Ein reiches Leben ist reich an Beziehungen
Philosoph und Astrophysiker Ludwig Hasler war zu Gast im Pflegezentrum Sonnenberg
Philosoph und Astrophysiker Ludwig Hasler fühlt sich mit seinen 80 Jahren berechtigt, über das Alter zu sprechen, wie er zu Beginn seines Vortrags am vergangenen Mittwochabend im Pflegezentrum Sonnenberg ausführt. Dass er zu den fitten Alten gehört, ist offensichtlich. Im Stehen, mit dem Mikrofon in der Hand, referiert er eineinhalb Stunden frei, eloquent mit viel Humor und Witz. Die eigene Fitness als einzigen Lebensinhalt lässt er aber nicht gelten, er plädiert für ein auf den Mitmenschen – nicht auf das eigene Ego – ausgerichtetes Leben im sogenannten dritten Alter, wie die Altersforschung den Lebensabschnitt von der Pensionierung bis zirka 80 Jahre nennt.
Nicht Passivmitglied der Gesellschaft sein
Den Slogan «Spaziere, lächle, gnüsse», mit dem die Zürcher Trams vor drei Jahren herumfuhren, erwähnt Hasler betont süffisant. «Aber doch nicht 25 Jahre lang», ruft er den 50 Zuhörerinnen und Zuhörern im Saal zu. Früher sei das Alter kurz und hart gewesen, heute lang und schön. Aber Hasler möchte lieber viel Leben in seinen Tagen als möglichst viele Tage in seinem Leben. «Diese Angst, man könnte irgendwann am Leben noch sterben, ist derart pervers, statt dass wir drauflos leben und etwas machen.»
Er kritisiert die Medizin, die der Gesellschaft immer ältere Menschen prophezeie, aber keine Rezepte habe, wie das lange Leben sinnerfüllt gelebt werden könne, von der Finanzierung dieser Langlebigkeit ganz abgesehen. Mit der Pensionierung würden wir in die Passivmitgliedschaft entlassen. «Wir werden entwertet, von der Bühne abserviert», spitzt es Ludwig Hasler zu. Die soziale Einbindung in die Sippe gäbe es auch nicht mehr. Die Statistik zeige die Auswirkung, Hasler nennt es den «Überflüssigkeitskoller», in den viele Pensionierte geraten, der oft zu Depression und Alkoholismus führe.
Der reziproke Egoismus als Lebensstrategie
In der Schweiz bereite man sich immer noch nicht genügend auf die Pension vor, höchstens vielleicht finanziell. Der Traum vom Nichtstun sei noch weit verbreitet, führt Hasler aus. Nach der Pensionierung greife bei vielen eine Hektik um sich, aus dem Leben noch alles herauszuholen, was es hergäbe: das Abhaken von Reisezielen, sich fit halten mit ausgedehnten Trainingsstunden. «Ich bin umzingelt von Gleichaltrigen, die permanent unterwegs sind, das Irritierendste dabei ist, dass sie fast immer als die Gleichen zurückkommen, als die sie gegangen sind. Sie könnten ebenso gut fernsehen.» Grosses Gelächter im Saal. Das Problematischste dabei sei aber, dass sie zu Hause ihre Nestpflege vernachlässigen würden. Wo man wohne, müsse man ein reiches Leben mit reichen Beziehungen führen, auch ausserhalb der Familie.
Er nimmt jene auf die Schippe, die sich nur in der engen Familienzelle, «den Liebsten», bewegen, er selbst rede inzwischen wieder von den Angehörigen. «Der Mensch ist ein exzentrisches Wesen, das es mit sich allein nicht aushält.» Ludwig Hasler nennt seine Lebensstrategie den reziproken Egoismus, er schaut, dass es dem anderen gut geht, sich selbst aber auch. Freundlich auf Leute zugehen, zum Gespräch bereit sein, er redet nicht vom übertriebenen Glück, da sei man eh nicht bei Sinnen, sondern davon, wach, heiter und vergnügt durchs Leben zu gehen, vom Passivmitglied zum Akteur der eigenen Welt zu werden. Der Sinn liege vor der Haustüre, sich klar zu werden, dass das eigene Leben auch eine Bedeutung für den andern habe. Der Mensch wolle wahrgenommen werden. Wenn Ludwig Hasler Jugendlichen Mathematik Nachhilfestunden gebe, dann wüssten die danach nicht nur Mathematik, sondern sie kriegten auch Selbstvertrauen, das ihnen helfe, ihren Weg zu gehen, und er habe die Befriedigung, dass er dabei sein werde. Das ist sein Glaube an ein Leben nach dem Tod. «Es muss ja nicht mein eigenes sein.»
Franziska Marty, die Geschäftsführerin des Pflegezentrums Sonnenberg, dankt Ludwig Hasler für den spannenden Vortrag und übergibt dem leidenschaftlichen Wanderer einen Picknick-Sack mit Säuliämter Spezialitäten. Es ist ihr auch ein grosses Anliegen den 35 Freiwilligen, die sich im Sonnenberg – statt ego- eben exzentrisch für den Mitmenschen – engagieren, für ihr stetes Engagement zu danken. Ebenso dankt sie der Stiftung Spital Affoltern, die die diesjährige Vortragsserie finanziere und eröffnet dann das anschliessende Apérobuffet, das den gelungenen Anlass beschliesst.