«Heute würde ich öffentlich ausschreiben»

Hausverkauf, Türlersee-Pacht, Baustopp: Im Interview nimmt der Hausemer Gemeindepräsident Stefan Gyseler zu drei Geschäften Stellung, die in den vergangenen Wochen für Missmut gesorgt haben

Stefan Gyseler (FDP) amtet in Hausen seit 2014 als Gemeindepräsident. (Bild lhä)
Stefan Gyseler (FDP) amtet in Hausen seit 2014 als Gemeindepräsident. (Bild lhä)

«Anzeiger»: Unser Gespräch findet am 15. Juli statt, am ersten Tag der Sommerferien. Wie erleichtert sind Sie, dass nun Ferien sind?

Stefan Gyseler: Ich bin froh. Das erste Halbjahr war sehr intensiv – im Unternehmen, im Spital, aber auch politisch. Über die Sommerferien wird es jeweils in allen Bereichen etwas ruhiger.

Zuletzt hatten in Hausen mehrere Geschäfte für Diskussionen gesorgt. Den Anfang machte ein Immobilienverkauf. Die gemeindenahe Widmer-Frick-Stiftung verkaufte einer Gemeinderätin unter der Hand ein Haus. Als Mitglied des Stiftungsrats trugen Sie diesen Entscheid mit. Was waren damals Ihre Überlegungen?

Die Widmer-Frick-Stiftung stand bei dieser Liegenschaft vor grösseren Investitionen. Zu diesem Zeitpunkt erkundigte sich der Besitzer des Nachbargrundstücks (der Ehemann der Gemeinderätin, Anm. d. Red.) nach einem Näherbaurecht. Aus unserer Sicht schien es am sinnvollsten, die Liegenschaft zu einem fairen Marktpreis zu verkaufen. Juristisch war das Vorgehen einwandfrei, dies bestätigte auch der Bezirksrat. Doch wenn ich nun die Reaktionen sehe, muss ich sagen: Politisch war es offensichtlich nicht so geschickt.

Können Sie die Kritik aus der Bevölkerung nachvollziehen?

Ich glaube, dass der Stiftungsrat in dieser Sache differenzierter unterschieden hat als die Bevölkerung: Intern wussten wir, dass die Verkaufsverhandlungen nicht über die Gemeinderätin liefen, sondern ausschliesslich über ihren Ehemann. Zudem handelte es sich nicht um Gemeinde-, sondern um Stiftungsgeld. Unser Gemeindeschreiber Christoph Rohner, der hinterher auch angegriffen wurde, hat aus meiner Sicht korrekt gehandelt. Er war für die juristischen Belange verantwortlich, und juristisch war das Geschäft einwandfrei.

Er ist allerdings der Stiftungsratspräsident und war damit Entscheidungsträger.

Das stimmt, doch ich bin auch im Stiftungsrat. Es wäre meine Aufgabe gewesen zu erahnen, dass dieser Entscheid politisch Wellen schlagen könnte. Das habe ich unterschätzt. Ich übernehme diesbezüglich die Verantwortung und bedaure, dass ich diesen Entscheid so falsch eingeschätzt habe.

Juristisch mag die Sache wasserdicht sein. Dennoch: Sie beide sind Fachpersonen. Herr Rohner ist Jurist, Sie selbst sind in mehreren Verwaltungsräten engagiert. Vetternwirtschafts- oder Befangenheitsthematiken sind Ihnen vertraut. Hätte man da nicht etwas mehr Feingefühl erwarten dürfen?

Doch, das hätte man erwarten dürfen, und diese Kritik kann ich nachvollziehen. Ich glaube, ich habe etwas zu unternehmerisch reagiert, zu fest aus der Perspektive des Ökonomen, der vor einem Problem steht, die Möglichkeit für eine schnelle, faire Lösung sieht und zum nächsten Problem übergeht. Ich habe zu wenig Sensibilität walten lassen, und es ärgert mich. Ich kann aber versichern, dass wir nicht die Absicht hatten, jemandem etwas zuzuhalten.

Wie würden Sie den Hausverkauf mit dem heutigen Wissensstand abwickeln?

Ich würde eine öffentliche Ausschreibung machen. Ob der Quadratmeterpreis unter Berücksichtigung unserer Nebenbedingungen (vgl. Box) damit höher ausgefallen wäre, wage ich zu bezweifeln.

