Volk setzt happige Steuersenkung durch – trotz düsterer Finanzlage
Sekundarschulgemeinde scheitert mit Antrag auf Steuerfusserhöhung, RPK triumphiert
«Ich liebe unsere direkte Demokratie!», bekundete Stadtpräsidentin Eveline Fenner am Montagabend zum Abschluss. Sie schien es ehrlich zu meinen. Auch wenn es nicht ganz so gelaufen war, wie sich das der Stadtrat wohl erhofft hatte. Ebenjene direkte Demokratie hatte in den vorangehenden knapp drei Stunden den einen oder anderen überraschenden und ja, auch skurrilen Abzweiger genommen. Ein Anwesender kommentierte die Ereignisse nach dem Versammlungsende folgendermassen: «Es wäre schon fast lustig – wäre es nicht so ernst.»
Plötzlich rief der alt Stadtpräsident: «Stopp, stopp, stopp!»
Der Reihe nach: Den Auftakt machte die Sekundarschulgemeinde Affoltern/Aeugst. Zur Abstimmung kam einerseits das Budget 2025. Dieses sah einen Aufwandüberschuss von 305100 Franken vor. Bereits in den vergangenen Jahren hatte die Sek jeweils mit einem negativen Ergebnis abgeschlossen. «Ich bin alarmiert über diese Zahlen», sagte Christian Steiner, Finanzvorsteher der Schulpflege. Zuletzt sind die Ausgaben Jahr für Jahr gestiegen: von 11,7 Millionen (2020) auf die nun budgetierten 14,8 Millionen Franken. Auf rund 80 Prozent dieser Kosten hat die Sekundarschulgemeinde kaum bis gar keinen Einfluss; darunter fallen beispielsweise die Löhne der Lehrpersonen (die wegen höherer Schülerzahlen steigen) oder Zahlungen, die die Sek an Dritte leisten muss. Beispielsweise für die Beschulung von Sonder- oder Gymischülerinnen, oder für Schüler des 10. Schuljahrs.
Man habe jeden Ausgabeposten genaustens geprüft, versicherte Steiner. Um die Sek langfristig wieder auf stabile finanzielle Füsse zu stellen, habe man aber auch «die Ertragsseite genau anschauen müssen».
Das bedeutete: Die Steuerfusserhöhung um zwei Prozentpunkte, die Schulpräsident Urs Bregenzer bereits an der letzten Budgetversammlung erwähnt hatte, sollte nun Tatsache werden. So zumindest beantragte es die Schulpflege den 286 Stimmberechtigten. Die RPK beantragte, Budget und Steuerfuss anzunehmen. Bregenzer war bereits zur Abstimmung geschritten, erste Arme gingen hoch, als ein weiterer Arm hochschnellte, der allerdings nicht zustimmte, sondern hektisch fuchtelte. Es war der Arm von alt Stadtpräsident Clemens Grötsch. «Stopp! Stopp! Stopp!», rief er – und beantragte, den Steuerfuss sei bei 19 Prozent zu belassen. Die finanziellen Verhältnisse seien gut, die Sek habe keine langfristigen Schulden. «Es braucht keine Steuererhöhung auf Vorrat.»
Budget bewilligt, aber ohne Steuerfusserhöhung
Der Antrag wirbelte die Versammlungsführung von Schulpräsident Urs Bregenzer durcheinander. Es entstand Unklarheit über die Reihenfolge, in der nun vorzugehen war. In der Folge kam es zu mehreren Abstimmungsanläufen, die nach «Neeeeei, falsch!»-Rufen aus dem Saal wieder abgebrochen wurden. Mehrere Personen meldeten sich mit Tipps zum weiteren Ablauf zu Wort, während andere noch inhaltliche Fragen klären wollten. «Ich chumme mir ächli vor wie anere Chilbi!», kommentierte einer.
Letztlich wurde der Antrag von Clemens Grötsch gutgeheissen, und in der Schlussabstimmung bewilligten die Stimmberechtigten das Budget 2025 – aber folglich nicht wie von der Schulpflege beantragt, mit einem Steuerfuss von 21, sondern mit 19 Prozent, also mit geringeren Steuereinnahmen.
«Damit haben wir heute Abend eine ziemliche Sträfzgi gefasst», bilanzierte Urs Bregenzer. Und dabei könnte es womöglich nicht bleiben: Bevor die Versammlung der Sekundarschulgemeinde geschlossen wurde, meldete ein Stimmberechtigter noch Stimmrechtsrekurs an.
Investitionen bis 2028 kosten mehr als 80 Millionen Franken
Nach der Sekundarschulgemeinde war die politische Gemeinde an der Reihe. Das wache Publikum wusste sich weiterhin fleissig einzubringen. Die Stimmberechtigten waren eben erst ausgezählt (295), da rief einer: «Tschuldigung, das sind mehr als vorher?!» Es gab Getuschel, ob bei der Sekundarschulversammlung allenfalls eine Reihe vergessen gegangen war, zumal die Aeugster nun nicht mehr im Saal, sondern auf der Tribüne sassen.
