssicherheit trotz teilweisem Lieferunterbruch aufrechtzuerhalten. Dieses Vorgehen finde aber erst teil­weise statt. Weiter sagt sie: «Die angespannte Situation erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Behörden, Herstellern und Lieferanten, Apotheken und Ärzten, um die Versorgung der Patientinnen und Patienten sicherzustellen.»

Einkauf auch im Ausland

Beim Universitäts-Kinderspital Zürich versuche man, in der Schweiz nicht ­erhältliche Medikamente im Ausland zu organisieren. Das bestätigt auch Pino Merino: «Wir können viel in Deutschland einkaufen.» Eine Möglichkeit sei auch, selbst im Labor Medikamente herzustellen. Gelegentlich würden sich die Schweizer Spitäler auch gegenseitig aushelfen.

Politik kommt in die Gänge

Die Politik hat inzwischen begonnen zu reagieren. Im Oktober 2024 wurde die eidgenössische Volksinitiative «Ja zur medizinischen Versorgungssicherheit» erfolgreich eingereicht. Sie will einen neuen Verfassungsartikel erwirken, der besagt, dass der Bund die erforderlichen Rahmenbedingungen schaffen müsse, um einen Mangel an wichtigen Heil­mitteln und anderen wichtigen medizinischen Gütern zu verhindern. Hinter der Volksinitiative stehen laut Communiqué 20 Verbände, Organisationen und Unternehmen des schweizerischen Gesundheitswesens. Dazu gehören etwa der Verband der forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz Interpharma, die Dachorganisation der Schweizer Apothekerinnen und Apotheker Pharmasuisse oder der Schweizer Drogistenverband. Der Bundesrat hat daraufhin im Februar einen Gegen­entwurf publiziert. Darin heisst es: «Die Versorgung mit medizinischen Gütern zu stärken, ist auch dem Bundesrat ein zentrales Anliegen. Er setzt aber auf einen direkten Gegenentwurf, der dem Bund dort mehr Kompetenzen gibt, wo diese heute fehlen und der Markt allein keine lückenlose Versorgung gewährleisten kann.»

Weitere Artikel zu «Bezirk Affoltern», die sie interessieren könnten

Bezirk Affoltern10.03.2025

Dachstockbrand löst Grossalarm aus

Nach zwei Stunden war der Brand unter Kontrolle
Bezirk Affoltern10.03.2025

«Unser letzter Wille: Noch mehr Promille»

Ausgelassene Stimmung am Umzug der Fasnachtsgesellschaft Uerzlikon

Das frühlingshaft warme Wetter am letzten Sonntag und zahlreiche originelle Sujets mit…

Bezirk Affoltern10.03.2025

Publikum im Bann einer aussergewöhnlichen Fernwanderin

Christina Ragettli las in der Bibliothek Hausen aus ihrem Buch «Von Wegen»