Stunde der Wintervögel
Anlass des Natur- und Vogelschutzvereins Bezirk Affoltern Nvba
An der Giessenstrasse zwischen Fussballplatz und Schulhaus Ennetgraben in Affoltern standen am Sonntagmorgen Leute mit Feldstechern und diskutierten heftig. Hoch oben am Himmel zog ein Raubvogel seine Kreise. Wanderfalke oder Turmfalke – das war die Frage. Gianni Gliott leitete den Anlass und überzeugte schliesslich die Hobby-Ornithologen und -Ornithologinnen: Es ist ein Wanderfalke. Der Wanderfalke kann mit dem Turm- und dem Baumfalken sowie dem Sperber oder Habicht verwechselt werden. Wanderfalken rütteln nie, Turmfalken schon. Beim Rüttelflug, auch Standschwebeflug genannt, bleibt die Position des Vogels in Bezug auf den Boden unverändert. Der Turmfalke schlägt seine Beute überwiegend am Boden, der Wanderfalke ausschliesslich in der Luft. Nach kurzer Zeit am Sonntagmorgen bereits eine Menge gelernt!
Die Stunde der Wintervögel
Die von BirdLife Luzern bereits mehrfach erfolgreich durchgeführte Beobachtungsaktion «Stunde der Wintervögel» wurde von 10. bis 12. Januar 2025 neu landesweit durchgeführt, wie auch in anderen europäischen Ländern. Welche Vögel besuchen im Winter unsere Gärten? Wer turnt in den Bäumen herum und wer sucht da auf dem Boden nach Würmern? Diesen Fragen geht man im Rahmen der Aktion während einer Stunde auf wenigen Quadratmetern nach: rund um und im Garten des Natur- und Vogelschutzvereins Bezirk Affoltern (Nvba). Es zeigten sich die Vögel, die am häufigsten in Wohngebieten zu beobachten sind, einzigartig ein Wanderfalke und ein Kernbeisser.
Mit der Stunde der Wintervögel will man Menschen motivieren, sich für Vögel zu interessieren und Freude am Beobachten zu bekommen. Altersmässig kann man nicht früh genug damit beginnen. Die jüngste Teilnehmerin war die kleine Linda, warm eingepackt im Kinderwagen, die mit grossem Interesse die Leute betrachtete, die mit schwarzen Doppelröhren den Himmel und die Baumwipfel absuchten.
Vögel bestimmen ist Übungssache
Gianni Gliott leitet ornithologische Kurse für den Nvba. Vor zwei Jahren besuchte Barbara einen dieser Kurse. Daraus entstand ein Hobby: Sie ist oft mit Feldstecher und Notizheft unterwegs, sucht Vögel, beobachtet sie, lauscht ihrem Gesang und notiert Sichtungsort, Datum und Zeit. Sie empfiehlt das Buch «Vögel beobachten in der Schweiz» aus dem hep Verlag. Neben den Informationen zu den Vogelarten enthält das Buch auch Angaben zu besonders geeigneten Beobachtungsplätzen. Gianni Gliott empfiehlt angehenden und erfahrenen Birdern und Birderinnen die kostenlose App Merlin Bird ID. «Im Wissen, dass das App sehr viele Gesänge richtig erkennt, manchmal aber auch daneben liegt.»
Unterwegs sein in der Natur mit der Absicht, Vögel zu sehen und zu bestimmen, schärft die Wahrnehmung über Augen und Ohren. Langeweile kommt nicht auf, und entdeckt man einen seltenen Vogel, hat man ein beglückendes Erfolgserlebnis. Sind die Zahlen der einheimischen Vögel in den letzten Jahren gesunken? BirdLife sieht die Lage in der Schweiz im Vergleich zum Ausland dramatisch: «Besonders stark gefährdet sind die Arten des Agrarlandes und der Feuchtgebiete; im Wald geht es den Vögeln etwas besser, allerdings mit Ausnahmen.»
Tipps, die den Vögeln helfen
Regula Schmidt ist Biologin und Präsidentin des Nvba. Sie rät Gartenbesitzerinnen, naturnahe Gärten anzulegen und zu pflegen. Im Frühling benötigen Vögel Insekten, im Herbst Sträucher mit Beeren und Früchten. Das heisst: Ecken mit «Unordnung» zulassen, wo sich Insekten verkriechen können, und einheimische Pflanzen mit Beeren und Samenständen nicht nur anpflanzen, sondern sie auch über den Winter stehen lassen. Beispielsweise Karden eignen sich – und sind bei Frost wunderschön anzuschauen.
Der Klimawandel macht sich auch in der Vogelwelt bemerkbar. Sogenannte Kurzstreckenzieher verändern ihre Reiserouten. Beispielsweise ziehen unsere Rotkehlchen im Winter nach Süden – skandinavische Rotkehlchen drängen in unsere Region nach. Diesen Wechsel sieht man den Vögeln nicht an, aber er ist an der Anzahl erkennbar. Eine Teilnehmerin lacht: «In meinem Garten sind die finnischen Rotkehlchen angekommen, es sind signifikant mehr als im Sommer.»
Winterfütterung
Soll man Vögel im Winter füttern? Da scheiden sich die Geister. Rein gesetzlich darf man im eigenen Garten Vögel füttern. Das Schweizer Jagdgesetz verbietet aber das Füttern von Vögeln in der freien Natur, beispielsweise im Wald. Die Vogelwarte Sempach – generell eine nützliche Adresse für Menschen, die sich für Vögel interessieren – meint: «Grundsätzlich sind die bei uns ausharrenden Kleinvögel gut an die winterlichen Bedingungen angepasst, und sie finden selbst ausreichend Nahrung. Trotzdem ist die Zufütterung oftmals willkommen. Die Winterfütterung kann dann eine Überlebenshilfe sein, wenn über längere Zeit eine geschlossene Schneedecke liegt oder Bodenfrost herrscht.»
Die «Stunde der Gartenvögel» von BirdLife Schweiz findet vom 7. bis am 11. Mai statt. Klein und Gross sind aufgerufen, eine Stunde lang die Vögel im Garten, vom Balkon aus oder in einem Park zu zählen und zu melden. Aber braucht man offizielle Vogelbeobachtungsstunden? Vogelbeobachtungsstunden, für sich allein oder zu zweit – auch spontan, mit Feldstecher, Bestimmungsbuch oder -app «bewaffnet», zu veranstalten lohnt sich. Es macht Spass und ist erst noch gesund.