Hat er den Auftragsmörder gesucht – oder war es «Tom»?

54-jähriger Schweizer bestreitet die Vorwürfe vor dem Bezirksgericht Affoltern

Versuchte Anstiftung zum Mord: Rund zehn Stunden dauerte die Gerichtsverhandlung in Affoltern. (Bild Werner Schneiter)

Hat der 54-jährige Schweizer im Darknet einen Auftragsmörder für seine Frau gesucht oder ist er Opfer eines Hackers geworden? Über diese Frage muss das Bezirksgericht Affoltern nach einer rund zehn Stunden dauernden Verhandlung entscheiden.

Bei Prozessen in Affoltern sitzt der Gerichtsreporter des «Anzeigers» in aller Regel allein im Zuschauerbereich – nicht so letzte Woche: Wohl gegen 50 Personen – unter ihnen zahlreiche überregionale Medien – fluteten die drei zur Verfügung stehenden Räume. Immerhin ging es um versuchte Anstiftung zum Mord. Vor Gericht stand ein 54-jähriger Consultant, der im Bezirk Affoltern wohnt. Ihm wird vorgeworfen, auf der Darknet-Plattform «Online Killers ­Market» im Januar 2023 unter dem ­Pseudonym «sitting.dark» einen Auftragsmörder gesucht zu haben. Dazu erteilt er einem unbekannten Administrator einen Auftrag, die Ex-Partnerin umzubringen – mit der Option «shoot to kill an drive away», ohne die Kinder zu behelligen. Geliefert werden ein Foto von ihr sowie das Bild ihres Autos samt Autonummer. Der Beschuldigte eröffnet ein Bitcoin-Konto. Dazu installiert er ein sogenanntes Wallnet. Dies ermöglicht die Verschleierung von Transaktionen.

Mit der Frage nach dem Zeitpunkt der Tötung will sich der Mann ein Alibi verschaffen. Offenbar weiss aber «sitting.dark» nicht, dass der Online-Auftragsmörder-Markt ein Betrug ist, aber für die Betrüger eine sichere Sache, weil ja niemand die Polizei informiert, dass die vereinbarte und bezahlte Tötung nie stattgefunden hat. In der Anklage sind die Vorwürfe minutiös und auf die Minute genau festgehalten. Hintergrund ist ein langer Streit um Besuchsrechte und für Unterhaltszahlungen, der auch in tätliche Auseinandersetzungen mündete. Laut Anklage soll der Mann bereits eineinhalb Jahre zuvor im Darknet jemanden gesucht haben, der seiner Frau durch Anwendung von Gewalt «Respekt einflösst» – nicht, um sie zu töten, aber zumindest ins Spital zu bringen. Dafür habe er 2500 Franken aufgewendet.

15 Jahre Gefängnis gefordert

Die Staatsanwältin ist von seiner Schuld restlos überzeugt. Sie spricht von einem seltenen und erschreckenden Fall, der zu massiver Einschränkung der Sicherheit seiner Ex-Frau und der beiden gemeinsam Kinder geführt habe und von wiederkehrender häuslicher Gewalt, die ihr widerfahren sei. Für die Anklägerin bestehen «massenweise erdrückende Beweise», erbracht durch digitale Auswertungen und Konversationen in Chat­verläufen sowie durch das an den Killer verschickte Foto seiner Ex. Zahlreiche Datenträger seien sichergestellt worden, und zudem habe er sich eines Verschleierungsprogramms bedient. Die Staatsanwältin erwähnte auch die «realitätsnahen Schilderungen» seiner Ex-Frau wegen Aggressionen und den Umstand, dass er für das zweite Kind nicht mehr zahlen wollte. Laut einem Gerichts­urteil, das er zwei Wochen vor dem Tötungs­auftrag erhielt, wurde er zu rückwirkenden Unterhaltszahlungen in sechsstelliger Höhe verpflichtet.

Für den Beschuldigten, der sich seit 16. Februar 2023 in Haft befindet, fordert sie eine Freiheitsstrafe von 15 Jahren: wegen versuchter Anstiftung zum Mord, versuchter Anstiftung zu schwerer Körperverletzung oder – eventualiter – Vorbereitung zu schwerer Körperverletzung.

Die Vertreterin der Ex-Frau des Beschuldigten sprach von Angststörungen ihrer Mandantin, was derzeit ein Arbeiten verunmögliche und psychologische Begleitung nötig mache. Dass sie trotzdem persönlich zum für sie äusserst belastenden Prozess erschienen sei, helfe ihr für die Verarbeitung des Geschehens. Sie forderte eine Prozessentschädigung von 23000 Franken und einen Schuldspruch im Sinne der Anklage.

