«Die Natur ist schlicht faszinierend»

Serie «Biodiversität» (1/5): Wie sich private Vereine und Gemeinden im Bezirk für die Artenvielfalt einsetzen

Heidi Mathys, Präsidentin des Vereins Naturnetz Unteramt, auf einem Wiesenabschnitt in Richtung Buchenegg. Der Verein pflegt den teils steilen Hang in aufwendiger Handarbeit. (Bilder Livia Häberling)

Heidi Mathys, Präsidentin des Vereins Naturnetz Unteramt, auf einem Wiesenabschnitt in Richtung Buchenegg. Der Verein pflegt den teils steilen Hang in aufwendiger Handarbeit. (Bilder Livia Häberling)

Der «Schattlibach» kann sich nicht zuletzt dank der Grabenpflege besser entfalten. (Bild VNU)

Der «Schattlibach» kann sich nicht zuletzt dank der Grabenpflege besser entfalten. (Bild VNU)

Im Rahmen des Projekts Schattlibach auf der Buchenegg wurden Hecken, Sträucher und Obstbäume gepflanzt.

Im Rahmen des Projekts Schattlibach auf der Buchenegg wurden Hecken, Sträucher und Obstbäume gepflanzt.

Von der Aufwertung profitieren diverse Tier- und Pflanzenarten, etwa der Stieglitz oder der Grasfrosch. (Bilder Pixabay)

Von der Aufwertung profitieren diverse Tier- und Pflanzenarten, etwa der Stieglitz oder der Grasfrosch. (Bilder Pixabay)

In Heidi Mathys’ Auto liegt auf der Beifahrerseite eine gemusterte Fussmatte. So ist das Auto in wenigen Handgriffen wieder sauber, selbst wenn die Schuhe mal wieder dreckig sind. Das werden sie bei der 75-jährigen Wettswilerin regelmässig: Seit sieben Jahren präsidiert Heidi Mathys den Verein Naturnetz Unteramt (VNU). Dabei, sagt sie, habe sie früher keine besonders enge Verbindung zur Natur gehabt. Sie war bereits pensioniert, als sie eines Tages einen ornithologischen Grundkurs ausgeschrieben sah und sich beim damaligen VNU-Präsidenten vorsichtig erkundigte, ob das denn in ihrem Alter «überhaupt noch Sinn mache». «Auf jeden Fall», meinte dieser. Heute nimmt Mathys jedes Jahr an mehreren ornithologischen Reisen teil. «Darin gehe ich auf», schwärmt sie. «Die Natur ist schlicht faszinierend.»

Es wäre nun aber nicht Heidi Mathys’ Art, mit dem Finger auf andere zu zeigen, die diese Begeisterung nicht teilen. Es ist genau dieser Tunnelblick, den Mathys fürchtete und der sie zunächst davon abhielt, sich im Vorstand des VNU zu engagieren, als man sie dafür zu gewinnen versuchte. Der Schnupper­einblick bestätigte ihre Bedenken allerdings nicht, im Gegenteil: Sie fühlte sich unter Gleichgesinnten. So kam es, dass Mathys 2014 in den Vorstand eintrat und 2017 das Präsidium übernahm.

Naturschutz erfordert viel Schreibtischarbeit

«Wir engagieren uns im Kleinen», erklärt Heidi Mathys zur Vereinsphilosophie. Will heissen: Die grosse und zuweilen laute Bühne der Politik überlässt man anderen, der VNU tritt nicht politisch in Erscheinung, auch wenn sich die Trennlinie nur unscharf ziehen lässt: Der VNU ist eine Untersektion von Birdlife Zürich, dessen Dachverband Birdlife Schweiz zu den drei Initianten der Biodiversitätsinitiative gehörte.

Heidi Mathys und die rund 230 Vereinsmitglieder konzentrieren sich auf die Arbeit an der Basis. Etwa auf die Pflege in neun Schutzgebieten, zu denen beispielsweise das Schleetal in Stallikon und die Filderen Wettswil gehören. Bei einigen dieser Grundstücke ist der VNU nur Pächter und betreut diese kommunalen Schutzobjekte im Auftrag des Kantons, bei anderen ist er auch Eigentümer. Teils verpachtet er das Land an Bauern weiter.

