«Das Alter ist eine Medaille mit zwei Seiten»

Ursula Jarvis ist Expertin für Altersfragen – und selbst im Pensionsalter

Ursula Jarvis ist Fachperson, wenn es um Fragen rund ums Altern und um Demenz geht. Sie engagiert sich auch übers Pensionsalter hinaus für alternde Menschen und ihre Angehörigen. (Bild Regula Zellweger)

Ursula Jarvis hat sich Jahrzehnte lang für betagte Menschen engagiert. Seit wenigen Jahren ist sie selbst im Pensionsalter. Sie sieht das Altern als eine Medaille mit zwei Seiten. Einerseits kann man aus einem reichen Erfahrungsschatz schöpfen und verfügt über mehr Gelassenheit als in jungen Jahren, anderseits muss man sich mit gesundheitlichen Einschränkungen auseinandersetzen und loslassen lernen. Die ­Endlichkeit des Lebens wird bewusster. Ursula Jarvis reagiert darauf mit Dankbarkeit – für ihr bisheriges Leben und dass sie trotz Pensionierungsalter noch arbeiten kann. «Ich geniesse heute jeden Tag bewusst.»

Pflege, Beratung, Schulung

Das Thema «Altern» begleitet Ursula Jarvis seit vielen Jahren. Die gelernte Pflegefachfrau erweiterte die Palette ihrer Aus- und Weiterbildungen stetig. Unter anderem arbeitete sie acht Jahre im Haus Rigi in der Langzeitpflege im Spital Affoltern. Als damals alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen übernahm sie Nachtwachen. Sie sammelte zudem Erfahrung in der Spitex und als medizinische Praxisassistentin bei ­einem Ämtler Hausarzt.

Sie wurde Sozialbegleiterin, Erwachsenenbildnerin und Sozialdiakonin und entwickelte sich immer mehr zu einer Spezialistin zu Fragen rund um Geriatrie, Demenz und Palliative Care. Sie leitet seit vielen Jahren Kurse zu Demenz und Themen des Alters. Gern begleitet sie auch Selbsthilfegruppen, so beispielsweise eine Trauergruppe. Kommunikation war ihr immer ein grosses Anliegen: «Auch wenn gesundheitliche Beeinträchtigungen die Kommunikation erschweren, gilt es, Wege zu finden – verbal und vor allem auch nonverbal.» Sie bemüht sich, die innere Welt des Gegenübers respektvoll zu verstehen – auch wenn Worte fehlen.

Während eines Sabbaticals absolvierte sie eine Weiterbildung an der Berner Fachhochschule «Support von pflegenden Angehörigen und Freiwilligen», was sie persönlich und beruflich nachhaltig prägte. Sie befasste sich ­intensiv mit Interaktionsschulung für Angehörige von Menschen mit Demenz ISAD und bildete sich weiter zur ISAD-Trainerin – für ihre eigene Arbeit in verschiedenen Funktionen im Gesundheitswesen und der reformierten Kirche, aber auch, um Fachpersonen und Angehörigen in Kursen zu befähigen, sprachlich und auf der Bewegungsebene mit ­demenzkranken Menschen so zu kommunizieren, dass Verständnis und Vertrauen die Beziehung zu Betroffenen stärken.

Engagements heute

Heute, vier Jahre nach der «offiziellen Pensionierung», arbeitet sie mit zehn Stellenprozenten für die reformierte Kirche. Im Rahmen der ALZ-Gipfeltreffen der Alzheimer-Gesellschaft Zürich amtiert sie als Leiterin. Hier finden Menschen mit Gedächtnisschwierigkeiten Gleichgesinnte, mit denen sie unter fachkundiger Leitung einen Nachmittag lang diskutieren, sich austauschen, ­philosophieren, spielen, rätseln, sich erinnern, sich in der Natur bewegen oder kreativ und künstlerisch tätig sein ­können. Auftakt zu diesen wöchen­tlichen Treffen bildet jeweils ein gemeinsames Mittagessen. Die inhaltliche Gestaltung der Stunden richtet sich nach Interessen und Ressourcen der Teilnehmenden. So kann die Erhaltung der Fähigkeiten ­gezielt unterstützt, das Selbstvertrauen gestärkt und das ­Wohlbefinden ­gefördert werden. Ein Eintritt in die Gruppe ist jederzeit ­möglich. Anmelden kann man sich bei Ursula Jarvis.

