Der Traum von «opernHausen» ist noch nicht ausgeträumt
Jahrelang begeisterten die Opernaufführungen Jung und Alt. Bis Corona kam. Geht die Geschichte dennoch weiter?
Lang und steil ist sie, die Treppe zur Wohnung von Mengia Caflisch im «Grandezza»-Gebäude in Hausen. Sind die unregelmässigen Stufen einmal bezwungen, taucht man ganz schnell in eine Welt ein, die so manch einer während Jahren bei den Aufführungen von «opernHausen» kennen und lieben gelernt hat. Die Atmosphäre des herrschaftlichen Hauses, der Hauch der erhabenen Geschichte, die in jedem Balken und in jedem knarzenden Fussboden zu atmen scheint. «Treten Sie ein in unser Zuhause», bittet die Gastgeberin, und beim Platznehmen im gemütlichen Wohnzimmer fällt das warme Licht der Abendsonne durch das Westfenster auf das stilvolle Mobiliar. «Diese Sessel standen auch schon bei uns auf der Bühne», sagt Mengia Caflisch, während sie die Tassen auf den Tisch stellt. Und schon sind wir mitten im Thema «opernHausen». «Il matrimonio segreto», «Salieri-Falstaff», «La capricciosa corretta», «La dame blanche», «La vera costanza», dies ist nur eine Auswahl aus der eindrücklichen Reihe von Opern, die hier im Gebäude (respektive in einer Fabrikhalle in Affoltern und bei Weisbrod-Zürrer nebenan) zur Aufführung gekommen sind. Das treue Publikum nahm oft beachtliche Anreisewege in Kauf, um bei den Opernabenden in unvergleichlicher Atmosphäre dabei zu sein. Im Jahr 2001 hat alles angefangen, die vorerst letzte Oper ging 2018 in der «Grandezza»-Scheune über die Bühne. Seither ist es still geworden um die Veranstaltung. Die Website von opernHausen ist zwar noch immer online, doch seit geraumer Zeit ist dort zu lesen, dass die Produktion «Le Chalet» von Adolphe Adam in Vorbereitung sei, jedoch verschoben werden musste. Höchste Zeit, einmal nachzufragen, was hinter den Kulissen vor sich geht, und ob man darauf hoffen darf, bald wieder Opernluft im Säuliamt schnuppern zu dürfen.
Familienprojekt und Herzensangelegenheit
Doch beginnen wir von vorne, nämlich bei den Ursprüngen der Oper in Hausen. «Es ist ein Familienprojekt und eine Herzensangelegenheit», schickt Mengia Caflisch voraus, und man spürt sofort, dass die vergangenen «opernlosen» Jahre keinen Funken von ihrem Feuer für die Sache zum Erlöschen bringen konnten. Sie steht auf und nimmt ein gerahmtes Foto zur Hand. «Hier sehen Sie meine Töchter, Melissa und Sophie, sie waren damals 16 und 18 Jahre alt», sagt sie und hält das Bild ins schräg einfallende Abendlicht. Zwei nachdenklich-verschmitzte junge Frauen sind zu sehen. Sie sind im Haus «Grandezza» geboren, dem Gründerhaus der legendären Seidenfabrikations-Dynastie Weisbrod-Zürrer. «Zu deren 125-jährigem Firmenjubiläum spielten wir Bewohner von mir erdachte und eingerichtete Hausszenen. Kurz darauf hatte Sophie die Idee, eine Oper aufzuführen, und ich sagte ihr, wenn sie es schaffe, die Mitbewohner zu überzeugen und genügend Leute zusammenzutrommeln, würde ich die Sache sehr gerne unterstützen.»
In Sophies Freundeskreis und der musikalischen Schulumgebung gab es demnach einen angehenden Sänger, einen angehenden Pianisten und eine Ausnahme-Geigerin. Zusammen hätten die vier ihre Beziehungen aktivieren können, und schon bald sei die Schar an interessierten, jungen Musiktalenten angewachsen. Dass auch erfahrene Schlüsselpersonen für Licht, Bau und Schneiderei das Abenteuer zu teilen bereit waren, sei ein weiterer Glücksfall gewesen. Wie kam Mengia Caflisch denn dazu, Regie in dieser Opernproduktion zu führen? «Das ist eine gute Frage, denn ich hatte bis dahin zwar oft Theater gespielt und mich intensiv mit Pantomime beschäftigt – und dabei unvergessliche Regisseure und Vermittler erlebt, aber noch nie eine ‹grosse› Regie übernommen. Es war ‹kontextgegebener› Wagemut, wie ich mich da spontan selbst ins Spiel gebracht habe», lacht sie. Man habe die Sache am Anfang auch nicht «tierisch ernst» genommen, sondern sie mit ganz viel Enthusiasmus angepackt, ohne sich grosse Sorgen zu machen. «Der grössere Teil unserer Wohnung ist dann zur WG für das Ensemble geworden, dort konnten die Leute ihre Schlafsäcke platzieren, und auf diese Weise kamen wir in drei Wochen durch mit Bühnenbau und Intensiv-Proben – sehr gut vorbereitet, versteht sich», berichtet die Regisseurin. Nach ausführlichem Kennenlernen eines Werks habe sie jeweils eine klare Vorstellung davon entwickelt, wie die einzelnen Szenen aussehen könnten, und das Ganze habe in den gemeinsamen Proben dann definitiv Gestalt angenommen.
