Die Suche nach Zusammenhalt

Referat des Philosophen Wilhelm Schmid in der Buchhandlung Scheidegger in Affoltern

Wilhelm Schmid geht aktuellen Themen mit viel Erfahrung, Wissen und Ernsthaftigkeit nach. Dabei kommt aber auch der Humor nicht zu kurz. (Bild Regula Zellweger)

«Die Gesellschaft kann man mit dem menschlichen Gehirn vergleichen», erklärt der Philosoph, Historiker und Buchautor Wilhelm Schmid. Er erwähnt, dass Männer mehr Neuronen besitzen. Neuronen sind spezialisierte Zellen im Nervensystem und verantwortlich für die Übertragung von Informationen. Relevant für die Hirnleistungen ist aber weniger die Anzahl der Neuronen, sondern die Anzahl der Synapsen, der Verbindungsstellen zwischen Neuronen. Synapsen sind entscheidend für die Signalübertragung im Nervensystem. Sie spielen eine wichtige Rolle in Prozessen wie Lernen, Gedächtnis und der Regulierung von Körperfunktionen. Und mit einem Schmunzeln fügt Schmid hinzu: «Frauen haben mehr ­Synapsen.» Um es auf den Punkt zu bringen: Es kommt für optimale Leistungen auf Verknüpfungen an, auf den Zusammenhalt. Der Titel seines neusten Buches heisst denn auch «Die Suche nach Zusammenhalt».

Philosophischer Seelsorger

Der Anlass in der Buchhandlung in ­Affoltern war gut besucht. Unter den Zuhörerinnen und Zuhörern fanden sich etliche Personen, die Wilhelm Schmid anlässlich seiner Tätigkeit als philosophischer Berater im Spital Affoltern kennen und schätzen gelernt hatten. «Früher kam ich zum Arbeiten nach Affoltern, heute ist es reines Vergnügen», meinte er anlässlich der Schweizer Buchpremiere bei Scheidegger.

Er begann vor fünf Jahren mit der Arbeit an diesem Buch. Damals hatten die USA noch nicht den aktuellen Präsidenten. «Bulldozer-Fahrer» nannte er die Autokraten, die heute die Welt zu regieren scheinen. Bereits vor fünf Jahren prophezeite der Lektor beim Suhrkamp Verlag: «Dieses Thema wird in Zukunft noch aktueller werden.» Schmid reiht sich aber nicht in die Reihe der Menschen ein, die den aktuellen geopolitischen Entwicklungen ausschliesslich negative Folgen abgewinnen. Er sieht, dass vieles falsch läuft, erkennt aber beispielsweise für Europa Chancen. Wenn sie Zusammenhalt finden und diesen auch ausstrahlen.

Lösungsansätze

Er plädiert dafür, dass Zusammenhalt auf allen Ebenen der Gesellschaft bewusst gefördert und gelebt wird. «Die Gesellschaft selbst braucht Wertschätzung: Was Menschen schätzen, schützen sie auch.» Oder einfacher gesagt: Die Balance zwischen «Wir» und «Ich» ist mit der Gewichtung von Werten wie Selbstverwirklichung und Autonomie aus dem Gleichgewicht geraten. Dass das «Ich» gestärkt wurde, war ein Prozess, der nicht zuletzt von Philosophen evoziert wurde. Dieser Prozess war notwendig – denke man beispielsweise an die Frauenemanzipation. Heute habe das Pendel aber zu stark Richtung «Ich» ausgeschlagen. Der Untertitel des Buches lautet: «Ich und Wir: Vom schönen und schwierigen Leben in Gesellschaft.»

Schmid will die Gesellschaft, die bürgerliche Mitte stärken. Dazu braucht es Menschen, deren Antennen nicht nur auf den eigenen Bauchnabel gerichtet sind, sondern solche, denen die Gesellschaft nicht egal ist. Menschen, die Sorge tragen zur Gesellschaft. Sorgende Bürger, die verstehen, dass Freiheit nicht darin besteht, zu tun, was man will, egal welche Auswirkungen das eigene Tun auf andere Lebewesen oder die Natur hat. Menschen, die Eigenverantwortung übernehmen und bewusst wahrnehmen, wie andere Menschen denken und fühlen, um deren Verhalten zu verstehen. Dazu braucht es Bereitschaft für Fürsorge und Kommunikation, nicht nur in den eigenen Kreisen, sondern auch mit anderen Gruppen. In der Soziologie wird eine Gruppe als eine Ansammlung von Individuen definiert, die durch gemeinsame Merkmale, Interessen oder Ziele miteinander verbunden sind. Beispiele für Gruppen sind Familien, Freundeskreise, Arbeitskollegen oder auch grössere Gemeinschaften wie ethnische oder religiöse Gruppen.

Gesellig sein

«Wir werden nicht gesehen, nicht ­gehört, nicht verstanden», ist oft die larmoyante Aussage von Gruppen. Andere Gruppen halten sich für besser als der Rest der Welt. Elitäres Denken ist kontraproduktiv für den Zusammenhalt einer Gesellschaft. Es gilt, sich für Gruppen und Personen, die andere Werte pflegen, in anderen sozialen Schichten leben, ihr Geld mit anderen Tätigkeiten verdienen oder die anderen Lebenskonzepte haben, ehrlich zu interessieren, zuzuhören und sie zu verstehen. Das heisst, nicht gleicher Meinung zu sein. Es gilt, Konflikte möglichst zu verhindern, Konflikte zu lösen. Schmid räumt ein, dass es unlösbare Konflikte gibt. Als Historiker setzt er auf die Zeit. «Konflikte werden mit der Zeit vergessen, so etwa der Konflikt zwischen Katholiken und Reformierten – früher Grund für Kriege, heute kaum mehr relevant.»

Warum ging Schmid nicht länger in die Politik? «Als Politiker muss man lügen können», lautet seine Antwort. Er bezieht klar Stellung, findet es richtig und wichtig, seine Meinung klar zu äussern. Er tut dies zu komplexen Themen mit einer bewusst gestalteten, bildhaften Sprache, die gut verständlich ist. Er ist Philosoph aus Berufung, will der Wahrheit auf die Spur kommen, obwohl er weiss: «Niemand kennt die Wahrheit als Ganzes.»

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