Durchzügler oder neuer Bewohner?
Wolfssichtungen im Kanton Zürich werfen Fragen über eine mögliche Rückkehr des Raubtiers auf
Die Rückkehr der Wölfe in die Schweiz sorgt für Diskussionen – auch im Kanton Zürich. Immer wieder kommt es zu Sichtungen einzelner Tiere, wie am 28. März des letzten Jahres in Kappel. Dort ist ein junger Wolf mitten am Tag durch das Dorf gestreift. «Verschiedene Leute schickten mir Videos und Fotos», berichtet David Vogelsanger, Bezirkspräsident der SVP. Auch ein Vorfall in Bonstetten bleibt in Erinnerung: Vor drei Jahren riss ein Wolf dort 25 Schafe. Bedeutet das langfristig eine Ansiedlung der Wölfe im Kanton Zürich?
Einzeltiere, keine Rudel
Laut der kantonalen Baudirektion gab es seit 2014 rund 15 gesicherte Wolfssichtungen oder -spuren im Kanton Zürich. «Es ist schwierig für einen Wolf, unbeobachtet durch den dicht besiedelten Kanton Zürich zu streifen», teilt Katharina Weber von der kantonalen Baudirektion auf Anfrage mit. «Eine dauerhafte Ansiedlung ist zwar nicht ausgeschlossen, doch bisher gibt es keine Anzeichen dafür.» Die im Kanton Zürich gesichteten Wölfe waren bisher Einzeltiere – vermutlich junge Wölfe, die ihr Rudel verlassen haben. «Wir rechnen weiterhin mit diesen durchziehenden Wölfen», sagt Katharina Weber. Ob und wie oft es zu weiteren Sichtungen kommt, hängt von der allgemeinen Entwicklung der Wolfspopulation in der Schweiz und in den angrenzenden Ländern ab.
Während der Kanton Zürich noch keine dauerhafte Wolfspopulation aufweist, ist die Situation in den Nachbarkantonen anders. «Im Kanton St. Gallen hat sich 2024 das Gamserrugg-Rudel nördlich des Walensee gebildet. Weiter südlich leben zudem das Schilt-2-Rudel im Kanton St. Gallen und das Kärpf-Rudel im Kanton Glarus – eine Entwicklung, die Fachleute genau beobachten», sagt Nicole Bosshard von der Stiftung Raubtierökologie und Wildtiermanagement Kora.
Lebensraum vorhanden
Der Wolf ernährt sich vor allem von Rehen, Gämsen, Hirschen und Wildschweinen, verschmäht aber auch Kleinsäuger, Vögel oder Aas nicht. «Die Verfügbarkeit an Beutetieren ist im Kanton Zürich hoch», so Katharina Weber. Doch für eine dauerhafte Ansiedlung braucht es nicht nur Nahrung, sondern auch geeignete Lebensräume mit ausreichend Platz und Rückzugsmöglichkeiten. Potenziell könnten etwa das Tössstockgebiet oder die Albis-Region solche Bedingungen bieten.
Grundsätzlich sind Wölfe scheu und meiden den Kontakt mit Menschen. Dennoch werden sie gelegentlich in Wohngebieten gesichtet. Fachleute betonen, dass vom Wolf keine direkte Gefahr ausgeht, solange man ihm mit Respekt begegnet. Sie empfehlen, Abstand zu halten und sich ruhig zurückzuziehen. «Nähert sich das Tier unangemessen, sollte man versuchen, es mit lauter Stimme zu vertreiben», ergänzt Katharina Weber. Hunde sollte man an die Leine nehmen. Sichtungen, wenn möglich, mit Bildern dokumentiert, der kantonale Fischerei- und Jagdverwaltung melden (Telefon 043 257 97 57).
Kontroverse um den Wolf
Die Rückkehr des Wolfs bleibt umstritten. David Vogelsanger erlebt in der Region seiner Alphütte im Maggiatal vermehrt Wolfsrisse. Seine Haltung zum Wolf hat sich dadurch verändert. «Anfangs empfand ich die Rückkehr des Wildtiers als Bereicherung, doch heute befürworte ich konsequente Abschüsse ausserhalb des Nationalparks.» Die Wölfe gefährden die Aufbauarbeit junger Idealisten, die mit seltenen Nutzrassen wie der schwarzen Verzascaziege die Berglandschaft wiederbeleben. «Unsere Vorfahren wussten, warum sie keine Wölfe mehr wollten – in fast jedem Dorf des Maggiatals gibt es noch steinerne Wolfsfallen.»
Die kantonale Fischerei- und Jagdverwaltung nimmt die Sorgen der Landwirte und der Bevölkerung ernst. Neben einem Warndienst zur Wolfspräsenz bietet der Kanton Zürich eine kostenlose Herdenschutzberatung an, um Landwirte zu unterstützen.
Ob der Wolf langfristig im Kanton Zürich heimisch wird, bleibt abzuwarten. «Das Thema Wolf sorgt in der Schweiz seit Jahren für kontroverse Debatten», sagt Nicole Bosshard. «Mit der wachsenden Zahl an Wolfsrudeln seit 2012 und der langwierigen politischen Auseinandersetzung, etwa um die Revision des Jagdgesetzes, bleibt die Gesellschaft gespalten.» Sowohl Befürworter als auch Gegner sind in der öffentlichen Diskussion stark vertreten.