Schafft das Spital die Wende?
Verwaltungsratspräsident Stefan Gyseler nimmt Stellung zu Kritik aus der Belegschaft
Das Spital Affoltern startete mit optimistischen Nachrichten ins Jahr 2024. «Das Spital Affoltern ist für die Zukunft gewappnet», hiess es Ende Januar in einer Medienmitteilung. Mit den neuen Angeboten habe sich der Betrieb auf die medizinischen Bedürfnisse der Gegenwart und Zukunft ausgerichtet. Gemeint waren etwa das Dialysezentrum oder das Zentrum für Pneumologie und Schlafmedizin, die in den vorangehenden Monaten eröffnet worden waren. Im September dann kam Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli nach Affoltern, um die um- und ausgebaute akutgeriatrische Delir- und Demenzstation zu eröffnen. Das Spital Affoltern habe seinen Schwerpunkt in eine Disziplin der Zukunft gesetzt, lobte sie bei ihrem Besuch.
Darüber, ob das Spital auf dem richtigen Weg ist, scheint es intern allerdings unterschiedliche Ansichten zu geben. Dies zumindest legt ein E-Mail nahe, das in der ersten Oktoberhälfte an Amtsträgerinnen und Amtsträger in sämtlichen Ämtler Gemeinden verschickt wurde. Betreff: «Sorge um die Zukunft und die Fairness in unserem Spital.»
Verschickt wurde das E-Mail anonym. Vor ein paar Tagen gelangte eine leicht angepasste Version davon auch in das Postfach der «Anzeiger»-Redaktion. Mit Namen möchte sich niemand zitieren lassen – aus Angst vor Konsequenzen. Auch ein Telefongespräch war nicht möglich, aber ein E-Mail-Austausch. Ein Teil der Absenderinnen oder Absender sei noch im Spital angestellt, andere nicht mehr, hiess es auf Nachfrage. «Bitte denken Sie an das Spital. Es wird systematisch an die Wand gefahren.»
Abgänge als «alarmierendes Signal»
«In den letzten Wochen haben wir verstärkt Ängste und Unsicherheiten hinsichtlich der Zukunft unseres Spitals entwickelt», schreiben die Absender des E-Mails. Die Missstände seien offensichtlich. Erwähnt wird etwa der Abgang von Professor Dr. Michael Heesen, der im Februar nach Affoltern gekommen war, um den Bereich Schmerzmedizin aufzubauen, sein Wirken für das Spital Affoltern im Sommer jedoch bereits wieder beendete. Auf Aussenstehende wirkte der Abgang überstürzt (der «Anzeiger» hat berichtet). «Leider hat dieser Kollege uns nach nur wenigen Monaten wieder verlassen, da seine Ideen und Anliegen von CEO/Geschäftsleitung weitgehend ignoriert wurden», heisst es im E-Mail. «Dies sendet ein alarmierendes Signal an das gesamte Spital.»
Die Kündigung von Professor Heesen war denn auch nicht der einzige gewichtige Abgang in den vergangenen Monaten. Mit Lukas Ferrari (Psychiatrie), Volker Bünz (Geriatrie) und Samer Kurajouli (Notfall) kündigten drei weitere Leitende Ärzte ihre Stellen. Und auch Sara Dainese und Esther Rhyn, die gemeinsam den Bereich Psychologie geleitet hatten, sagten dem Spital Affoltern adieu. «Eine solche Fluktuation bei leitenden Positionen ist ein Warnsignal», heisst es dazu in dem E-Mail. Frei werdende Stellen könnten kaum noch nachbesetzt werden, sodass der Personalbestand im Spital immer weiter zusammenschrumpfe. «Ist es das Ziel, die Betten zu schliessen und nur noch Arztpraxen zu führen?», fragen sich die Verfasser des E-Mails.
Ein weiteres Problem sehen sie in der Benachteiligung von Frauen. Entscheidungsprozesse bei der Vergabe von Chefarztpositionen seien intransparent. So habe kürzlich eine Ärztin gegen ihren Berufskollegen den Kürzeren gezogen – trotz gleicher Qualifikation und ohne dass es eine Stellenausschreibung gegeben habe. Dieser Umstand habe zusätzliche Konflikte und inzwischen auch zwei weitere Kündigungen nach sich gezogen. «Wenn es so weitergeht, ist das Spital bald nicht mehr funktionsfähig und kann keine Patientinnen und Patienten mehr behandeln.»
