Beim Bio-Anbau suchen sie die Spitze
Sommerserie «Hoch hinaus», Teil 8: Besuch auf dem offiziell höchsten Weinberg im Kanton Zürich
Nicole und Röbi Eberhard bewirtschaften in der Hausemer Vollenweid am Goom den offiziell höchsten Weinberg im Kanton Zürich. Nicht nur bezüglich der Anbauhöhe wollen die beiden hoch hinaus. Die Weinproduktion soll möglichst nahe im Einklang mit der Natur geschehen und höchsten biologischen Ansprüchen genügen.
Nicht umsonst heissen die edlen Tropfen «Milvus», die lateinische Bezeichnung für den Greifvogel Milan, ein begnadeter Segler, der mithilfe der Thermik bei geringem Kraftaufwand grosse Höhen und lange Flugdistanzen erreichen kann.
Beim Besuch der Eberhards hat jedoch kein Flugwetter geherrscht. Wie so oft in diesem Jahr regnete es in Strömen. Das unbeständige Wetter stellt die Landwirtschaft und insbesondere den Weinbau vor besondere Probleme. Die Reben laufen Gefahr, vom Falschen oder Echten Mehltau befallen zu werden. Das sind Pilzkrankheiten, die als Sporen in der Erde oder auf dem Holz der Pflanze überwintern, feuchtwarmes Wetter lieben und Blätter und Trauben befallen. Dazu kam, dass es auch während der Blütezeit häufig regnete. Das bewirkte eine sogenannte «Verrieselung». Diese Befruchtungsstörung kann zum Absterben der Blüten führen. Weniger Blüten werden befruchtet und es wachsen weniger Trauben heran. Weniger dicht bewachsene Rebstöcke haben jedoch den Vorteil einer besseren Durchlüftung und einer höheren Traubenqualität. Zudem sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass die Reben im Herbst an Graufäule erkranken. So viel zur Theorie. Im herkömmlichen Rebbau kann man mit regelmässigem Spritzen von Fungiziden versuchen, dem Mehltau beizukommen.
Wenig Spritzen und kein Düngen
Eberhards jedoch verfolgen einen anderen Ansatz. Durch gezielte Auswahl geeigneter – sprich: widerstandsfähiger – Rebstöcke soll der Einsatz von Spritzmitteln gar nicht erst nötig werden. «Wir haben uns ganz bewusst für den biologischen Rebbau entschieden», sagt Nicole Eberhard aus Überzeugung. «Als Biologin ist für mich nichts anderes infrage gekommen. Wir setzen auch kein Kupfer ein, das im biologischen Landbau erlaubt wäre, denn das wird abgewaschen und bleibt dann im Boden.» Der Weinbau sei für sie ein langfristiges Projekt. Es gehe nicht darum, in kurzer Zeit möglichst hohe Erträge zu erwirtschaften. «Deshalb düngen wir auch nicht, denn in unseren Böden ist bereits mehr als genug Stickstoff vorhanden», erklärt Nicole Eberhard. «Durch intensive Düngung geht sehr viel Stickstoff in die Luft und kommt über den Regen wieder auf den Boden zurück.» Pro Hektare (100 mal 100 Meter Fläche) gelangten so pro Jahr im Durchschnitt etwa 20 Kilogramm Stickstoff in die hiesigen Böden. Im Mittelland können es sogar bis zu 60 Kilogramm sein. Der Grund dafür sind zu zwei Dritteln die Landwirtschaft, zu einem Drittel der Verkehr und die Industrie, die ebenfalls Stickstoff in die Umwelt abgeben. Die Eberhards sind deshalb überzeugt: «Wir müssen ein stabiles System hinbekommen. Biologische Systeme haben einen tieferen Ertrag, sind aber langfristig resistenter gegen Unvorhergesehenes wie lange Regenphasen oder Trockenheit.»
Beim konventionellen Anbau mit konventionellen Sorten arbeitet man mit systemischen (synthetischen) Mitteln, die in die Pflanze eindringen. Beim Bio-Anbau dagegen dürfen bestimmte Schutzmittel nur oberflächlich angewandt werden. Diese werden wieder abgewaschen, wenns regnet. «Deshalb setzen wir auf Piwi-Sorten: pilzwiderstandsfähige Pflanzen. Das sind Kreuzungen aus amerikanischen und europäischen Reben, denn der Mehltau kommt ursprünglich aus den USA», führt Nicole Eberhard aus. Das Paar hat deshalb gemeinsam entschieden, den Weinberg biologisch zu bewirtschaften. Entsprechend wurden die Weinstöcke ausgewählt, 7500 an der Zahl. «Selbst mit Bio darf oft gespritzt werden. Bei herkömmlichen Sorten kann das bis zu 14-mal vorkommen. Mit den Piwi-Sorten ist es meist nur drei- bis viermal nötig», rechnet Nicole Eberhard vor.