Auch bei der politischen Gemeinde standen lediglich zwei Geschäfte an: das Budget und der Steuerfuss. Finanzvorsteherin Claudia Ledermann führte durch die Zahlen. Der Gesamtaufwand für das Budget 2025 fällt 9,5 Millionen Franken höher aus als 2024. Er beträgt 108490600 Franken. Die grösste Kostensteigerung fällt beim Personalaufwand an (rund 5,5 Millionen Franken).
Die Stadt rechnet mit einem Ertragsüberschuss von 2,6 Millionen Franken. «Damit kann der bisherige Trend an hohen Ertragsüberschüssen nicht erreicht werden», so Ledermann. Im Budget 2024 waren es noch 7,4 Millionen gewesen. Für die tieferen Erträge macht die Stadt verschiedene Gründe geltend, darunter die beantragte Steuerfusssenkung von zwei Prozentpunkten, wodurch der Stadt Steuereinnahmen von 550000 Franken entgehen. Beantragt hatte der Stadtrat diese ursprünglich, um die Steuerfusserhöhung der Sekundarschulgemeinde auszugleichen.
Im Verwaltungsvermögen sind Nettoinvestitionen von 11134000 Franken vorgesehen. Das Budget 2025 weist einen Finanzierungsfehlbetrag von 2022800 Franken aus, was einen Selbstfinanzierungsgrad von 82 Prozent ergibt. Den Fehlbetrag vermag die Stadt aus Eigenmitteln zu decken, sodass keine neuen Schulden entstehen – zumindest vorläufig: Als Claudia Ledermann jedoch die Finanzplanung 2024–28 erläuterte, ging einmal ein Raunen durch den Saal, und zwar, nachdem sie alle grösseren Investitionen aufgezählt hatte, die der Stadt in den kommenden vier Jahren bevorstehen:
Die Ausgaben für Primarschulhäuser, Kindergärten, Sportanlagen, Abwasser und Kläranlage, Strassen, Liegenschaften und Hochwasserschutz belaufen sich auf 82,4 Millionen. Die Stadt wird diese Investitionen nicht aus eigenen Mitteln stemmen können. «Die Schulden werden ansteigen», prognostizierte Claudia Ledermann.
Von 99 bis 105 Prozent:Vier Anträge zum Steuerfuss
Mit Blick auf die erwähnten Zahlen mutete umso erstaunlicher an, was folgte: Die RPK unter der Leitung von Urs Gmür (SVP), die aufgrund dieser finanziellen Zukunftsaussichten bisher stets an das Sparbewusstsein des Stadtrats appelliert hatte, stellte den Antrag, den Steuerfuss um weitere zwei Prozentpunkte auf 101 Prozent zu senken. «Die RPK hat ein Sparprogramm gefordert, aber dieses wurde nicht genügend sichtbar», sagte Gmür, der betonte, dass sein Gremium keinen Leistungsabbau fordere, sondern einen haushälterischen Umgang mit den Finanzen. Der nun durch tiefere Einnahmen erzwungen werden soll.
Die Diskussionsrunde förderte verschiedene Ansichten zutage: Liliane Baumgartner (Grüne) fand, es sei «nicht verantwortungsvoll, den Stadtrat mit einem tieferen Steuerfuss umerziehen zu wollen». Orlando Rabaglio (Die Mitte) fand zwar ebenfalls, dass die Steuersenkung «Unsinn» sei. Jedoch sei sie «ein klares Zeichen gegen die rot-grün-dominierte Stadt». Am Schluss lagen zum Steuerfuss vier Anträge vor:
– Liliane Baumgartner (Grüne) beantragte, den Steuerfuss auf 105 Prozent zu belassen. Weil die Erhöhung bei der Sek abgelehnt wurde, gebe es nichts auszugleichen.
– Der Stadtrat beantragte, den Steuerfuss um zwei Prozentpunkte auf 103 Prozent zu senken.
– Die Rechnungsprüfungskommission beantragte, den Steuerfuss um vier Prozentpunkte auf 101 Prozent zu senken.
– Toni Bortoluzzi (SVP) beantragte, den Steuerfuss um sechs Prozentpunkte auf 99 Prozent zu senken.
Der Bazar war eröffnet.
Pro Jahr fehlen auch 650000 Franken aus dem Finanzausgleich
Schritt für Schritt wurden die Anträge gegeneinander ausgemehrt. Jener der RPK erhielt am meisten Rückhalt und kam in die Schlussabstimmung. Dort stimmten die Anwesenden dem Budget zu und senkten den Steuerfuss um vier Prozentpunkte auf 101 Prozent. Für die Stadt Affoltern bedeutet dies, dass ihr ab 2025 1,1 Millionen Franken Steuereinnahmen fehlen werden. Weil sich die Höhe des Finanzausgleichs auch am Steuerfuss der Nehmergemeinden ausrichtet (je höher, desto mehr Geld), werden der Stadt ab 2027 pro Jahr zusätzlich etwa 650000 Franken entgehen.