Zu diesen Pflegeeinsätzen kommen weitere Aktivitäten und Angebote: Von Exkursionen über Spaziergänge bis hin zu mehrteiligen Kursen – ein knappes Dutzend sind es im Jahr. Für die Jüngeren gibt es seit einigen Jahren zudem einen Kinderklub, der ein eigenes, altersgerechtes Jahresprogramm bietet: von der Exkursion im Wald bis zum Besuch der Igelstation.

Parallel zu den genannten Aktivitäten setzt der VNU diverse Projekte für den Natur- und Artenschutz um. Eines davon war das Aufwertungsprojekt Schattlibach im Jahr 2022, das zugleich eines der grössten in der Geschichte des Vereins wurde. Entstanden ist es im Rahmen des 100. Geburtstags von Birdlife Schweiz, zu dessen Jubiläum 100 «Naturjuwelen» lanciert wurden. Also Projekte, in denen wertvolle Lebensräume für die Biodiversität entstanden oder aufgewertet wurden.

Auch der VNU als Untersektion suchte nach einem solchen Naturjuwel als Jubiläumsprojekt und fand es auf der Buchenegg, unterhalb des gleichnamigen Restaurants. Das Land gehört der Stiftung Puureheimet Brotchorb und liegt auf Adliswiler Boden. Aus einer normal genutzten und beweideten Wiese mit einzelnen Obstbäumen und einem schnurgeraden Bach entstand bis im Herbst 2022 in rund 400 Stunden Freiwilligenarbeit das angepeilte «Naturjuwel». Seither finden sich dort sieben Hecken und 25 neue Obstbäume. Zudem kann sich der «Schattlibach» dank einer punktuellen Grabenpflege und leichter Aufweitungen mit Wurzelstöcken und Strukturelementen besser entfalten. Dem Gewässer entlang wachsen Weiden und Erlen. Bei einem Augenschein vor Ort sind die Insekten unüberhörbar.

Auch wenn die Landbesitzerin und die Stadt Adliswil sofort im Boot waren, sei bis zur Umsetzung des Projekts «unwahrscheinlich viel Korrespondenz» mit den Beteiligten und den kantonalen Instanzen angefallen, sagt Heidi Mathys, «man muss dranbleiben!» Dabei komme ihr nun ihr früherer Beruf zugute: Als langjährige Bausekretärin in Bonstetten kennt Mathys die Abläufe in kantonalen Verwaltungen oder in Behörden bestens. «Das hilft mir enorm», sagt sie. Ihren Zeitaufwand für die Vereinstätigkeit schätzt Mathys auf etwa 20 Prozent, wobei ihr ab und zu jemand sage: «Vermutlich ist es deutlich mehr.»

Privates Engagement: Drei Vereine sind besonders aktiv

Neben dem VNU gibt es weitere privat organisierte Vereine im Bezirk Affoltern, die sich für den Umwelt- und Artenschutz starkmachen. Sich eine Übersicht zu verschaffen, ist auf Anhieb nicht ganz einfach. Eine offizielle Dachorganisation gibt es im Bezirk nicht. In der jüngeren Vergangenheit gab es Bemühungen, um die Vernetzung und den Austausch zu intensivieren (dazu mehr im dritten Teil der Serie). Teilweise existieren der bilaterale Austausch oder die Zusammenarbeit bereits. Es gibt auch Freiwillige, die sich in mehreren Vereinen einsetzen.

Neben dem VNU sind in Gesprächen mit naturschutzengagierten Kreisen vor allem zwei Vereine erwähnt worden. Der Natur- und Vogelschutzverein Bezirk Affoltern (NVBA) und die Naturschutzgruppe Mettmenstetten (NSGM).

