«Diese Gemeindeversammlung ist ein gutes Beispiel gelebter Demokratie»

In Rifferswil standen diverse Verkehrsprojekte zur Abstimmung. Das Resultat ist ein eher unerwartetes

Um allen 407 Anwesenden in der Turnhalle eine Sitzgelegenheit anzubieten, war Organisationstalent gefragt. (Bilder Marcus Weiss)

Um allen 407 Anwesenden in der Turnhalle eine Sitzgelegenheit anzubieten, war Organisationstalent gefragt. (Bilder Marcus Weiss)

Wie genau die Kreuzung Albisstrasse im Unterdorf umgebaut wird, ist nach dieser Gemeindeversammlung noch nicht entschieden. Fest steht aber bereits, dass die Insel mit den beiden schwarz-gelben Pfosten verschwinden wird.

Wie genau die Kreuzung Albisstrasse im Unterdorf umgebaut wird, ist nach dieser Gemeindeversammlung noch nicht entschieden. Fest steht aber bereits, dass die Insel mit den beiden schwarz-gelben Pfosten verschwinden wird.

«Seit Menschengedenken war es hier nicht so voll», meint ein Anwesender gegenüber dem Berichterstatter des «Anzeigers» beim Eintreffen in der Turnhalle des Primarschulhauses Rifferswil.

Es ist Mittwochabend letzter Woche, und bereits bei der Ankunft im Dorf hat sich gezeigt, dass dieser 19. März 2025 ein besonderes Datum für die Einwohnerinnen und Einwohner der Gemeinde ist. In langen Karawanen strömen die Menschen zum Veranstaltungsort der ausserordentlichen Gemeindeversammlung. Es soll über die Verkehrsprojekte entschieden werden, die bereits im Anschluss an die letzte ordentliche Versammlung thematisiert worden sind, und die als weichenstellend gelten können. «Es befinden sich 407 Leute in ­diesem Raum, davon 391 Stimmberechtigte, ich hatte wohl noch nie eine so grosse Gemeindeversammlung», bestätigt Gemeindepräsident Christoph Lüthi den allgemeinen Eindruck. Für die Stimmenzähler muss die Turnhalle nun in Sektoren aufgeteilt werden, allein schon die anspruchsvolle Vorbereitung nimmt fast 20 Minuten in Anspruch. «Ich hörte von Leuten: ‹Ich komme nicht an diese Gemeindeversammlung, was ist, wenn meine Nachbarn sehen, wie ich hier abstimme›», lässt der Gemeindepräsident die Anwesenden wissen. «So etwas darf nicht sein, in einer Demokratie muss man andere Meinungen akzeptieren.»

«Es geht auch um Emotionen, nicht nur um Technik»

Der für den Tiefbau zuständige Gemeinderat Reto von Schulthess meint in ­seinen Begrüssungsworten, dass es an diesem Abend um mehr gehe als um simple technische Fragen. «Als Ingenieur dachte ich früher, Strassen hätten einen rein quantitativen Charakter, alles sind Zahlen und messbare Parameter, die man anpassen kann. Dies ist aber nur ein Teil der Realität, viel hat mit Meinungen und Empfindungen zu tun, denn es geht letztlich um Lebensraum, der durch Lärmquellen, Gefahren und weitere Dinge bedroht wird.» Umso besser sei es, dass die Einwohnerinnen und Einwohner selbst entscheiden könnten, was nun geschehe. Nachdem von Schulthess nochmals in einer kurzen Präsentation die Fakten zu den Projekten ­dargelegt hat (Rückblick auf die Projektentwicklung, Umsetzung mit Prioritäten, Zusammenfassung Verkehrsplan, etc.), kommt aus dem Saal die Frage nach den finanziellen Folgen. Sowohl der Tiefbauvorsteher als auch Gemeindepräsident Lüthi betonen anschliessend, dass der Souverän entscheide, ob Kosten und Nutzen in einem guten Verhältnis zueinanderstehen. Man müsse Schritt für Schritt festlegen, was man wann und zu welchen Beträgen umsetzen wolle. «Ein sogenanntes Eingangstor ist in fünf bis sechs Varianten planbar, und jede Variante hat einen anderen Preis», erklärt Christoph Lüthi als ­Beispiel.

