Er war Hausarzt mit Leidenschaft
Nach fast 40-jährigem Engagement geniesst Philippe Luchsinger heute den Ruhestand
Philippe Luchsinger wusste schon früh, was er wollte, und setzte seine Ziele mit beeindruckender Konsequenz um. «Ich war immer zielgerichtet», beschreibt er sich selbst. Ein Blick auf seine Biografie bestätigt diese Selbstwahrnehmung: Matura, direkt anschliessendes Medizinstudium in Zürich, Rekrutenschule, Beginn der Facharztausbildung und die Übernahme einer eigenen Praxis mit gerade mal 30 Jahren. Heirat noch während des Studiums mit 22 Jahren, zwei Töchter und ein Sohn, ein Hausbau zwischendurch und zudem noch jahrelanges Engagement im Verband mfe Haus- und Kinderärzte Schweiz.
«Ich verstehe mich als Säuliämtler»
Hinter diesen beeindruckenden Stationen steckt ein Mensch, der seine Berufung gefunden hat. Für Luchsinger war es schon mit 17 Jahren klar, dass er Hausarzt werden wollte. Eine Sportverletzung brachte ihn damals ins Krankenhaus – und das Erlebnis prägte ihn nachhaltig. «Als Hausarzt bin ich am nächsten bei den Menschen und ihren Familien», sagt er mit spürbarer Begeisterung. Er schätzt die persönliche Bindung, die er zu seinen Patientinnen und Patienten aufbaut, und schätzt es, ganze Familien – vom Säugling bis zur Urgrossmutter – betreuen zu dürfen.
Aufgewachsen in Hedingen, war für ihn und seine Frau, eine gebürtige Affoltemerin, immer klar, dass er als Hausarzt im Säuliamt arbeiten wollte. Seine enge Verbundenheit zur Region drückt sich nicht nur in seiner Arbeit, sondern auch in seinem Alltag aus: Er hat keine Berührungsängste, wenn er Patientinnen und Patienten in der Migros trifft. «Ich verstehe mich als Säuliämtler», sagt er mit einem Lächeln. Nach dem Studium sammelte er Erfahrungen in verschiedenen Spitälern, um seine Kenntnisse durch einen Facharzttitel in Allgemeiner Innerer Medizin zu erweitern. Seine Karriere als Hausarzt begann er in der Praxis des «Sugus-Doktors» – benannt nach dessen Tradition, Kindern Sugus zu schenken – in der Zürichstrasse. Ursprünglich war die Praxisübernahme für Herbst 1988 geplant, doch als sein Vorgänger plötzlich im Herbst 1987 verstarb, musste Luchsinger früher einspringen. Trotz unvollendeter Facharztausbildung (die wurde dann später nachgeholt) übernahm er die Verantwortung: zwei Angestellte, ein Bankkredit und eine Praxis – und das mit gerade einmal 30 Jahren.
Als Jahre später eine ungerechtfertigte Mieterhöhung drohte, handelte Luchsinger entschlossen. Ein Glücksfall war, dass zu dieser Zeit in der Betpurstrasse neue Mietshäuser entstanden. Dort konnte er neue Praxisräume einrichten, perfekt zugeschnitten auf die Bedürfnisse einer modernen und mittlerweile grossen Hausarztpraxis. Seit 2017 befindet sich die Praxis «Im Rosenfeld» – benannt nach dem Ort, an dem der Grossvater des Vermieters, ein bekannter Florist und Landschaftsgärtner in Affoltern, Rosen züchtete.
Langfristigkeit und Kontinuität waren für Luchsinger nicht nur hinsichtlich des Standorts wichtig, sondern noch viel mehr hinsichtlich der angestellten Ärztinnen und medizinischen Praxisassistentinnen, die alle schon jahrelang bei ihm arbeiten und jetzt auch in gleicher Besetzung die Praxis übernommen haben. Diese Kontinuität ist laut Luchsinger auf geteilte Werte wie Respekt, Wertschätzung und Freiraum zurückzuführen.
Verbandsarbeit für die Hausarztmedizin
«Oberster Hausarzt der Schweiz» oder «Mr. Hausarzt» – so wird Philippe Luchsinger oft vorgestellt, wenn er sich öffentlich für die Belange der Hausarztmedizin einsetzt. Sein Engagement im Verband mfe – Haus- und Kinderärzte Schweiz begann 1993 auf Bezirksebene, setzte sich auf kantonaler Ebene im Kanton Zürich fort und fand schliesslich auf nationaler Ebene seinen Höhepunkt. Dort war er zunächst Mitglied des Vorstands, bevor er von 2017 bis 2022 als Präsident des Verbands wirkte.
Der mfe ist ein politischer Verband, dessen Ziel die Besserstellung der Hausarztmedizin in der Schweiz ist. Der Vorstand setzt die strategischen Ziele und übernimmt die Kommunikation. Luchsinger ist überzeugt, dass eine Stärkung der Hausarztmedizin eine Stärkung des schweizerischen Gesundheitssystems bedeutet und auch zur Kostensenkung beiträgt. Während seiner Tätigkeit im Vorstand reduzierte er seine Praxisarbeit, um sich der politischen Netzwerkarbeit und der Öffentlichkeitsarbeit widmen zu können. Besonders stolz ist er auf die hohe Glaubwürdigkeit, die der mfe mittlerweile in der Politik geniesst. So zeigte Bundesrätin Baume-Schneider Präsenz, als der mfe kürzlich eine Petition für ein «Impulsprogramm Hausarztmedizin» einreichte – eine Geste, die er als sehr wertschätzend empfand. Für Luchsinger war und ist (er wird weiterhin im Vorstand mitarbeiten) das Engagement im Verband auch eine persönliche Bereicherung: Es ermöglicht ihm Einblicke in die politische Landschaft und einen direkten Draht zu Entscheidungsträgern aus der Politik, dem Bundesamt für Gesundheit und den Krankenversicherungen.
Ein neues Kapitel hat begonnen
Ende Juni 2024 übergab Philippe Luchsinger seine Praxis an die langjährigen Mitarbeiterinnen. Dieser bedeutende Meilenstein wurde mit einem grossen Fest für die Familie und Mitarbeitende aus allen Dekaden gefeiert. Nun geniesst er seinen Ruhestand. Dabei weiss er auch hier genau, was er will – und was nicht: «Keine Kreuzfahrt, keine Weltreise und kein Golfen!» Stattdessen freut er sich darauf, die neu gewonnene Zeitautonomie auszukosten: lesen, wandern, Kultur erleben und einfach das schöne Haus in Affoltern geniessen.
Auf seiner Wunschliste steht als Nächstes ein Besuch der Abramović-Ausstellung im Kunsthaus. «Ich bin gemütlich unterwegs», sagt er zufrieden. Und warum auch nicht? Die Zeit mit Familie und Enkeln ist mindestens genauso wertvoll wie die Herausforderungen der vergangenen Jahrzehnte.