Journalistischer Wechsel über die Reuss

Chefredaktor Thomas Stöckli verlässt den «Anzeiger» zur Freiämter Regionalzeitungen AG

Abschied auch vom Redaktionsbüro an der Oberen Bahnhofstrasse 5 in Affoltern: Thomas Stöckli wechselt per 1. September 
zum «Freiämter» in Muri.  (Bild Werner Schneiter)
Abschied auch vom Redaktionsbüro an der Oberen Bahnhofstrasse 5 in Affoltern: Thomas Stöckli wechselt per 1. September zum «Freiämter» in Muri. (Bild Werner Schneiter)

Der Pensionierte, der seinen Nachfolger verabschiedet. Diese etwas ungewöhnliche Aufgabe nehme ich zwar gerne wahr, allerdings hängt ihr ein «Leider» nach, weil ich seinen Abgang sehr ­bedaure: Thomas Stöckli verlässt den «Anzeiger» nach rund 18 Jahren, gut ­sieben Jahre davon in der Funktion als Chefredaktor. Mit 43 sei der Zeitpunkt da, um nochmals einen Neustart zu ­wagen, sagt er und tritt nun beim ­«Freiämter» per 1. September eine Stelle an als Redaktor. Weil nicht mehr in leitender Position, kann er sich dort den Wunsch nach mehr «Schreibarbeit» erfüllen – und das tun, was er auch beim «Anzeiger» geschätzt hat: sich auf dem breiten Feld des Lokaljournalismus ­bewegen und – nicht eingeengt in ein Ressort – über alle möglichen Themen schreiben. In einer 80-Prozent-Anstellung, die ihm als Vater von drei schulpflichtigen Kindern mehr Freiraum bietet. Zur Freiämter Regionalzeitungen AG gehören «Wohler Anzeiger», «Bremgarter Bezirks-Anzeiger» und «Der Freiämter» sowie die Monatszeitschrift «Städli-Zytig». Sie bedienen die Regionen Wohlen, Bremgarten und Muri. Vier ­Redaktionen sind angeschlossen. Thomas Stöckli, der in Merenschwand wohnt, beginnt vorerst in ­Wohlen und wechselt dann nach Muri.

Erste Journalismus-Erfahrung bei der «Frankfurter Allgemeinen»

Zum Journalismus gestossen ist Thomas Stöckli nach einem vierjährigen Studium «Journalismus und Organisationskommunikation» an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (Zhaw) in Winterthur. Bereits in der Kanti Wiedikon hatte er sich an einem Schreibprojekt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) beteiligt. Für ihre Beiträge, die sich mit geflüchteten ­Juden während des 2. Weltkriegs ­befassten, ist er gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen ausgezeichnet worden.

Nach seinen Worten gab ihm das den Anstoss, im Journalismus Fuss zu fassen. In Affoltern aufgewachsen, war es natürlich naheliegend, sich beim ­«Anzeiger» für ein Praktikum zu bewerben. «Die Lokalzeitung kannte ich schon als Schüler, nur schon, weil mein Grossvater lustig gereimte Inserate geschaltet hatte», sagt Stöckli. Während dieses dreiwöchigen Praktikums lieferte er uns überzeugende Beweise seines Könnens; seine ruhige, besonnene und unaufgeregt Art wirkte wohltuend in einer Branche, die ja auch Hektik kennt.

Thomas Stöckli fasste schnell Fuss; er beackert die verschiedensten Themen mit der notwendigen Seriosität und Präzision, beeindruckt durch guten, flüssigen Schreibstil und durch prägnantes Schreiben – mit anderen Worten ist es sein ausgeprägtes Talent, ein Thema in der gebotenen Kürze auf den Punkt zu bringen. Das hat mich als sein Vorgesetzter, der in den 1970er-Jahren in einer Nachrichtenagentur gearbeitet hat, ­natürlich besonders beeindruckt.