Es sei eine intensive Zeit gewesen, da sie neben der Vorbereitung der Opernproduktion auch noch mit dreiviertel Pensum beruflich tätig war, hauptsächlich als Fachhochschul-Dozentin, meint Mengia Caflisch rückblickend. Als Regisseurin und Projektleiterin sei sie zwar der Kristallisationspunkt gewesen, aber das Gemeinschaftswerk könne nicht genug betont werden. «Es war ein sehr guter Moment, in dem wir gestartet sind; dass wir diese Chance in diesem Augenblick nutzen konnten, betrachte ich als ein riesiges Geschenk», betont sie und fügt an, dass auch ihr Mann eine unverzichtbare Stütze gewesen sei. «Seine Geduld, sein Humor und sein unauffälliges Wirken haben entscheidend dazu beigetragen, dass alles möglich wurde.»
Ihre Töchter und deren Freunde hätten sich derweil mit vollem Engagement auf der ganzen Breite für die Umsetzung des Opernprojekts ins Zeug gelegt. «Sophie sang und unterstützte bühnennah, Melissa hat ein untrügliches Gespür für verwaiste Arbeiten und rettete manche Situation in der Startphase, bevor sie dann in der Regieassistenz und der Lichttechnikgruppe um Felix Naef ihren Platz fand», berichtet die Mutter, und man kann ihren Stolz erkennen, wenn sie beschreibt, wie souverän ihre Tochter innert kürzester Zeit mit dem Lichtpult umgegangen sei. Auch sie selbst habe sich so richtig ins Thema Oper reingekniet, unzählige Libretti gelesen und sich mit den designierten Musikverantwortlichen die musikalische Seite angeschaut (im Notfall aus vergilbten Heften). «Aber ohne meine Töchter hätte es dieses Projekt nicht gegeben, das ist sonnenklar», so ihr Fazit. «Meine Kinder haben dem Projekt gefehlt, als sie ausgeflogen waren, ihre eigenen ‹Sommerwege› gingen und nicht mehr regelmässig dabei waren.»
«Ich würde gerne nochmals durchstarten»
Dreizehn erfolgreiche Opernproduktionen später, von denen die meisten in der «Grandezza»-Scheune über die Bühne gegangen sind, aber teilweise auch Fabrikhallen genutzt werden konnten, stand das überaus erfolgreiche Projekt an einem Wendepunkt. «Wir haben 2018 ‹La vera costanza› gespielt, eine Oper mit wahnsinnig schöner Musik, aber mit wenig äusserer Handlung», blendet die Regisseurin zurück. «Mir war deshalb etwas bange, aber der junge Dirigent hing an ebendieser Haydn-Oper und so gingen wir das Risiko ein. Schliesslich wurde es eine schöne, feine und kooperative Sache, die auch beim Publikum sehr gut ankam.» Was nun folgte, ist die Causa mit der Opernproduktion «Le Chalet», eine Geschichte, deren Ende noch nicht geschrieben ist. Ganz im Geiste ihres schon zur Tradition gewordenen Grundsatzes, Opern auszuwählen, die anderswo fast nie aufgeführt werden, hatte Mengia Caflisch dieses Stück des französischen Komponisten Adolphe Adam ausgesucht, das auf dem Singspiel «Jery und Bätely» von Goethe basiert. Eine Liebesgeschichte aus den Appenzeller Bergen zu Zeiten der napoleonischen Kriege voller Maskerade, Empathie und Komik. «Mit Glücksfall-Solisten, -Dirigent und -Orchester, sollte 2019 das ‹Chalet› – wieder eine grosse Produktion aus der Romantik – in einer Fabrikhalle zur Aufführung kommen. Auch war hier im Haus die regelmässige Pause vom Trubel angesagt.» Doch die Pause wurde länger als ein Jahr, und sie hält bis heute an.
«Die Fabrikhalle wäre uns gratis zur Verfügung gestellt worden, doch die bei der Besichtigung vorhandene Wendeltreppe, zwei Galerien und weitere für unsere Zwecke entscheidende Einrichtungen waren plötzlich demontiert, was das Gebäude für uns unbrauchbar bzw. unbezahlbar machte», erklärt die Regisseurin. Verschiedenes kam in Verzug und die Produktion musste schliesslich schweren Herzens abgesagt werden. Durch die darauffolgende Corona-Pandemie sei es auch in den Folgejahren nicht mehr möglich gewesen, das Projekt wieder aufzunehmen. Während Mengia Caflisch dies sagt, ist die Enttäuschung immer noch deutlich abzulesen in ihrem Gesicht, doch bei der Frage, ob sie sich eine baldige Wiederaufnahme vorstellen könne, wandelt sich ihre Mimik umgehend. «Es wäre sehr schön, aber ein riesiger Aufwand, denn junge Sänger und Musikerinnen und technische ‹Nerds› sind in ein paar Jahren über unser Projekt und dessen Finanzierungsmöglichkeiten hinausgewachsen. Vieles müsste neu aufgegleist werden, aber ich träume nach wie vor davon und freue mich über die positiven Signale von wichtigen Schlüsselpersonen und Mitarbeiterinnen aus verschiedenen Ressorts und regelmässige Nachfragen aus dem Publikum.»
«Welche Fäden lassen sich anknüpfen, und gelingt es, die entstandenen Lücken in der Technik, Schneiderei, bei Schreinern und Gastronominnen und insbesondere bei den jungen Gesangs- und Musiktalenten wieder zu füllen?» Diese Frage der Regisseurin, die so vielen Menschen mit ihren Opernproduktionen in Hausen verzaubernde, spannende Stunden geschenkt hat, soll hiermit nun in die Region hinausgetragen sein. Sehr gerne würde der «Anzeiger» über die Resonanz und die Folgen davon wieder berichten.