Verhandlungsleiter Andreas Huber befragte zu Prozessbeginn die 49-jährige Lebenspartnerin des Beschuldigten, die seit Dezember 2021 bei ihm wohnt und laut eigenen Aussagen «eine schöne Beziehung» hat – und ihn vor Gericht mit sechs Daten entlasten will. Demgemäss soll der Beschuldigte während jener Zeiten, als im Darknet aktiv nach einem Killer gesucht wurde und der sogenannte Tor-Browser aktiv war, geschlafen und keine Schritte ausgeführt haben – belegt durch Daten aus seinem Mobiltelefon und seiner Smartwatch. Zu untermauern versuchte sie das durch eigene, präzis vorgetragene Erinnerungen mit exakten Zeitangaben.

Der ominöse «Tom»

In der Befragung betonte der Beschuldigte immer wieder, er sei es nicht gewesen, der die entsprechenden Computereingaben getätigt habe – auch wenn nachgewiesen wurde, dass Bitcoin-Überweisungen und Chats über seinen PC getätigt worden waren. «Ich war das wirklich nicht», sagte er immer wieder, auch auf die Frage der Verschleierung. Er vermutet, dass jemand in seinen Rechner eingedrungen ist – und dazu schiebt er die Vermutung nach, dass dies ein sogenannter «Tom» gewesen sein könnte: einen Mann, den er 2019 in ­einer Bar in Zürich kennengelernt, aber nur einmal gesehen hat und über die gleichen Probleme klagte. Gleichwohl entstanden hier via Chat eine vertrauensvolle Beziehung und die Absicht ­einer gemeinsamen Publikation, mit der die «Leiden» geschiedener Männer thematisiert werden sollten. Jedenfalls überwies er «Tom», den er nur einmal zu Gesicht bekam, 20000 Franken. Warum soll dieser «Tom» in seinen PC eingedrungen sein? Um ihm einen Gefallen zu tun oder in der Absicht, einen Testlauf für die Beseitigung der Partnerin des Beschuldigten durchzuführen? «Ich traue ihm das eigentlich nicht zu, es hätte auch eine Drittperson sein können», sagte der Beschuldigte. All dies habe der Beschuldigte dann erfunden, als ihm digitale Beweise präsentiert worden seien, hielt die Staatsanwältin ihrem Plädoyer fest.

Der Verteidiger fordert einen vollständigen Freispruch für seinen Mandanten, einen Sockelbetrag von 60000 Franken sowie 300 Franken Entschädigung pro Hafttag und die sofortige ­Freilassung. Es sei kein Tatnachweis erbracht worden; die Anklage habe lediglich Behauptungen übernommen und Beweise seien nicht verwertbar, sagte der Verteidiger in seinem sich gegen drei Stunden hinziehenden Plädoyer – mit dem Hinweis auch auf die minutiösen Aufzeichnungen der Lebenspartnerin, die zeigten: «Er kann es nicht gewesen sein.» Er zeichnete das Bild eines Mannes, der gegen Ungerechtigkeit in Sachen Besuchsrecht der Kinder und Unterhaltszahlungen kämpft – gewiss aber nicht ihren Tod will, «weil er davon keinerlei Vorteile hätte». Technisch sei es ohne Weiteres möglich, dass Passwörter seines Mandanten von aussen gehackt und Spuren von Fremdbeeinflussung beseitigt worden seien. Zudem offenbare eine einfache Google-Suche, dass solche Auftragsmord-Websites reiner Betrug seien. Ursprünglich seien die behördlichen Beweise in Grossbritannien erhoben und Nutzer in eine Falle gelockt worden. Der Verteidiger zitierte auch ein von der Lebenspartnerin des Beschuldigten in Auftrag gegebenes 20000-Franken-Privatgutachten. Darin hat der prominente Strafrechtler Daniel Jositsch sowohl die Verwertbarkeit der Beweise als auch die Zulässigkeit der Behörden verneint.

In seinem Schlusswort stellte sich der Beschuldigte als friedfertige Person dar, die keine Konflikte mag und konsensorientiert ist. Noch kurz vor seiner Verhaftung habe er mögliche Lösungen für Besuchsrechte mit der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) diskutiert. Er wolle nur Teil der Kinder sein, die Anrecht auf Mutter und Vater hätten, beschwor er. «Ich will ins Leben zurück, das ich vorher gehabt habe», schloss der Beschuldigte. Ob das so schnell möglich wird? Wann das Bezirksgericht ein Urteil fällt, ist noch nicht bekannt.

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