«Die Wirtschaftslage hat uns nicht in die Hände gespielt»
Claudio Fetz, Leiter Expansion bei der Genossenschaft Migros Zürich, äussert sich zur Schliessung von OBI

Claudio Fetz ist seit 2021 Leiter Expansion bei der Genossenschaft Migros Zürich. Im Gespräch mit dem «Anzeiger» gibt er Auskunft über sich verändernde Konsumgewohnheiten und weshalb der OBI-Baumarkt im Albis-Park nach nur knapp zwei Jahren wieder geschlossen wurde.
Welche Erfahrungen hat die Migros während der Corona-Zeit bezüglich des Einkaufsverhaltens ihre Kundinnen und Kunden gemacht?
Claudio Fetz: Es war nicht nur Corona, das das Einkaufsverhalten geprägt hat. Der Detailhandel entwickelt sich seit 15 Jahren allgemein sehr dynamisch. Die Corona-Zeit hat gewisse Entwicklungen noch beschleunigt. Prinzipiell beeinflussen drei Faktoren das Konsumverhalten. Erstens das oft knappe Zeitbudget der Kundschaft. Zweitens, wie mobil die Kundschaft ist. Und drittens die Bequemlichkeit. Will heissen: Welcher Einkaufskanal liefert der Kundschaft am einfachsten und bequemsten die gewünschte Ware? Je nach dem wie dann die Einkaufskanäle gewählt werden, verändert sich auch das Angebot der Migros.
Hat Corona nicht wie ein Brandbeschleuniger vor allem den Onlinehandel befeuert?
Da kann ich nur für die Genossenschaft Migros Zürich reden. In anderen Genossenschaften weicht das vielleicht ab. Es kommt eben sehr aufs Einzugsgebiet an, ob die Kundschaft in der Stadt oder auf dem Land lebt. Unsere Umsätze sind während Corona sogar noch gestiegen, weil die Leute viel mehr einkaufen gegangen sind. Anstatt im Restaurant zu essen, hat man für das Geld Lebensmittel gekauft und dann zu Hause gut gekocht. Es gab zwei Ausnahmen, die stark unter Corona gelitten haben. Der Flughafen in Zürich-Kloten und unsere Shops in den Bahnhöfen, da die Leute deutlich weniger unterwegs waren und auch nicht reisen durften. Selbst die Einkaufszentren haben sehr gut gearbeitet. Gewiss hat auch der Online-Handel profitiert. Aber nicht nur.
Sie stimmen nicht zu, dass der Onlinehandel den stationären Detaillisten das Wasser abgräbt und die grossen Einkaufscenters nicht mehr so gut laufen wie noch von 20 Jahren?
Man muss unterscheiden zwischen Food und Nonfood. Um Essen zu kaufen, kommt das Gros der Leute immer noch gerne persönlich bei uns vorbei. Selbst im Nonfood-Bereich ist noch immer der überwiegende Teil physischer Handel. Deshalb betreiben wir ja unsere Fachmärkte und Einkaufscenter. Auch die hatten einen grossen Umsatzschub während Corona. Die Wachstumszahlen stiegen zweistellig. Es ist also nicht so, dass die Leute nur noch online kaufen. Wir lassen den Kunden die Wahl, ob sie bei uns online oder in den Läden kaufen möchten.
Wie kommt es dann, dass die Migros den OBI-Markt in Affoltern so kurz nach der Eröffnung bereits wieder schliesst?
Wir hatten das Pech, dass in letzter Zeit verschiedene Faktoren die Konsumentenstimmung stark gedämpft haben. Der Ukraine-Krieg, die Inflation, die steigenden Zinsen. Das führte nicht nur zu steigenden Lebenshaltungskosten, sondern verunsicherte die Menschen, was sich negativ auf ihre Kauflust auswirkt.
2017 hatte sich die Migros als treibende Kraft aus dem Projekt Albispark zurückgezogen, mit der Begründung, die Planungsprämissen seien von der Zukunft eingeholt worden. Hatte man da schon eine Vorahnung?
Die Geschwindigkeit, mit der sich der Handel verändert, ist mit Sicherheit wesentlich höher als der langwierige Prozess einer Baubewilligung. Rückblickend kann ich dennoch sagen: Wir haben an den Standort geglaubt, sonst hätten wir unser Engagement nicht vorangetrieben. Aber wir wollten nicht mehr Bauherrin sein.
Welche Planungsprämissen waren da eigentlich gemeint?
Wie gesagt haben wir an den Standort geglaubt. Deshalb haben wir die Erschliessung des Perimeters vorangetrieben. Aber die Migros ist im Kerngeschäft keine Immobilienentwicklerin. Wir bauen deshalb selbst keine grossen Industrie- oder Gewerbeprojekte – ausser, wir sind der alleinige Nutzer der Immobilie. Im Albispark sind wir aber nur eingemietet. Die weitaus grössere Fläche ist an einen Möbelanbieter vermietet; Möbel Pfister, heute XXLutz.
Wie ist das Geschäftsverhältnis zwischen der Migros und OBI?
Wir sind ein Franchisenehmer der deutschen Baumarktkette.
Wie geht es weiter mit dem Mietverhältnis, wenn OBI ausgezogen ist?