Die Widmer-Frick-Stiftung hat den Verkauf damals nicht von sich aus kommuniziert. Nach der Berichterstattung hätte es die Möglichkeit gegeben, das Thema an der Gemeindeversammlung im Juni aufzugreifen. Stand dies zur Diskussion?

Ich war auf Fragen vorbereitet. Allerdings handelte es sich weder um öffentlich-rechtliche Gelder noch um ein Gemeinderatsgeschäft, deshalb hätte ich zwar Stellung genommen, aber habe nicht aktiv informiert. Ausserdem wurde im «Anzeiger»-Beitrag der Quadratmeterpreis genannt. Mit 1400 Franken m2 war dies ein marktüblicher Preis, und die erwähnte Zusatzvereinbarung (vgl. Box) war in den drei Schätzungen nicht berücksichtigt. Ebenso, dass der neue Eigentümer noch die Erneuerung der Heizungssteuerung sowie die Privatstrassensanierung übernehmen musste. Nach Einschätzung des Stiftungsrates haben diese Zusatzverpflichtungen wohl nochmals einen Gegenwert in einem sechsstelligen Bereich.

Der Immobilienverkauf war an der Gemeindeversammlung nicht Thema, hingegen erfuhren die Anwesenden, wer die neuen Pächter am Türlersee sind. Ist es Zufall, dass die Wahl mit Joelle Apter und Michael von Arx auf das «Löwen»-Wirtepaar fiel, das im Dorf beste Kontakte hat?

Nein, es war kein Zufall. Sie haben sich für diesen Zuschlag qualifiziert.

Gemäss der Übersicht über die Interessenbindungen sind Sie mit Ihrem privaten Unternehmen allerdings auch der Revisor der Hotel Löwen Betriebs AG ...

Das stimmt so nicht mehr, das Mandat wurde vor zwei Jahren beendet. Die Liste der Interessenbindungen auf der Gemeinde-Homepage wird jeweils anfangs Legislatur erstellt, ist offenbar nicht mehr ganz aktuell und muss angepasst werden.

Wie lief die Pächter-Auswahl ab?

Wir wurden von einem externen Berater unterstützt, der mehr Erfahrung im Campingbereich hat als wir. Die beiden aussichtsreichsten Bewerber luden wir ein, und aus Sicht des Gemeinderats hat das «Löwen»-Wirtepaar die klar bessere Präsentation gehalten. Wobei ich Folgendes erwähnen muss: Als ich vor zehn Jahren als Gemeindepräsident gewählt wurde und den Vergabeleitfaden zugunsten des lokalen Gewerbes ändern wollte, kam ich ziemlich auf die Welt. Das Vergaberecht kennt viele Einschränkungen, der Spielraum ist gering. Nun hatten wir die Chance, einem lokalen Anbieter, der mindestens so gut ist wie ein externer, den Zuschlag zu geben. Es gehört auch zur Aufgabe der Gemeinde, das einheimische Gewerbe zu unterstützen. Deshalb finde ich auch persönlich die Entscheidung richtig und stehe voll dahinter.

Wenn Einheimische nach Möglichkeit den Vorzug erhalten – wozu braucht es dann einen aufwendigen Vergabeprozess mit externen Beratern?

Es ist eine Pacht für die nächsten zehn Jahre. Deshalb fand ich, dass es gut wäre, sich begleiten zu lassen und das sauber machen. Einheimische, die man bereits kennt, wie im Fall des «Löwen»-Wirtepaars, haben einen Ruf: Manche mögen, was sie tun, andere finden es weniger gelungen. Da wäre es brisant gewesen, wenn wir die Vergabe allein durchgeführt hätten. Das haben wir, im Gegensatz zum Hausverkauf, kommen sehen. (lacht)

Ist das extern begleitete Auswahlverfahren also nur ein Feigenblatt?

Nein, überhaupt nicht. Wir haben für den Prozess sehr wertvolle Hinweise und Unterstützung erhalten. Es gingen elf seriöse Bewerbungen ein, und der Gesamtgemeinderat hat am Schluss nur noch zwischen den zwei letzten verbliebenen Anbietern entschieden. Die Vorauswahlen wurden von einer Arbeitsgruppe unter Leitung der externen Firma getroffen.

Es ist zu beobachten, dass Gemeinden in Entscheidungsprozessen immer häufiger externe Berater beiziehen. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Sie bietet politischen und juristischen Schutz. Trotzdem finde ich die Tendenz persönlich nicht nur positiv.