Fasziniert von der Breite der Themen im Regionaljournalismus

Schon während seines Praktikums wurde uns schnell klar: Diesen «Jüngling» mit Jahrgang 1980 müssen wir einstellen, was dann per 1. November 2006 auch geschah, als er die Nachfolge des in den Ruhestand tretenden Redaktors Andreas Schlegel antrat. Womit er nach eigenem Befund zum «Traumjob» kam. Und auch heute noch ist er fasziniert von der Breite der Themen, die Journalistinnen und Journalisten bei einer ­Regionalzeitung beackern können. ­Sogenannte Lieblingsthemen kannte Thomas Stöckli nicht. Er sieht die ­Abwechslung im Vordergrund, dazu auch den Umstand, dass hinter jedem Thema Menschen stehen, die es zu ­befragen und auch zu verstehen gilt.

Und, natürlich, konnte er auch Verantwortung übernehmen – ein erstes Mal, als er die Planung über die Berichterstattung des «West-Fests» zur Eröffnung der Westumfahrung übernehmen durfte. Auch bot sich ihm die Möglichkeit, freie Mitarbeitende in eigener Regie aufzubieten. Sie deckt er mit einem ­dicken Lob ein: «Ich bin begeistert, mit wie viel Einsatz, Kompetenz und Flexibilität sie ihre Aufgaben wahrnehmen.»

Wer wird mein Nachfolger? Für den Schreibenden drängte sich diese Frage spätestens im Frühjahr 2016 in den Vordergrund, als der Zeitpunkt der Pension (1.7.16) nahte. Natürlich lag der Gedanke an den Kollegen Stöckli nahe, der sich zehn Jahre an meiner Seite bewegte und für den Job als Chefredaktor ­bewarb. In einem harten Assessment setzte er sich durch und wurde per 1. Juli 2016 zum Leiter ernannt.

In dieser neuen Funktion erlebte er dann in den ersten Monaten auch Schattenseiten des Berufs, die damals zum Teil sehr gehässigen Auseinandersetzungen um die Rechtsform des Spitals Affoltern, die persönlichen Beleidigungen und Drohungen. Das war journalistisch herausfordernd und belastend, auch für seine Familie. Diese garstige Zeit hat seine Freude am Job zwar vorübergehend getrübt, aber Thomas Stöckli hat extern wie intern viel Unterstützung erfahren – wichtige Signale, auch von Verlegerseite.

Der fortschreitenden Polarisierung entgegengewirkt

Ein Chefredaktor hat viel Verantwortung zu tragen, gegenüber Mitarbeitenden sowie Leserinnen und Lesern. Diese hat Thomas Stöckli wahrgenommen und durch seine ruhige, faire wie ausgeglichene Art der Polarisierung entgegengewirkt, was angesichts von ­Spaltungstendenzen in der Gesellschaft hervorgehoben werden muss.

Eine Herausforderung bildete auch der technische Wandel der Zeitungsproduktion. Eine grosse Zäsur erfolgte 2007 mit der Einführung eines neuen Redaktionssystems («Dialog»). Damals diente der «Anzeiger» innerhalb der AZ Medien als Pilotprodukt. Als die AZ Medien sich mit den NZZ-Regionalmedien zur CH Media zusammenschlossen, musste das Produktionssystem der NZZ übernommen werden. «Ein Rückschritt, weil das vorherige System besser auf die ­Bedürfnisse einer Lokalzeitung ausgerichtet war», so der Befund von Thomas Stöckli. Insgesamt aber überwiegen die positiven Seiten und Zeiten in den Jahren beim «Anzeiger» bei Weitem. Der Weggang fällt ihm nicht leicht, weil er ja einen «Traumjob» verlässt. Tröstlich für ihn, dass er diesen «Traumjob» nun ennet der Reuss weiter ausüben kann.

Die interimistische Leitung der ­Redaktion bis Ende 2023 übernimmt nun Livia Häberling, die seit 2018 für den «Anzeiger» tätig und nach einem «Abstecher» zur Aargauer Zeitung per 1. Juni 2023 nach Affoltern zurückgekehrt ist.

Ein grosser Dank für die Arbeit von Thomas Stöckli und die besten Wünsche vonseiten des «Anzeigers» und dessen «Freien» begleiten ihn ins Freiamt.

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