«Man gaukelte der Öffentlichkeit eine Polizeipräsenz vor, die so nicht stattfand»
Die Dienstpläne der Stadtpolizei Affoltern der letzten Monate offenbaren beachtliche Lücken
Der jetzige Kommandant hatte im Sommer 2023 die interimistische Leitung der Stadtpolizei Affoltern übernommen. Per Januar 2024 wurde er offiziell zum Kommandanten ernannt. Unter seiner Führung habe sich die Stimmung im Korps aufgrund der zwischenmenschlichen Differenzen (siehe Seite 1) stetig verschlechtert, erzählen mehrere Insider aus dem Kreis der Stadtpolizei Affoltern.
Um die Wogen zu glätten, sei Ende Januar ein externer Coach beigezogen worden. «Es fanden mehrere solcher Sitzungen statt», berichten sie, «doch verbessert hat sich die Stimmung nicht.» Im Januar kam es zum ersten Abgang, bis heute folgten mindestens sechs weitere. Nicht alle dieser Abgänge stehen in direktem Zusammenhang mit dem neuen Kommandanten, bei mindestens fünf soll dies gemäss den Informanten aber der Fall sein.
Überwachungsvorwurf: Stadt spricht von «Fürsorgepflicht»
Die Stadt Affoltern sieht die Dinge teilweise anders, als sie von den Insidern geschildert werden.
Stadtschreiber Stefan Trottmann schreibt auf Anfrage, im Herbst 2023 hätten mit allen Polizeimitarbeitenden Gespräche stattgefunden. Dabei seien die nun vorgetragenen Vorbehalte gegen den heutigen Kommandanten nicht geäussert worden. Zu einem Assessment sei der Kommandant nicht geschickt worden. Dies sei auf der betreffenden Führungsstufe nicht vorgesehen. Von Führungsproblemen, wie sie die Insider schildern, nimmt die Stadt Abstand: Der Beizug des externen Coachs und die Workshops stünden nicht in Zusammenhang mit dem neuen Kommandanten: «Aufgrund von Unstimmigkeiten im Team wurde bereits im Jahr 2022 eine Teamentwicklung gestartet.»
Ein Essensverbot in den Autos sei nicht bekannt und zu den angeblichen Freiheiten, die sich der heutige Kommandant in der Vergangenheit bei der Zeiterfassung rausgenommen haben soll, heisst es in der Stellungnahme, Änderungen der Dienstzeiten seien von den jeweiligen Vorgesetzten geprüft worden.
Zum Vorwurf, dass der Kommandant teilweise den Standort der Patrouillenfahrzeuge von zu Hause verfolgt und sich per Telefon eingemischt habe, schreibt die Stadt, dies sei nur bei Push-Meldungen der Kantonspolizei geschehen. Eingegriffen habe er «zur Unterstützung der Mitarbeitenden vor Ort und im Rahmen der Fürsorgepflicht als Arbeitgeber».
Dass der Kommandant das interne Schliesssystem zu den Büros auswerten liess, bestätigt sie ebenfalls. Dies sei im Rahmen «einer internen, personalrechtlichen Abklärung und nach Rücksprache mit dem Personalchef» passiert. Zu den Tonbandaufnahmen, die während der Patrouille aufgezeichnet werden, heisst es: «In den neuen Dienstfahrzeugen kann die Dashcam und somit auch die Tonaufnahme von der Patrouille selber ein- und ausgeschaltet werden.» Die Auswertung erfolge «üblicherweise» durch die Polizisten und Polizistinnen selber, nach Nutzung der Dashcam.
Die Frage, ob es im Rahmen der erwähnten Abgänge bei der Stadtpolizei zu Zahlungen an die scheidenden Mitarbeitenden gekommen sei, lässt die Stadt offen. Weder dementiert noch bestätigt sie: «Es ist inzwischen üblich, dass Mitarbeitende bei rechtlichen Fragestellungen ihre Rechtsschutzversicherungen einschalten.»
Die Informanten zeigen sich über einen Teil dieser Aussagen irritiert. Es seien Vorbehalte gegen den neuen Kommandanten geäussert worden, genauso wie es eine Dienstanweisung betreffend Essen gegeben habe. Für sie ist klar: «Einmal mehr wird hinterher vieles beschönigt.»
Mai und Juni: Keine Patrouille an sechs von neun Sonntagen
Die Stadtpolizei ist nicht nur in Affoltern für die polizeiliche Grundversorgung zuständig; auch die Gemeinden Hausen, Hedingen, Kappel, Mettmenstetten und Obfelden sind ihr vertraglich angeschlossen. Die (teils abrupten) Abgänge führten im Korps allerdings zu einer personellen Unterbesetzung. «Zeitweise war die Stadtpolizei nicht mehr in der Lage, ihren Auftrag zur polizeilichen Grundversorgung zu erfüllen», sind sich die Insider einig: «Regelmässig gab es grössere Lücken im Dienstplan oder gar Tage, an denen keine Patrouille im Einsatz war. Die Vertragsgemeinden und die Öffentlichkeit wussten davon allerdings nichts.»
Mitte April 2024 gab die Stadtpolizei in einer Mitteilung an, «in der Regel» an sieben Wochentagen im Einsatz zu stehen: Montag bis Samstag von 6.30 bis 23 Uhr, und Sonntag von 14 bis 23 Uhr. Freitag- und Samstagnacht zusätzlich bis 3.30 Uhr. Anfang Juni liess sich der Kommandant in einer Mitteilung zu einer Standaktion mit folgenden Worten zitieren: «Die Menschen schätzen und bemerken die starke Präsenz der Stadtpolizei.» Die Insider dagegen sagen: «Man gaukelte der Öffentlichkeit eine Präsenz vor, die so nicht stattfand.»
Gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz hat der «Anzeiger» die Dienstpläne der vergangenen Monate erhalten. Darin offenbaren sich tatsächlich beträchtliche Lücken, die die Aussagen der Informanten stützen:
An sechs von neun Sonntagen im Mai und Juni war keine Polizeipatrouille im Dienst. Insgesamt war in diesen zwei Monaten an zwölf Tagen keine Patrouille unterwegs. Regelmässig klaffen im Dienstplan stundenlange Lücken. An mehreren Wochenenden vergingen über 30 Stunden, bis nach Dienstschluss am frühen Sonntagmorgen (3.30 Uhr) am Montagnachmittag die nächste Patrouille übernahm. In einem anderen Fall war vermutlich sogar während als 68 Stunden, also fast drei Tage lang, keine Patrouille draussen. Im Dienstplan ist zwar noch eine spätabendliche Patrouille eingetragen, allerdings nur in halber Besetzung – also mit einer einzigen Person. Auch das kommt im Dienstplan ab und zu vor. Sofern die Betroffenen tatsächlich alleine ausgerückt sein sollten, wäre das «fahrlässig» gewesen, sagen die Insider: «Situationen können jederzeit kippen und eskalieren. Deshalb gilt auf Patrouille grundsätzlich: Ein Mann ist kein Mann.»
Die lückenhafte Abdeckung zeigt sich aber nicht nur bei den Wochenenddiensten. Auch unter der Woche sind die Abstände zwischen den Patrouillen teils deutlich grösser, als die öffentlichen Dienstzeiten der Stadtpolizei dies suggerieren.
Ab Juli waren die Sonntage zwar grundsätzlich wieder etwas besser besetzt, aber Tage, an denen tatsächlich von morgens um 6.30 Uhr bis abends um 23 Uhr eine Zwei-Personen-Patrouille bereitstand, waren sehr rar. Im Juli war das an zwei Tagen der Fall, im August an drei, im September an acht und im Oktober an vier Tagen.
Stadt räumt Personalnot ein, aber dementiert Lücken bei Patrouillen
Die Stadt dementiert nicht, dass es in den vergangenen Monaten einen Personalengstand gegeben hat: «Die Stadtpolizei hatte aufgrund der Kündigungen zu wenig Personal, um die gewünschte Abdeckung aufrechterhalten zu können», heisst es dazu. Dies habe man im Juli im «Anzeiger» auch kommuniziert: «Aufgrund des Artikels, in welchem dargelegt wurde, dass wir über 500 Stellenprozente zu wenig haben, dürfte allen klar gewesen sein, dass die angestrebte und kommunizierte Zeitabdeckung nicht mehr eingehalten werden konnte.»
Obwohl die Stadt einräumt, dass es einen bedeutenden Personalnotstand gegeben hat, will sie von den Lücken, die aus den Dienstplänen abzulesen sind, nichts wissen: Mit den teils langen Abständen zwischen den Patrouillen konfrontiert, schreibt die Stadt, sie komme «auf andere Zeitspannen». Es handle sich bei den herausgegebenen Plänen schliesslich «nur um die grundsätzlich angestrebten Dienstzeiten, und nicht um die tatsächlichen». Diese habe man «aus polizeitaktischen Gründen» nicht kommuniziert. Zudem sei es falsch anzunehmen, dass nur die Stadtpolizei patrouilliere: «Die Kantonspolizei Zürich ist auch noch da.»
Die Anschlussgemeinden seien über diese Situation orientiert gewesen. An den regelmässigen Sitzungen, die mit den jeweiligen Sicherheitsvorständen stattfänden, würden neben polizeilichen auch personelle Themen besprochen. Man sei überzeugt, dass die Sicherheit jederzeit gewährleistet gewesen sei. «Die Sicherstellung der polizeilichen Grundversorgung ist eine Verbundaufgabe von Stadtpolizei und Kantonspolizei.»
Die Informanten haben dies anders erlebt: «Die Kantonspolizei ist sehr wenig im Knonauer Amt, da der Stützpunkt Urdorf hauptsächlich die Autobahn A1 abdecken muss.» Es komme vor, dass die Stadtpolizei Affoltern die einzige Polizei im Amt sei. Die Aussagen der Stadt zu den Dienstplänen sind in ihren Augen «Schutzbehauptungen». Sie sagen: «Die Pläne waren verbindlich. Da wurden höchstens untereinander noch Schichten abgetauscht. Ansonsten gab es grundsätzlich keine Planänderungen mehr.»
Stadt: «Entscheide der vergangenen Monate waren richtig»
Zur aktuellen Personalsituation schreibt die Stadt: «Die vakanten Stellen konnten besetzt werden. Aufgrund der Kündigungsfristen der neuen Mitarbeitenden besteht jedoch weiterhin ein temporärer Unterbestand.» Bei der letzten Stellenausschreibung hätten sogar mehr qualifizierte Kandidatinnen und Kandidaten zur Verfügung gestanden, als Stellen zu besetzen gewesen seien. «Diese Ausgangslage hatten wir schon lange nicht mehr.» Nun zeige sich, dass «die Entscheide der vergangenen Monate richtig und zielführend» gewesen seien.