Zugleich habe die Präsenz des Verwaltungsratspräsidenten Stefan Gyseler nachgelassen. «Diese Entwicklungen verstärken unsere Unsicherheit und unsere Sorge um die Stabilität, den Erfolg unseres Spitals und die Gerechtigkeit.»
Die Kritik und die Bedenken sind auch vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Drucks zu lesen, der unbestrittenermassen hoch ist: Nach dem Defizit aus dem Geschäftsjahr 2023 (minus 832000 Franken) gilt es für das Spital Affoltern umso mehr, endlich den Sprung aus den roten Zahlen zu schaffen.
Mitten im Transformationsprozess
Verwaltungsratspräsident Stefan Gyseler will die Situation im Gespräch mit dem «Anzeiger» nicht schönreden. Er sagt: «Es wäre gefährlich, dieses anonyme E-Mail auf die zu leichte Schulter zu nehmen.» Denn ja: Das Spital Affoltern befinde sich mitten in einem Transformationsprozess. «Und offensichtlich ist es uns nicht gelungen, alle Mitarbeitenden genügend einzubinden.»
Der Verwaltungsrat habe die Strategie in den letzten zwei Jahren den Marktgegebenheiten anpassen müssen und habe dabei auch Entscheidungen getroffen, die bei der Belegschaft zu Verunsicherung geführt hätten, etwa die freiwillige Aufgabe der ambulanten Chirurgie. So kam es, dass Mitarbeitende nach Jahren treuen Einsatzes nicht mehr im gleichen Bereich beschäftigt werden konnten oder sich sogar nach einer anderen Stelle umsehen mussten. Dass die Fluktuation in den vergangenen Monaten angestiegen sei, sei dem Verwaltungsrat nicht entgangen. «Bisher wurde dies mit den Umstrukturierungen in der Transformation in Verbindung gebracht. Es ist nun die Aufgabe von Geschäftsleitung und Verwaltungsrat, herauszufinden, wo Verbesserungspotenzial vorliegt.» Einen Ansatz sieht Gyseler in der intensiveren Kommunikation von Zielen und Strategien gegenüber den Mitarbeitenden, damit sie besser abgeholt werden können. Zum Vorwurf der Benachteiligung von Frauen sagt er, dieser sei neu für ihn. Zum geschilderten Fall kennt er die Details nicht, bisher habe er jedoch keine Anzeichen wahrgenommen, dass Frauen im Spital Affoltern strukturell diskriminiert würden. Die Geschäftsleitung bestehe aus mehr Frauen als Männern.
Wieder ein Verlust erwartet
Zur Befürchtung in dem E-Mail, die Spitalleitung könnte beabsichtigen, die Betten zu schliessen und nur noch Arztpraxen zu führen, sagt Gyseler, dies treffe nicht zu. Allerdings begrüsse der Verwaltungsrat bei der Bettenzahl eine eher vorsichtige Strategie, um die Kostenrisiken von Unterbelegungen zu senken. «Gemessen an unseren Ausgaben machen wir noch immer zu wenig Umsatz», gibt er zu bedenken. Daran habe die Lancierung der neuen Zentren noch nichts geändert: «Auch die neuen Angebote laufen schleppend. Wir haben es bisher nicht geschafft, in dieser Transformation kostendeckend oder gar gewinnbringend zu arbeiten.»
Auch für das laufende Geschäftsjahr rechnet Stefan Gyseler mit einem ähnlichen Verlust wie im Vorjahr. Dies sei unbefriedigend und der Verwaltungsrat müsse selbstkritisch genug sein, zu realisieren, dass das Ziel in Richtung Gewinnzone mit dem zu erwartenden Jahresresultat wohl verfehlt werde. «Jede Firma, die es nicht in die Gewinnzone schafft, ist irgendwann gefährdet», sagt Gyseler. «So weit sind wir noch nicht, denn wir haben noch genügend Reserven und Liquidität. Neue Angebote brauchen Zeit, bis sie etabliert sind, aber es muss ein positiver Trend sichtbar werden. Noch fehlt dieser.»
Zur Beobachtung, dass seine Präsenz im Spital zuletzt abgenommen habe, sagt Stefan Gyseler, er habe sich bewusst im Hintergrund gehalten. Eine Geschäftsleitung brauche unternehmerische Freiheiten. Gyseler sieht jedoch auch, dass sich das Spital Affoltern in seinem Transferprozess aktuell in einer kritischen Situation befinde, die auch vom Verwaltungsrat wieder mehr Führung und Präsenz erforderlich mache. «Wir sind in der Verantwortung, und wir sind bereit, diese Verantwortung zu tragen», verspricht er.