Noch kein Entscheid über die Strassen-Übernahme vom Kanton

Es folgt die Abstimmung über Traktandum 1, die Festsetzung des Verkehrsrichtplans. Er wird mit 245 Ja-Stimmen, 113 Nein-Stimmen und fünf Enthaltungen angenommen. Vor dem Entscheid über Traktandum 2, der Genehmigung der Übernahme des Dorfplatzes und der Jonenbachstrasse (Abschnitt zwischen der Brücke Dorfplatz und der Albisstrasse) als Gemeindestrassen, stellt Reto von Schulthess nochmals die Fakten und die Motivation für dieses Projekt vor. «Ich möchte klarstellen, es ist nicht gratis zu haben. Wir beantragen heute nicht einen Kredit für eine Baumassnahme in vielleicht 25 Jahren, aber irgendwann werden Kosten auf uns zukommen.» Der Zustand der Strassen sei jedoch gut, sodass man in den nächsten Jahren nicht mit grossen Investitionen rechnen müsse. Dennoch folgt sogleich eine Diskussion mit Stimmberechtigten über die Kosten, wobei die vorgelegte Rechnung in Zweifel gezogen wird. Auch Polemik bezüglich des Steuerfusses, dessen Ansteigen auf Bezirks-Rekordniveau von einem Anwesenden prognostiziert wird, bleibt nicht aus. Unterschiedliche Meinungen, etwa zur Haltbarkeit von Strassen-Deckschichten, prallen aufeinander. Eine Stimme aus dem Saal weist zudem darauf hin, dass die Einführung von Tempo 30 auch ohne Übernahme der Strassen durch die Gemeinde möglich wäre, dies sei in den vergangenen Medienberichten falsch rübergekommen. In der Abstimmung wird die Abklassierung und Übernahme der Strassen mit 157 Ja- zu 211 Nein-Stimmen abgelehnt. Prompt folgt nun der Antrag, das Traktandum als Urnenabstimmung zu ­wiederholen, was äusserst knapp (es braucht 131 Ja-Stimmen, 132 Wahl­berechtigte stimmen zu) angenommen wird.

Tempo 30 findet Zustimmung bei den Stimmberechtigten

Als Nächstes ist Traktandum 3 an der Reihe, der Hauptantrag über die Genehmigung der Einführung einer Tempo-30-Zone auf den Gemeindestrassen (Verkehrsberuhigungskonzept) und des ­Rahmenkredits von 190000 Franken. Tiefbauvorsteher Reto von Schulthess erwähnt das im «Anzeiger» erschienene Zitat des Chefs der Verkehrspolizei, Thomas Iseli, wonach die Unfallschwere bei geringerer Geschwindigkeit klar abnimmt und fügt an, dass man es bei Strassen mit einem Zielkonflikt zwischen der Sicherheit und Aufenthaltsqualität einerseits und den Bedürfnissen der Verkehrsteilnehmer andererseits zu tun habe. «Wir haben uns entschieden, wenn wir Tempo 30 einführen, dann flächendeckend, sodass alles einheitlich ist und wir keine weiteren Tafeln und Markierungen in den Quartieren anbringen müssen, die nicht unbedingt eine Zierde darstellten.» Es gibt noch mehrere Wortmeldungen, darunter eines ehemaligen Hausarztes, der berichtet, während 30 Jahren eine eigene Praxis in Affoltern geführt zu haben. «Ich kann einfach sagen, bis Tempo 30 gibt es keine Toten», lautet sein Fazit bezüglich Geschwindigkeit. Die Vorlage wird mit 220 zu 136 Stimmen gutgeheissen, womit der Einführung der Tempo-30-Zone nichts mehr im Wege steht. In einer letzten Abstimmung an dieser drei Stunden dauernden Gemeindeversammlung entscheidet der Souverän dann noch, über beide möglichen 20er-Zonen (Begegnungszonen) an einer späteren ­Gemeindeversammlung nach der Urnenabstimmung über die Übernahme der Strassen vom Kanton zu entscheiden. Die Realisierung dieser Zonen ist ohnehin nur dann möglich, wenn die Strassen in das Gemeindeeigentum übergehen. Was ist das Fazit des Abends für Gemeindepräsident Christoph Lüthi? «Wir haben hier gelebte Demokratie gesehen, das ist positiv», meint er. Auf die Resul-tate ­angesprochen, sagt Lüthi, es habe ihn ­überrascht, wie problemlos die ­Tempo-30-Vorlage dann angenommen worden ist, nach all den Vorbehalten gegenüber der Strassen-Übernahme. ­«Sobald etwas finanzielle Folgen haben könnte, sind die Leute halt immer besonders vorsichtig.»

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