Wenn Probleme süchtig machen
Bruno Wetton aus Affoltern wollte seinem Bruder nacheifern – dabei entdeckte er die Physik

Ohne die Biologie hätte Bruno Wetton die Physik vielleicht nie für sich entdeckt. Und auch nicht ohne seinen älteren Bruder Henry – «mein Idol», nennt ihn Wetton. Der sechs Jahre ältere Henry nahm einst an der Biologie-Olympiade teil und holte die Goldmedaille. «Wenn er das schafft, dann will ich das auch schaffen», dachte sich Wetton damals.
Als er seinem Bruder an die Kantonsschule Limmattal in Urdorf folgte, meldete auch er sich für die Wissenschafts-Olympiade an. Doch er wusste nicht, welche Disziplin für ihn die richtige war. Also wählte er gleich vier. Aus der Informatik- sowie der Chemie-Olympiade schied er noch in der ersten Runde aus. «Ich war nicht gut vorbereitet», sagt Wetton. An der Mathematik-Olympiade nahm er die erste Hürde.
Der «Mathe-Duden», ein umfangreicher Schmöker
Als Kind hatte Wetton die Liebeserklärung eines Schriftstellers für die Welt der Zahlen gelesen. Der Funke war übergesprungen. Doch trotz seiner Faszination für Zahlen schaffte er die zweite Runde an der Mathe-Olympiade nicht. «Mathe ist mir nicht praktisch genug.»
Dann war da noch die Physik-Olympiade. Auch hier überstand Wetton das erste Auswahlverfahren. Zur Vorbereitung auf die nächste Runde findet normalerweise ein Lager für die Teilnehmenden statt. «Es war 2021, mitten im Lockdown.» Statt in einem Lager sass Wetton in seinem Zimmer und sollte ein Skript von 600 Seiten wälzen.
Mit Shots bis zur Silbermedaille gekommen
Und es gefiel ihm. Plötzlich ergab es einen Sinn, dass er in der fünften Klasse einst den «Mathe-Duden» seines Lehrers geborgt hatte. «Ich verstand damals nichts, konnte aber nicht aufhören zu lesen.» Nach einigen Monaten kannte Wetton Stochastik, Vektoren und Funktionen. Was ihm nun half, allein in seinem Zimmer die Grundlagen der Physik zu verstehen. Dennoch flog er auch hier in der zweiten Runde raus. Wetton dachte an seinen Bruder Henry. Und meldete sich im Jahr darauf wieder an. «Ich bin ziemlich ehrgeizig», sagt der 18-Jährige heute. Er arbeitet lieber allein. Bei Gruppenarbeiten hat er oft das Gefühl, an den anderen vorbeizureden. «Ich bin aufgabenorientiert, nicht personenorientiert.»
Und dann waren es ausgerechnet Personen, die im Folgejahr den Unterschied machten. «Mir ging es so gut wie noch nie», sagt Wetton. Die Pandemie war vorüber, das Trainingslager der Physik-Olympioniken fand statt. «Ich lernte in einer Woche mehr als in vier Jahren Gymi.» Tagsüber paukte er die Regeln von Mechanik und Thermodynamik, nachts schlich er sich mit seinen neuen Freunden an ein Dorffest. «Wir bestellten Shots.»
Dieses Mal schaffte er es ins Finale, holte sogar die Silbermedaille. Und auch bei seinem dritten Anlauf gewann Wetton dieses Jahr Silber an der Physik-Olympiade.
Wetton träumt schon vom Nobelpreis in Stockholm
«Probleme nur mit dem Intellekt lösen», das ist es, was ihm an Physik gefällt. Und die Momente, in denen sich die «Puzzleteile zusammensetzen», er Unverständliches versteht.
Dass Wetton sich in seiner Maturarbeit Einsteins Relativitätstheorie vorknöpfte, ergab sich dann so: Als Betreuer wollte er diesen einen Physiklehrer, bei dem niemand je die Bestnote schafft. «Er ist noch aufgabenorientierter als ich», sagt der 18-Jährige anerkennend. Sein Interesse wollte Wetton mit dem Thema wecken. «Megagute Arbeit, verstanden habe ich nichts.» An den Satz eines Mitschülers erinnert sich Wetton, nachdem seine Maturarbeit von der Kanti Limmattal ausgezeichnet worden war. Und an die Worte des Physiklehrers: «Wenn du nach Stockholm gehst, lad mich ein.» Wie er dort den Nobelpreis für Physik entgegennimmt, malt sich Wetton gerne aus. «Ich würde sicher auch meinen Bruder einladen.» Doch es muss nicht gleich ein Nobelpreis sein. «Ich möchte etwas machen, wofür man sich an mich erinnert.»
Spricht man Wetton auf seine Erfolge an, gibt er sich abgeklärt. «Ich hatte nichts Besseres zu tun.» Keiner seiner Freunde lebt in seinem Wohnort Affoltern. Ein bisschen Stolz schwingt auch mit. Recht «bbüezet» habe er schon. Wetton hat die Kanti Limmattal als Jahresbester verlassen. Das letzte Pfadilager kam. Es ist Zeit, mit Altem zu brechen. Soll er wirklich auch an der ETH studieren? «Jetzt, wo er es macht.» Sein Bruder Henry promoviert dort gerade. Wetton schüttelt den Gedanken ab. Eingeschrieben hat er sich bereits. Und er wird nicht wie sein Bruder interdisziplinäre Naturwissenschaften studieren, sondern Physik.