Hier entstanden einst sogar Lieferwagen

Im Albisbrunn konnte man sich am Samstag einen Einblick in diese Institution verschaffen

Am Samstag fand ein Tag der offenen Türe im Albisbrunn in Hausen statt.

Am Samstag fand ein Tag der offenen Türe im Albisbrunn in Hausen statt.

Der «Ökonom»: Ein dreirädriger Lieferwagen mit einem Einzylinder-Viertakt­motor – er wurde einst in Albisbrunn gebaut. (Bilder Marco Morosoli)

Der «Ökonom»: Ein dreirädriger Lieferwagen mit einem Einzylinder-Viertakt­motor – er wurde einst in Albisbrunn gebaut. (Bilder Marco Morosoli)

Das Anwesen Albisbrunn ist ein Weiler auf dem Gemeindegebiet von Hausen. Dort kümmern sich Menschen um Jugendliche in Existenzkrisen. Zum 100-Jahre-Jubiläum öffnete sich die In­stitution am Samstag dem Publikum. Viele nutzten die Möglichkeit, einen Blick hinter sonst verschlossene Türen zu werfen.

Der Name Albisbrunn ist weitherum bekannt. Gut unterrichtete Zeitgenossen bringen ihn mit einem Jugendheim auf dem Gemeindegebiet von Hausen am Albis in Verbindung. Dessen Betrieb startete im Jahre 1924. Am vergangenen Samstag (21. September 2024) gab es die seltene Gelegenheit, die verschiedenen Bauten auf dem Gelände näher ­anzuschauen und in ihrem Innern zu ­entdecken.

Um etwas sehr Interessantes anzuschauen, brauchten die Besuchenden auf dem weitläufigen Albisbrunn-­Gelände nur offene Augen. Unter einem kleinen Zelt stand ein «Ökonom». Dabei handelt es sich um einen dreirädrigen Lieferwagen mit einem Einzylinder-Viertaktmotor. Dieser stammte von der Firma Condor in Courfaivre bei Delémont (JU). Die Produktion des motorisierten Dreirads begann 1939. Bis 1947 entstanden in Albisbrunn weniger als 20 «Ökonomen», die dann vergessen gingen. 2006 konnte ein Brückenteil eines «Ökonomen» vor dem Schrottplatz gerettet werden. Weitere Teile fanden sich in Europa. Eines war gar in Australien gelandet. Vor rund zehn Jahren entstand die Idee, ein solches Gefährt wieder aufzuarbeiten.

Die Arbeiten waren als «Gemeinschaftswerk» des Projektteams und den Jugendlichen der verschiedenen Betriebe im Albisbrunn vorgesehen. Als Experten konnten Werner Urech, Maschineningenieur, Sohn des damaligen ­Betriebsleiters der mechanischen Werkstätten und passionierter Restaurateur alter Motorräder, sowie Andreas Angst, ebenfalls ein Freund alter Motorräder, gewonnen werden. Es stellte sich dann aber schnell heraus, dass die Mitarbeit der Betriebsgruppen nicht möglich war. Die zu erledigenden Arbeiten waren hochkomplex, erforderten Fingerspitzengefühl, handwerkliches Geschick und eine Menge Geduld. Weitere Personen gesellten sich zu Urech und Angst, um die Restaurierung voranzutreiben. Dieses Kernteam brachte es fertig, die Aufgabe fristgerecht zu beenden.

Die Restauration des «Ökonomen» geht ins Geld

Die Aktion war nicht billig. Auf einem Spendenaufruf ist eine Zahl von 70000 Franken genannt. Doch der Aufwand hat sich gelohnt. Viele der Besuchenden hielten bei diesem motorbetriebenen Dreirad inne und staunten. Andere Gäste begaben sich auf einen Rundgang und durften dabei in Räume treten, die sonst der Öffentlichkeit vorenthalten sind.

