Eine Dolmetscherin spricht sich frei
Zarina Tadjibaevas Programm «Neutralisiert – wie verstehen Sie die Dolmetscherin?» rührte am Samstag in Hausen die Gäste

Fühlt sie sich
als Teil des Systems
auch als Teil des Problems?
Man könnte im Titel ihres Programms bereits die Antwort deuten: «Neutralisiert» hat sie es getauft und damit ein Wort gewählt, das auf die Unparteilichkeit, ihr oberstes Arbeitsgebot als Asyl- und Behördendolmetscherin anspielt, das aber auch in einem anderen Wortsinn gelesen werden kann: ausgeschaltet.
Zunächst hatte das funktioniert: Zarina Tadjibaeva war in der ehemaligen Sowjetrepublik Tadschikistan geboren, hat in ihrer Heimat und in Deutschland studiert und nach ihrem Zuzug in die Schweiz während Jahren für die Sprachen Russisch und Persisch in Asyl- und Behördenverfahren als Dolmetscherin gearbeitet. In den Anhörungen gab sie pflichtschuldig Wort für Wort und Satz für Satz wieder, bis aus den Lebenswegen, Erfahrungen und Schicksalen, die sie dort Tag für Tag hörte, ein Protokoll entstanden war.
Dann sass in einer dieser Asylanhörungen eines Tages ein junger Mann vor ihr, der im Begriff war, sich bei der Befragung zu widersprechen. Also half sie ihm – und die Gesprächsführerin kam ihr auf die Schliche. Der Ausschalt-Knopf für das Mitgefühl, vielleicht auch für das Mitleid, hatte nicht mehr funktioniert.
Der Krieg in der Ukraine und die Ungleichbehandlung von geflüchteten Menschen aus anderen Kriegsregionen, sagt Zarina Tadjibaeva, habe sie in eine persönliche Krise gestürzt. War sie nur ein Sprachrohr oder auch Komplizin eines repressiven Systems? Wie menschlich sind solche Anhörungen? Aus diesem Hadern, aus den Fäden dieses Zweifelns, auf der richtigen Seite zu stehen (wo sie doch als Dolmetscherin – oberstes Credo – auf gar keiner Seite stehen soll), ist nun der Stoff für ihr Bühnenprogramm «Neutralisiert – wie verstehen Sie die Dolmetscherin?» gewoben.
Viel Raum für Projektion
Für den Verein Kultur im Dorf war es nach den beiden März-Publikumsgaranten «Schreiber vs. Schneider» und dem Frölein Da Capo ein kleineres Wagnis, eine Künstlerin nach Hausen einzuladen, die mit ihren Programminhalten nicht nur abseits von abgetrampelten Themenpfaden wandelt, sondern auch politisch deutlich Stellung bezieht.
Es war denn auch erwartungsgemäss ein etwas ausgewählteres Publikum, das sich am Samstagabend im Gemeindesaal Weid einfand. Doch diesem bot sich in anderthalb Stunden eine vielschichtige, auch aufwühlende Bühnenshow, die nicht nur visuell, sondern durch die Aufbereitung in Videosequenzen, in Text und Bühnengesang auch medial mehrere Ebenen fand. Die feingewobenen Stoffvorhänge, die auf der Bühne als Projektionsfläche dienten, erinnerten dabei an den Entwicklungsprozess der Künstlerin selbst – waren sie doch zu Beginn des Abends weiss – neutral –, während sie dann nach und nach mit den Sequenzen bespielt und so mit Persönlichkeit eingefärbt wurden.
In «Neutralisiert – wie verstehen Sie die Dolmetscherin?» schlüpft Zarina Tadjibaeva, die auch ausgebildete Schauspielerin und Sängerin ist, in verschiedene Rollen. Sie ist Dolmetscherin, Gesprächsführerin und Antragsstellerin in Personalunion und spielt auf der Bühne in den Videosequenzen ihr eigenes Asylverfahren durch. Dabei legt sie mitunter skurrile Verfahrensszenen frei: Etwa, wenn die akzentfrei Deutsch sprechende Tadjibaeva von ihrer Befrager-Figur aufgefordert wird, in ihrer Muttersprache zu antworten, damit sie «alles sagen» könne. In solchen Momenten lässt sich erahnen, wie weit sich Tadjibaeva inzwischen emotional von ihrer Rolle als Asyldolmetscherin und damit auch von der Behörde, ihrer ehemaligen Auftraggeberin, entfernt hat: Was die eine Seite als Angebot zum rechtlichen Gehör versteht, nimmt die andere Seite als diskriminierendes Theater wahr.
«Die Fragen fühlten sich an wie kleine, scharfe Messer, die in seine Richtung flogen», reflektiert Zarina Tadjibaeva einmal über eine Befragungssituation. Es ist der Blick zurück von einer, die ihre Vergangenheit immer schärfer sieht.