Die Migros ist die Mieterin. Der Mietvertrag bleibt bestehen und wird von uns eingehalten. Anderenfalls müssten wir einen Nachmieter bringen.
Wie lange dauert das Mietverhältnis noch? Es kursierte mal die Zahl von 15 Jahren…
Über die Mietdauer will ich nichts sagen. Nur so viel: Wir schauen jetzt, ob wir einen Nachmieter für OBI finden. Es gibt verschiedene Interessenten. Die Verhandlungen laufen. Darum kann ich leider auch dazu im Moment nicht mehr sagen.
Wie gross ist die zu vermietende Fläche?
In etwa 7000 Quadratmeter. Die Fläche ist gut konditioniert, dass man ohne grosse Investition einziehen könnte. Somit ist auch keine lange Mietdauer zwingend. Üblicherweise gilt bei solchen Flächen: je höher die Investition für den Innenausbau, desto länger dauert der Mietvertrag, um die Investition zu amortisieren.
Können sie wenigstens verraten, in welche Richtung ihre Verhandlungen gehen? Wird es wieder etwas marktähnliches mit Publikumsfrequenz? Eventuell eine Produktionsfirma? Oder könnte es auch schlicht eine Lagerhalle werden?
Ich denke nicht, dass es einen Produktionsstandort gibt. Entweder gibt es wieder eine Verkaufsstätte mit Publikumsfrequenz oder dann jemand, der in seinem Betrieb zu wenig Platz hat. Die Nutzung als Lagerhalle wäre denkbar.
Wäre auch die Nutzung als Freizeitpark denkbar?
Wir von der Migros entwickeln selber keine solchen Formate. Aber wenn jemand als Betreiber mit einem solchen Projekt kommt, sind wir offen, es uns anzuhören.
Dann wäre die Option Freizeitpark tatsächlich möglich?
Wenn sich ein Betreiber dafür einsetzt, ist das durchaus möglich.
Wenn Sie jetzt so zurückschauen, hat sich die Migros mit dem Albis-Park verkalkuliert?
Die entscheidenden Effekte wie der Krieg und die veränderte Wirtschaftslage waren nicht vorhersehbar. Vielleicht haben wir auch das Einzugsgebiet etwas überschätzt. Hinterher ist es immer schwierig genau zu sagen, was nun der ausschlaggebende Faktor für die OBI-Schliessung war.
Sie sind erst seit zwei Jahren auf Ihrem Posten. Ketzerisch gefragt: Müssen Sie nun ausbaden, was Ihr Vorgänger falsch eingeschätzt hat?
Die Entscheide zum Bauen werden nicht in der Abteilung Expansion gefällt. Wir sind nur der Dienstleister, der die Entscheidungsgrundlagen liefert und die Immobilien und Bauparzellen sucht. Vielleicht war die Einschätzung vor 15 Jahren tatsächlich zu optimistisch, wenn man mit heute vergleicht. Mit Sicherheit kann man aber nur feststellen, dass sich die Wirtschaftslage viel schneller verändert hat, als der Standort entwickelt werden konnte.
Wie wichtig war der Zeitfaktor? Im Vergleich zu Hauptkonkurrent Hornbach kamen sie mit OBI erst zwei Jahre später auf den Markt. Zudem ist Hornbach auch verkehrstechnisch besser erschlossen.
Man hat seinerzeit den Standortentscheid Albispark sehr bewusst gewählt und auch im Wissen, dass dann Hornbach schon da sein wird.
Sie denken, die Zeit hat keine Rolle gespielt?
Die Etablierten sind natürlich immer im Vorteil. Das ist schon so. Ich denke, das ist aber nicht der entscheidende Faktor. Es ist nicht immer einfach, genau zu sagen, was nun den Erfolg oder Misserfolg ausmacht. Ich denke, es liegt wirklich an der Wirtschaftslage, die uns bei der Etablierung des OBI-Marktes nicht in die Hände gespielt hat.
Ich kann mir vorstellen, dass es selbst für eine Migros bzw. OBI nicht ganz einfach ist, so kurz nach der Eröffnung bereits wieder die Schliessung bekanntgeben zu müssen. Das ist ja immer auch begleitet von kritischen Fragen, sonst würden wir dieses Interview hier nicht führen. Welche Auswirkungen hat das auf die Strategie der Migros?
Auf die Strategie der Migros hat das keine Auswirkungen. Wenn ein so grosser Standort nicht läuft wie erwartet, sehen wir uns gezwungen ihn zu schliessen. Die rentierenden Filialen im Portfolio bleiben bestehen.
Funktioniert das Migros-Expansionskonzept nach dem System Try und Error?
So würde ich das nicht bezeichnen. Ich denke noch immer, dass der Albis-park eine ideale Lage nahe an der Autobahn hat. Aber es gibt halt noch andere Faktoren wie die Wirtschaftssituation, auf die wir keinen Einfluss haben.
Wie viele OBI-Angestellte verlieren ihren Job? Gibt es einen Sozialplan?
Von der Schliessung des Standorts Affoltern am Albis betroffen sind 27 Festangestellte sowie sechs Mitarbeitende im Stundenlohn. Für praktisch alle festen Mitarbeitenden konnte eine Weiterbeschäftigung gefunden werden.