Dabei spielte immer auch die Vergangenheit der Institution Albisbrunn eine grosse Rolle, die 1924 als Landeserziehungsheim seinen Betrieb aufnahm. Der Albisbrunn-Leiter Philipp Eder begreift sich, wie er in einem geschichtlichen Abriss schreibt, nicht als Bewahrer: «Die Gesellschaft und die Jugendlichen werden sich wandeln.» Dieser stete Wandel treffe auch auf die Vergangenheit zu. Eder fährt fort: «Was immer gleich bleibt, ist die Tatsache, dass die Jugend unsere Zukunft gestaltet.» Beim offiziellen Jubiläumsakt mahnte der Historiker Daniel Deplazes davor, im Kontext der Vergangenheit von Heimen wie Albisbrunn vorschnelle Verurteilungen zu äussern: «Vieles, das uns heute seltsam vorkommt, war damals normal.» Im Laufe der Geschichte würden sich auch die Wertvorstellungen einer Gesellschaft wandeln. Und Deplazes muss es wissen. Er schrieb das Buch «Nobelhotel für Versager» – das Landerziehungsheim Albisbrunn in den Akteur-Netzwerken des Schweizer Heimwesens 1960 bis 1990. Im Klappentext des Buches steht unter anderem: «Die Fremdplatzierungen von Kindern und Jugendlichen durch Behörden, Gerichte und Eltern war auch in Albisbrunn mit viel Leid verbunden.»

Ein Forschungsprojekt kann in diesem Jahr beendet werden

In einem nationalen Forschungsprogramm unter dem Titel «Fürsorge und Zwang» untersuchten Wissenschaftler die Schweizer Heimgeschichte. Deren Ergebnisse sind 2024 erschienen. Dabei ist zu bemerken, dass die Einrichtung Albisbrunn sehr viele Akten aus ihrem Archiv beisteuerte. Der aktuelle Albisbrunn-Leiter Philipp Eder bezeichnet die wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte der Institution als zwingend. Er fragt sich gleichzeitig, was unsere Nachfahren in 100 Jahren über die ­aktuell praktizierten Methoden sagen ­werden.

Tiana Moser, sie sitzt für die Grünliberalen im Ständerat, sagte bei der offiziellen Jubiläumsfeier: «Etwas mehr Herz und Toleranz würden unserer Gesellschaft guttun.» Das Albisbrunn vermöge Heranwachsende in schwierigen Phasen aufzufangen. Sie erinnerte aber auch daran, dass jede Gemeinschaft «ihre Abgründe» habe.

Einer, der aus erster Hand darüber berichten kann, ist Jean-Yves Wider. Er war in den 1980er-Jahren temporär in Albisbrunn untergebracht und erzählte den Anwesenden als Zeitzeuge, was damals Sache war. Mittlerweile arbeitet er selbst in der Institution. Diese kann heute 56 Jugendliche aufnehmen.

Die Begleitung dieser Menschen bezeichnet Bruno Leiseder als eine Mission. Er ist Präsident der Stiftung Albisbrunn, welche der rechtliche Träger des Schul- und Bildungsheims Albisbrunn ist. Der Zweck der Stiftung ist so definiert: «Das Albisbrunn ist eine Einrichtung der stationären Jugendhilfe für männliche Jugendliche in Entwicklungskrisen.» Als Ziel nennt die Institution in Hausen am Albis: «Die Fähigkeiten zu vermitteln, die es braucht, um die Anforderungen des Lebens und der Gesellschaft selbstständig zu bewältigen.» Wie urteilen kommende Generationen über diesen Betreuungsansatz? Die Antwort weiss nur der Wind.

Daniel Deplazes: «Nobelhotel für Versager»

Das Landerziehungsheim Albisbrunn in den Akteur-Netzwerken des Schweizer Heimwesens 1960–1990; Historische Bildungsforschung, Band 14. Gebunden. Chronos Verlag 2023. 432 Seiten, 38 Abbildungen s/w. 58 Franken. Das E-Book kann auf chronos.verlag.ch gratis heruntergeladen werden

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