Frustrationstoleranz als Voraussetzung
Der Weinberg ist für sie nur ein Puzzleteil zum Erfolg. Ergänzend dazu gehören Hecken, Ausgleichsflächen und Trockenmauern. Die Voraussetzung, damit Vögel und Insekten nisten, die wiederum die Schädlinge bekämpfen. «Birdlife» suchte deshalb 2015 im Rahmen des Projekts «Belebter Rebberg» Sponsoren, um Weinberge zu beleben. Mit einheimischen Büschen, oft dornentragend und mit vielen Beeren, die den Vögeln einen Lebensraum bieten; plus Ruderalflächen. Auf diesen Flächen wird der Humus abgetragen und der Boden wird mit einem Kies-Sandgemisch aufgefüllt. Die Einsaat von Pionierpflanzen sorgt dafür, dass während der Vegetationsperiode immer ein gewisses Blütenangebot vorhanden ist. Trockenmauern und Steinhaufen fördern die Biodiversität erfolgreich, wie zwei Brutpaare Neuntöter, Turmfalken und Bussarde, die nun wieder mehr sichtbar sind, zeigen, wie auch Libellen, Bienen, Wespen und Sommervögel.
Also alles in bester Ordnung? «Mit den Wetterkapriolen braucht es schon eine gewisse Frustrationstoleranz», räumt Röbi Eberhard ein. 2021 zerstörte der Hagel im Juni fast die gesamte Ernte. Heuer fragt er sich, ob die Trauben überhaupt reif werden. Nicole Eberhard ergänzt: «Letztes Jahr war während der Blütezeit ebenfalls starker Regen. Auch da hatten wir Ausfälle.» Die Eberhards haben deshalb begonnen, Bäume in den Weinberg zu pflanzen. «Bäume sind die perfekte Lösung bezüglich Wind, Wasser und Bodenstabilisierung», erklärt die Biologin und präzisiert: «Schnittverträgliche Bäume, die, sich mit den Reben zu vernetzen, imstande sind – über einen Pilz als symbiotisches Medium (Mykorrhiza).» Es sei ein ständiges Experimentieren mit dem vorhandenen Lebensraum.
Von Weinliebhabern zu Weinbauern
Wieso ausgerechnet ein Weinberg? Nicole und Röbi Eberhard lächeln und sagen: «Weil wir beide gerne Wein trinken.» Zudem liege der Hang perfekt zur Sonne ausgerichtet. Im Winter sei der Schnee dort immer zuerst weg. Die beiden haben es deshalb «wie einen 6er im Lotto» empfunden, als sie den Bauernhof in der Vollenweid in den Nullerjahren übernehmen konnten. Bis 1997 wohnte das Paar in der Stadt Zürich. Da Röbi Eberhard eine Stelle als Primarlehrer in Affoltern antrat, zog das Paar zunächst für zwei Jahre nach Rossau. Dann bot sich die Gelegenheit, nach Hausen in die Vollenweid zu ziehen. Für das junge Paar an der Schwelle zur Familiengründung die perfekte Heimat.
Für die studierte Biologin mit höherem Lehramt zur Gymnasiallehrerin, die zudem zwei Jahre beim Zirkus Knie als Zoopädagogin gearbeitet hat, war recht bald klar, dass sie nicht nur das Wohnhaus, sondern den gesamten Bauernhof bewirtschaften möchte; zuerst mit Ziegen, Hühnern, Bienen und Obstbäumen. Um Obstbau zu lernen, ging Eberhard als Gasthörerin an die landwirtschaftliche Schule Schluechthof in Cham. Am 13. April 2004 komplettierten Drillinge das Familienglück. Mit der Zeit reifte die Idee, den gesamten Hügel zu pachten und mit Reben zu bepflanzen. Bei einer Weinbauernfamilie in Männedorf – die Eltern im selben Alter wie die Eberhards und ebenfalls mit drei Kindern, sie zudem Primarlehrerin – arbeiteten die Eberhards tageweise mit und erlernten so das Handwerk. 2012 folgte die offizielle Ausbildung zur Nebenerwerbslandwirtschaft in Pfäffikon/SZ.
Röbi Eberhard hält seiner Frau den Rücken frei. Kennengelernt hatten sich die beiden während des Studiums. Nach dem Lehrerseminar für pädagogische Grundbildung arbeitete er knapp zwei Jahre bei den VBZ als Buschauffeur. «Damit habe ich die finanzielle Unabhängigkeit erlangt, um mit Nicole zusammenzuziehen», sagt er rückblickend. Bis heute arbeiten beide noch als Lehrpersonen, er fährt zudem Tram oder Postauto. So wahrt sich das Paar die finanzielle Flexibilität, um weiter an seinem Traum des perfekten Weinbergs zu arbeiten.
weinbau-eberhard.ch
Sommerserie
«Hoch hinaus»
In der diesjährigen Sommerserie suchen die «Anzeiger»-Journalisten und -Journalistinnen die Höhe. Aber nicht nur hohe Bauwerke und Orte sind das Ziel, sondern auch Menschen, welche im übertragenen Sinne hoch hinaus wollen. Bisher erschienen: Überlegungen zum höchsten, aber eher unbekannten Ort in der Region, dem Bürglen (1); Reportage aus dem Inneren des Mettmenstetter Kirchturms (2); Porträt von Monika Rahn aus Bonstetten, die eine leidenschaftliche Alpinistin ist (3); Ein geschichtlicher Rückblick über die Hochwachten auf der Albiskette (4); Aus dem Leben eines Kranarbeiters (5); Einsatz auf einer Feuerwehrleiter (6); Wie es Aeugster Kinder mit dem Programmieren auf die Spitze treiben (7). In der nächsten Ausgabe: Lautlos in der Luft: Unterwegs mit einem Segelflugpiloten (9). (red)