Weshalb?

Letztlich stellt sich die Frage, ob Politiker dadurch noch genügend Verantwortung übernehmen.

Wie war es bei der Pachtvergabe?

Der externe Berater hat zusammen mit der Findungskommission eine Vorauswahl getroffen. Die Endauswahl ist dann im Gemeinderat erfolgt, aber natürlich haben wir deren Empfehlung berücksichtigt, sonst hätten wir sie gar nicht gebraucht.

Welche Rückmeldungen haben sie zum Entscheid aus der Bevölkerung erhalten?

Es gab positive Reaktionen und auch solche, die es sich anders gewünscht hätten.

Die Kritik am Hausverkauf und die Nebengeräusche zur Pachtvergabe zielen in Richtung Vetternwirtschaft. Was machen diese Vorwürfe mit Ihnen?

Einerseits muss man mit Vorwürfen leben können. Beim Hausverkauf stehe ich dazu, dass nicht alles optimal gelaufen ist, und vielleicht gab es Leute, die sich mit dem Entscheid zur Pachtvergabe bestätigt fühlten. Was mir ein bisschen zu schaffen macht, ist die Böswilligkeit, die von manchen Menschen vermutet wird, sobald ein Fehler passiert. Wer sich in einem Gemeinderat engagiert, investiert viel Zeit, und man macht es nicht wegen des Geldes. Ich bin überzeugt, dass die aller-allerwenigsten mit bösem Willen handeln oder Eigeninteressen verfolgen. Wenn dann solche Vorwürfe kommen, lässt das niemanden kalt.

Sie sagten, das Geld sei für die meisten nicht ausschlaggebend. Was motivierte Sie, sich zu engagieren?

In die Gemeindepolitik rutscht man rein. Mir zumindest ging es so. Ich war in der Rechnungsprüfungskommission, was als Treuhänder noch naheliegend war. Später wurde dann ein Gemeindepräsident gesucht, und es hat mich ­irgendwie gereizt, auch wenn ich zunächst nicht sicher war, ob sich das Amt zeitlich mit dem Beruf vereinbaren lässt. Heute muss ich sagen: Ich habe eine andere Welt kennengelernt! Und viel gelernt. Ich habe den Weg nie bereut.

Für die jüngste Negativmeldung sorgte nun der geplante Turnhallen-Neubau samt ­Tagesstruktur. Gegen die Vergabe der Baumeister-Arbeiten wurde Beschwerde eingereicht. Warum das?

Wir haben diese Arbeiten ausgeschrieben, und zwei Anbieter lagen preislich enorm nahe beieinander. Die Differenz betrug ein paar tausend Franken, bei einer Gesamtsumme von mehr als zwei Millionen Franken. Neben dem Preis gab es weitere Kriterien, und der Zweitplatzierte fand, man hätte diese Kriterien auch anders interpretieren können.

Den Zuschlag erhalten hatte das Bauunternehmen Ineichen AG. Gibt es da auch Beziehungen in den Gemeinderat?

Nein, gar nicht. Wir haben ein externes Büro engagiert, mit dem wir gemeinsam die Kriterien festgelegt haben. Sie haben die Angebote ausgewertet und eine Empfehlung abgegeben, anschliessend hat der Gemeinderat seine Entscheidung gefällt.

Bis das Verwaltungsgericht entschieden hat, wurde der Bauaushub gestoppt. Dies, damit der Boden «nicht verschlammt und die Stütznägel nicht den Halt verlieren». Allerdings hatte es bereits vor dem Bau Stimmen gegeben, die die Tiefe der Baugrube in problematischem Untergrund bemängelt hatten. Hatten die Kritiker recht?

Die Kritiker hatten insofern recht, als dass es eine Hanglage ist und es dort Wasser hat. Fakt ist aber: Anderswo hätte man die Dreifachturnhalle samt Tagesstrukturen nicht bauen können, denn sowohl Schulen wie auch die anderen Sportanlagen sind nun einmal da, was auf einen früheren Entscheid der Bevölkerung zurückzuführen ist. Gewünscht wurde von gewissen Kreisen, dass der Bau nicht in den Boden reinversetzt wird, doch ich würde es wieder gleich machen. Es mag sein, dass unsere Variante im Bau aufwendiger ist, vielleicht etwas risikoreicher ist und dadurch etwas teurer. So eine Dreifachhalle mit Tagesstruktur ist eine riesige Kubatur. So wie der Bau nun geplant ist, sieht man dahinter wenigstens noch den Wald. Sonst wäre das ein riesiger Klotz gewesen. Man muss ja bedenken: Das Gebäude steht für die nächsten 80 oder 100 Jahre.

