Vom Mittelmeer ins Säuliamt
Mittelmeermöwen sind zunehmend in unseren Städten und auch im Bezirk Affoltern anzutreffen
An heimischen Gewässern fühlt man sich bisweilen nicht nur aufgrund der sommerlichen Temperaturen wie am Mittelmeer, sondern auch wegen eines markanten Kreischens, das an die Ferien erinnert. Mittelmeermöwen, ursprünglich an den Küsten des Mittelmeers beheimatet, haben sich in den letzten Jahrzehnten in der Schweiz angesiedelt. Besonders in städtischen Gebieten wie Zürich sind die Vögel mittlerweile ein häufiger Anblick. Diese grossen, weissen Möwen mit ihrem markanten gelben Schnabel und einer beeindruckenden Flügelspannweite von bis zu 1,5 Metern haben es geschafft, sich an eine völlig neue Umgebung anzupassen – und das mit bemerkenswertem Erfolg.
Von der Stadt aufs Land
Seit den 1960er- und 1970er-Jahren brütet die Mittelmeermöwe nachweislich in der Schweiz. Anstatt in ihren ursprünglichen Küstenhabitaten zu verweilen, bevorzugt sie inzwischen auch urbane und Binnenland-Lebensräume. In Städten wie Zürich hat sie sich mittlerweile fest etabliert. Hausdächer und Flussinseln bieten ideale Brutplätze, die sie vor Fressfeinden wie Füchsen schützen. Diese Fähigkeit, urbane Strukturen zu nutzen, ist eine der Hauptstrategien, die ihr erfolgreiches Überleben erklärt.
Auch in ländlichen Gebieten wie dem Bezirk Affoltern wird die Mittelmeermöwe zunehmend gesichtet. «In diesem Jahr wurde mindestens ein brütendes Paar in Affoltern entdeckt – ein bemerkenswertes Ereignis, da diese Art normalerweise Gewässer wie die Reuss bevorzugt», sagt Gianni Gliott vom Natur- und Vogelschutzverein Bezirk Affoltern. «Am Flachsee, entlang der Reuss, sind mittlerweile Dutzende Mittelmeermöwen heimisch geworden. Im Winter erstreckt sich ihr Verbreitungsgebiet von Affoltern über Bonstetten hinaus, wo sie häufig auf Wiesen unterwegs sind.»
Obwohl die Zahl der Bruten voraussichtlich zunehmen wird, gibt es kaum Anzeichen dafür, dass die Mittelmeermöwen sich im Bezirk zu einer Plage entwickeln könnten. Die Art ist empfindlich gegenüber sehr kalten und schneereichen Wintern, wie sie in der Schweiz gelegentlich vorkommen, erklären Ornithologen.
Opportunistischer Jäger
Die Mittelmeermöwe ist ein Opportunist und in ihrer Nahrungswahl äusserst flexibel. «Sie ernährt sich von Fischen, Krebstieren, Vogelküken, Eiern, Aas, Obst, Amphibien, Reptilien und Kleinsäugern», ergänzt Gianni Gliott. In städtischen Gebieten durchstöbert sie häufig Mülleimer und sammelt Essensreste von Strassen und Plätzen. «Diese Fähigkeit, in unterschiedlichen Lebensräumen Nahrung zu finden, hat es ihr ermöglicht, in verschiedenen Umgebungen nicht nur zu überleben, sondern zu gedeihen. Daher braucht sie unseren Schutz nicht», so der Vogelexperte.
Trotz ihres friedlichen Erscheinungsbildes kann die Mittelmeermöwe sehr aggressiv sein, besonders wenn es um Nahrung und Brutplätze geht. Sie plündert häufig die Nester anderer Vogelarten, darunter kleinerer Möwenarten, was diese stark unter Druck setzt. «In Gebieten wie dem Flachsee im Kanton Aargau, wo Mittelmeermöwen in grosser Zahl vorkommen, haben kleinere Arten wie die Lachmöwe Schwierigkeiten, geeignete Brutplätze zu finden», erläutert Gianni Gliott.
Schutz und Akzeptanz
«Die Mittelmeermöwe ist leicht mit anderen Möwenarten zu verwechseln, insbesondere für unerfahrene Beobachter und Beobachterinnen», weiss Gianni Gliott aus Erfahrung. Grossmöwen wie die Mittelmeermöwe benötigen vier Jahre, um ihr adultes Gefieder zu entwickeln, was die Identifizierung zusätzlich erschwert. Kleinmöwen wie die Lachmöwen brauchen drei Jahre. Deshalb gehören Möwen allgemein zu den schwierigsten Vogelarten, die Ornithologinnen und Ornithologen bestimmen können.
Während sich die Mittelmeermöwe erfolgreich an ihre neuen Lebensräume gewöhnt hat, bleibt die Herausforderung bestehen, ein Gleichgewicht zu finden, das auch den Schutz der kleineren, bedrohten Vogelarten sicherstellt. «Der richtige Umgang mit dieser robusten Art besteht vor allem darin, sie als Teil der heimischen Fauna zu akzeptieren und gleichzeitig die bedrohten, kleineren Arten zu schützen», betont der Ornithologe abschliessend.
In Zug will man die Möwen abschiessen
Auch im Nachbarkanton Zug macht man sich Gedanken über die Mittelmeermöwe. Beim dortigen Amt für Wald und Wild steigt die Zahl der Beschwerden wegen der lärmigen Mittelmeermöwe, wie die «Zuger Zeitung» berichtet. Roman Keller und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses Amtes teilen den Eindruck: «Wir haben keine Zahlen zur Verbreitung der Mittelmeermöwe im Kanton Zug. Aber unser subjektives Empfinden ist, dass es in den letzten Jahren eine Zunahme gegeben hat.»
Auch deshalb macht sich der Kanton Zug dafür stark, diese Möwe von der Liste der geschützten Arten zu streichen – und damit gegebenenfalls schiessen zu dürfen. Er hat in seiner Antwort in einer Vernehmlassung der revidierten Jagdverordnung vermerkt, dass die Wildhut mehr Handlungsspielraum erhalten soll. «Es geht uns nicht darum, die Mittelmeermöwe im grossen Stil zu bejagen», sagt Roman Keller, «sondern darum, bei Bedarf sogenannte Vergrämungen vorzunehmen», heisst es im Zeitungsbericht weiter.
Mit anderen Worten: den Tieren durch das Töten einiger Artgenossen aufzuzeigen, dass sie nicht überall willkommen sind. «Da es sich um intelligente Tiere handelt, gehen wir davon aus, dass diese Massnahme punktuell Konflikte entschärfen kann und die Vögel bestimmte Gebiete meiden», führt der stellvertretende Leiter des kantonalen Amts für Wald und Wild aus. (fh)