Tipps bei Bier und Chips
Alt Bundesrat Christoph Blocher serviert in Bonstetten markige Worte – das kommt bei den Besuchenden gut an
Am Dienstagabend in Bonstetten. Draussen herrscht dunkles, schmuddeliges Herbstwetter. Drinnen ist der Gemeindesaal hell beleuchtet. Die Besuchenden decken sich am Eingang mit Chips, Cola, Bier oder Wein ein. Auf den Tischen im Saal liegen ein Mitgliederanmeldeformular für die SVP Bonstetten und ein Flyer von Gregor Rutz. Der SVP-Mann will für den Kanton Zürich in den Ständerat – im ersten Wahlgang vom 22. Oktober hat es für Rutz nicht gereicht. Nun findet der zweite Wahlgang am 19. November statt – er kämpft gegen Tiana Moser (GLP) um den Sitz. Der Saal füllt sich. «Ich finde ihn einfach toll. Er sagt genau, was er denkt», schwärmt eine Besucherin. Wer sie so zum Schwärmen bringt: Christoph Blocher. Der alt Bundesrat aus Herrliberg.
Keine EU-Sanktionen übernehmen
Der 83-Jährige mobilisiert immer noch die Massen. Heute die in Bonstetten. Der SVP-Doyen referiert zur Neutralitätsinitiative, für die aktuell auch die SVP Unterschriften sammelt. Gleich beim Eingang zum Gemeindesaal konnte man unterschreiben. Blocher ist aktiv geworden und kämpft für seine Vorstellung von Neutralität. Mit einer Volksinitiative soll die «immerwährende bewaffnete Neutralität» der Schweiz in der Verfassung verankert werden. Der Beitritt zu Militärbündnissen wäre laut dem Initiativtext untersagt. Und die Schweiz dürfte nur noch UNO-Sanktionen übernehmen – aber nicht mehr solche der EU, wie jetzt im Falle Russlands. So weit die nüchternen Fakten. Die Türe zum Gemeindesaal wird geschlossen – die Besuchertische sind voll. Über 100 Anwesende harren gespannt den Dingen, die da kommen. Jetzt geht sie los. Die Blocher-Show. «Das ist ein Heimspiel für Sie», so die Anmoderation von Claude Wuillemin, dem Präsidenten der SVP Bonstetten. Schon 2020 war er hier und referierte damals zur Begrenzungsinitiative. «Ihr Vater war hier in Bonstetten Pfarrer und lernte seine zukünftige Frau hier kennen», erzählt Wuillemin.
«Der Klub, da oben in Bern»
Nun übernimmt der Polit-Dino selber. Eine kleine Bilanz zu den Wahlen vom 22. Oktober? «Die SVP hat gewonnen, aber ich bin nicht in Euphorie verfallen. Wir haben im Parlament ja nicht die Mehrheit. Die Grün-Linken mussten von ihrem hohen Ross runter, sie haben einen Dämpfer erhalten.» Auf dem Podium ist links ein Rednerpult platziert. «Er will, dass das Rednerpult immer am gleichen Ort steht», verrät Wuillemin noch nach der Veranstaltung, «ich habe Christoph Blocher einfach angeschrieben und für diesen Auftritt angefragt. Das hat geklappt. Er weiss auch, dass ich viel für die Partei mache.»
Am Rednerpult steht Blocher an diesem Abend kein einziges Mal. Der Mann nutzt dafür umso mehr den Raum auf dem Podium. Mit dem Headset auf dem Kopf läuft er hin und her. Immer mit den Händen gestikulierend seine markigen Worte unterstützend. «Die Schweiz soll neutral sein. Was heisst das? Die Regierung muss neutral sein. Nicht ihr – ihr dürft schimpfen», spricht Blocher direkt die Zuhörenden an. Sich nicht in fremde Händel einmischen – das sollte die Devise für die Schweiz sein. «Neutralität haben die Politiker aber nicht gern. Sie wollen im Ausland eine grosse Rolle spielen und an den Kongressen auftreten.» Das sei aber gegen die Interessen des Schweizer Volkes, das so in Kriege hineingezogen werde. An vielen Tischen wird zustimmend genickt. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hat sich der Bundesrat schwergetan, eine klare Linie zu finden. Zwar hat er sofort die russische Aggression verurteilt; die EU-Sanktionen gegen Russland wollte er aber mit Verweis auf die Neutralität zunächst nicht übernehmen. Nach wenigen Tagen und viel Kritik kam der Positionswechsel. Die Schweiz trägt seitdem die Sanktionen doch mit. «Wir sind auch auf Druck von Amerika einfach umgefallen. Jetzt sind wir Kriegspartei», sagt Blocher. Während der 90-minütigen, freien Rede greift Blocher so manches Thema auf und verteilt verbale Sticheleien: «Der Klub da oben in Bern ist auch nicht immer verfassungstreu.» Die Masseneinwanderungsinitiative sei nicht richtig umgesetzt. Die Professoren und Studenten mit ihren irrigen Ansichten, Bundesrätin Amherd, die lieber mit der Nato rede als mit ihren Soldaten, die durchaus Walliserdeutsch verstehen würden, die Wirtschaftsverbände, die richtungslos herumirren. Und Gerhard Pfister, der Oberkönig der Mitte-Partei, die gar nicht mehr bürgerlich sei.
Und immer wieder erzählt Blocher launige Anekdoten. So vom Studenten, der sich bei ihm gemeldet habe, weil er für eine Arbeit Widersprüche in den Reden von Blocher aufdecken müsse. Der Student: «Ich habe keine Widersprüche gefunden.» Blocher zu ihm: «Es gibt auch keine – denn ich erzähle seit 30 Jahren das Gleiche.» Gelächter im Saal. Dann geht er noch auf die Kantone und den Föderalismus ein. «Als ich als Bundesrat für die Asylbewerber zuständig war, haben wir die Leute per Los auf die Kantone verteilt.» So seien nicht alle Algerier einfach zusammen gewesen, das habe eine Ballung verhindert, die in kurzer Zeit zu einem Aufstand geführt hätte.
Die Zuhörenden überzeugt
«Das war jetzt wie eine Vorlesung, aber mit einem guten Dozenten», erzählt Blocher zum Schluss und beendet seinen Auftritt mit dem Satz: «Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr darf gehen. Aber das darf man ja auch nicht mehr sagen.» Applaus brandet auf. Das SVP-Urgestein nimmt sich noch Zeit für persönliche Gespräche mit den Anwesenden. «Das war ein super Auftritt. Der Mann redet einfach so, dass auch wir vom einfachen Volk alles verstehen», schwärmt eine Besucherschar der SVP Hausen und Rifferswil. Und ein Zuhörer am Nebentisch betont: «Der Mann hat mich voll überzeugt. Ich will auch, dass die Schweiz neutral bleibt. Wir sind nicht wie die Deutschen und Franzosen, die so ein Puff in der EU machen. Da soll die Schweiz nicht mitmachen.»
Derweil hat sich im Hintergrund eine Dame neben Blocher gestellt – fürs Erinnerungsfoto.
«In meinen Reden gibt es keine Widersprüche – ich erzähle seit 30 Jahren das Gleiche.»
Christoph Blocher,alt Bundesrat
Christoph Blocher referierte 90 Minuten ohne Skript vor den über 100 Zuhörenden im Gemeindesaal Bonstetten.
SVP-Männer unter sich: (von links) Claude Wuillemin, Christoph Blocher und Toni Bortoluzzi.
Hatte das Publikum von Anfang an im Sack: Christoph Blocher auf dem Podium. (Bilder Luc Müller)