Sie engagiert sich besonders in ihrer Wohngemeinde Mettmenstetten: Sie war in den Vorständen der Naturschutzgruppe Mettmenstetten und der Info Draeschiibe Mettmenstetten sowie Mitglied der Kommission für Altersfragen.

Als Mitgründerin des Vereins «wabeknonaueramt – wachen und begleiten» hat sie aktuell das Amt der Präsidentin inne und wirkt als Ansprechperson für interessierte Begleitpersonen. Freiwillige des Vereins WABE begleiten schwer kranke und sterbende Menschen unentgeltlich zu Hause oder in Institutionen. Dabei entlasten und unterstützen sie betreuende Angehörige und ergänzen Fachpersonen in der Spitex, für Pallia­viva oder im Spital Affoltern in der Palliativstation und der Langzeitpflege.

Das eigene Altern

Wer sich so lange intensiv beruflich mit dem Thema Altern auseinandergesetzt hat, wird differenziert mit dem eigenen Älterwerden umgehen. «Ich habe viel gelernt von den Menschen, denen ich begegnen durfte. Für deren Vertrauen und Offenheit bin ich sehr dankbar», erklärt sie. «Man spricht immer von der Würde im Zusammenhang mit dem Altern. Wer aber nimmt sich die Frechheit heraus, Würde oder Würdelosigkeit zu beurteilen? Würde bekommen wir bei der Geburt und man kann sie uns nicht nehmen. Aber man kann Menschen unwürdig behandeln.» Sie plädiert dafür, Menschen mit einer Demenzerkrankung möglichst viel Autonomie zu gewähren. «Man soll Menschen generell nicht einsperren.» Es gilt, immer wieder die optimale Balance zu finden zwischen Hilfeleistungen als Sicherheitsfaktor und gewähren lassen als Freiheitsfaktor. Es gilt, auch dementen Personen auf Augenhöhe zu begegnen. Für sie ist die Möglichkeit, mit alten Menschen zu arbeiten, ein Privileg. In ihrem Alltag erlebt sie immer wieder, dass Töchter und Söhne von dementen Patienten berichten, dass sie seit der Erkrankung und dem Wegfallen der intellektuellen Kontrolle eine neue emotionale Nähe gefunden hätten, die vorher nicht möglich gewesen wäre.

Und sie selbst?

Hautnah erlebt sie das Altern mit ihrem Mann, der die Diagnose Parkinson hat. Sie mussten bereits aus dem alten Bauernhaus mit dem schönen Garten in eine passende Wohnung umziehen. Was würde sie tun, wenn sie eine beginnende Demenz bei sich selbst erkennen würde? «Ich würde probieren, alles, was ich noch möchte, zu tun. Gleich! Ich möchte auf keinen Fall meine Angehörigen stark belasten und würde rechtzeitig in eine entsprechende Wohngruppe eintreten.» Ob sie ihre Überzeugung, dass man Hilfe annehmen und sich das Leben selbst nicht schwermachen soll, dereinst mal realisieren kann? Wird sie so liebevoll und respektvoll mit sich selbst umgehen, wie es ihrem Menschenbild entspricht, das Demut, Zuversicht und Dankbarkeit, aber auch den Willen, an einer besseren Welt mitzuarbeiten, beinhaltet?

Im WABE-Jahresbericht zitierte sie die Zeilen von Kurt Marti: «Welchen Lebens­weg ich gegangen sei? Keinen. Es war das Leben, das mit mir auf und davon ging. Was hinterher wie ein Weg aussieht, hat sich unmerklich an meine Fersen geheftet.»

www. wabe-knonaueramt.ch

«Gut altern»

«In der Schweizer Bevölkerung wächst fast nur noch die Gruppe der Pensionäre», ist in den Bevölkerungsprognosen des Bundesamts für Statistik zu lesen. Heute altern wir gesünder als die Generationen vor uns. Den «Anzeiger» interessiert, wie Menschen es schaffen, nach der Pensionierung ein sinnvolles, zufriedenes und interessantes Leben zu gestalten. Denn es geht nicht nur um die Anzahl der Jahre, sondern um deren individuell gelebte Lebens­qualität. Die Redaktion nimmt gern ­Input entgegen:

redaktion@affolteranzeiger.ch

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