Der Postplatz war für den ÖV schlecht befahrbar, beim Camping Türlen kam es zu Mehrkosten von 270000 Franken und zu einer Bauverzögerung wegen Planungsfehlern. Nun der Baustopp bei der Turnhalle. Weshalb ist in Hausen bei Bau­projekten ständig der Wurm drin?

Ich glaube, Bauen ist allgemein nicht so einfach. Fragen Sie mal jemanden, der ein Einfamilienhaus baut, da läuft nie alles nur rund.

Das ist aber privates Geld.

Das ist richtig. Ich glaube, dieses Vorurteil, dass wir es dem Anschein nach nicht im Griff haben mit dem Bauen, werden wir nicht mehr los.

Täuscht der Eindruck?

Persönlich finde ich, dass es sich die Leute etwas einfach machen mit dieser Kritik, weil die Ursachen der Probleme total unterschiedlich waren. Beim Camping Türlen gab es einen Planungsfehler, beim Postplatz ist bei den Schlepp­kurven etwas falsch berechnet worden, und dort hatte die Gemeinde übrigens keine finanziellen Einbussen. Und nun liegt eine Beschwerde bei der Vergabe vor. In Hausen wurde in letzter Zeit viel gebaut. Wir haben sehr viel getan für die Infrastruktur. Vielleicht haben wir deshalb etwas mehr Reklamationen. Doch auch in anderen Gemeinden gibt es Bauprojekte, die zumindest politisch sehr umstritten sind.

Nun haben wir viel über Dinge gesprochen, die nicht nur gut gelaufen sind. Auf welchen jüngsten Meilenstein sind Sie als Gemeindepräsident stolz?

Ich glaube, es ist uns viel gelungen. Wir erwirtschaften regelmässig Überschüsse, das gesamte Fremdkapital ­haben wir zurückbezahlt, damit solche Investitionen wie die Dreifachturnhalle überhaupt möglich sind, und das alles haben wir ohne Steuerfusserhöhung geschafft. Hausen wird als Naherholungsgebiet wahrgenommen, wir haben mehrere Restaurants, einen Volg oder eine Drogerie, unsere Gemeinde lebt, die Menschen wohnen gerne hier. All das vergisst man manchmal, und ich würde sogar etwas ketzerisch sagen: In Hausen wird auf hohem Niveau geklagt. Wir müssen uns nicht verstecken, auch in der Standortattraktivität dürfen wir uns mit anderen Gemeinden absolut messen. Sie sehen: Wir haben das Selbstvertrauen noch nicht ganz verloren. (lacht)

 

Zur Sache: Hausverkauf der Widmer-Frick-Stiftung

Die Widmer-Frick-Stiftung wurde im Jahr 1962 von Frau Widmer-Frick, der Witwe eines Industriellen, ins Leben gerufen. Sie wurde als gemeindenahe Stiftung gegründet. Das heisst: Der Stiftungsrat besteht aus zwei Gemeinderatsmitgliedern (praxisgemäss dem Sozialvorsteher und dem Gemeindepräsidenten). Hinzu kommt der Gemeindeschreiber, der als Präsident amtet. Zum Stiftungsvermögen gehörten mehrere Immobilien, zuletzt war es noch eine, deren Unterhalt sich jedoch nicht mehr rechnete. Im Herbst 2023 wurde die Liegenschaft an die Inhaber des Nachbargrundstücks verkauft – eine Gemeinderätin und ihren Mann. Ausgeschrieben wurde das Haus nicht. Stattdessen holte die Gemeinde drei unabhängige Schätzungen ein. Aus dem Durchschnitt kam der Preis von 1395 pro Quadratmeter zustande, für die 971 Quadratmeter betrug der Verkaufspreis insgesamt 1,35 Millionen. Ebenfalls Teil der Vereinbarung: Während zwei Jahren darf weder der Mietzins erhöht noch den Mietern gekündigt werden. Sollte das Haus umgebaut oder abgerissen werden, würden die jetzigen Besitzer eine Ersatzwohnung anbieten. (lhä)

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