Ersterer ist mit rund 300 Mitgliedern der grösste Naturschutzverein im Bezirk. 1928 gegründet, blickt er auf eine fast 100-jährige Geschichte zurück. Genau wie der VNU organisiert auch der NVBA mehrere Kurse und Vorträge im Jahr. Dazu engagieren sich die Mitglieder in verschiedenen Projekten. So betreut der Verein etwa im Wald, auf Landwirtschaftsland und in Gärten rund 1200 künstliche Nisthilfen. Zudem pflegt er in Affoltern einen vielseitigen Vereinsgarten.

Etwas jünger und auch etwas kleiner ist die Naturschutzgruppe Mettmenstetten: Sie wurde im Jahr 1981 gegründet und zählt heute rund 130 Mitglieder. Auch sie organisiert im Jahr ein gutes Dutzend Veranstaltungen – von Ausstellungsbesuchen über Exkursionen bis hin zu regelmässigen Pflegeeinsätzen. Auch die NSGM bietet mit der Kindergruppe «Naturdetektive» ein Spezialprogramm für die Jüngeren. Anders als der Verein Naturnetz Unteramt und der Natur- und Vogelschutzverein Bezirk Affoltern besitzt die Naturschutzgruppe Mettmenstetten keine eigenen Grundstücke, sondern unterstützt in der Betreuung der Schutzgebiete.

Vernetzung der Vereine steht eher noch am Anfang

Sowohl VNU-Präsidentin Heidi Mathys als auch NSGM-Präsident Sven Potter sagen, die Zusammenarbeit mit den Gemeinden (Stallikon, Wettswil, Bonstetten und Mettmenstetten) funktioniere sehr gut. Bei der Vernetzung mit den anderen Naturschutzvereinen sehen beide noch Luft nach oben: «Wir wären einem intensiveren Austausch sicher nicht abgeneigt», sagt Mathys. Und auch Potter, der die NSGM seit zwei Jahren präsidiert, sagt: «Bei der Vernetzung auf Vereinsebene stehen wir eher noch am Anfang.» Eine Intensivierung hat auch er bisher nicht aktiv an die Hand genommen, wäre jedoch offen: «Grundsätzlich finde ich es begrüssenswert, Ideen auszutauschen und voneinander zu lernen.»

Gemeinden sind beim Naturschutz unterschiedlich weit

Zum privat organisierten Einsatz der Vereine kommt das Engagement der Gemeinden: Ein Blick in die Budgets zeigt, dass die Summen stark variieren. Sie sind denn auch nur bedingt vergleichbar: ­Erstens unterscheiden sich die Gemeinden in ihrer Finanzkraft stark, und zweitens wird der Umweltschutz in der Buchhaltung unter unterschiedlichen Namen oder Posten geführt.

Was mehrere Gespräche nahelegen (selbst wenn die Gemeinderätinnen und -räte sich wegen des Kollegialitäts­prinzips hüten würden, das öffentlich zu sagen): Wie viel Geld sich eine Gemeinde den Naturschutz kosten lässt, hängt nicht selten auch davon ab, wie fest sich einzelne Ratsmitglieder für das Thema starkmachen. Und natürlich, wie gross das Bewusstsein der Einwohnerinnen und Einwohner ist. Generell stehen die Gemeinden, was den Natur- und Artenschutz betrifft, an sehr unterschiedlichen Punkten.

Zur Serie

Am 22. September stimmt die Schweiz über die Biodiversitäts­initiative ab. In der jüngeren Vergangenheit kam auch im Bezirk Affoltern etwas mehr Bewegung in den Natur- und Artenschutz. 2020 wurde das Naturnetz Knonauer Amt ­gegründet und zuletzt stimmten mehrere Gemeinden über Einzel­initiativen ab, die zusätzliches Geld für die Biodiversität forderten. Wo steht der Bezirk Affoltern aktuell?

Der nächste Teil der Serie widmet sich dem Naturnetz Knonauer Amt. Mit dessen Aufbau waren grosse Hoffnungen verbunden. Von den bisherigen Resultaten und deren Wirkung sind allerdings längst nicht alle überzeugt. (lhä)

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