«Ein Trainingsplan würde mich nur nervös machen»
Als Chef seines Elektroinstallationsunternehmens in Hauptikon und vierfacher Familienvater ist Köbi Schneebeli im Alltag vielfältigen Belastungen ausgesetzt. Dennoch schafft er es auch als Marathon-Mountainbiker Spitzenleistungen zu erbringen. Wie geht das?
Mit fröhlichem Geplapper stürmen Jacquelie (11), Deborath (7) und Saskia (9) ins Wohnzimmer. Nur Fiona (4) zieht die kräftigen Arme ihres Vaters vor und weigert sich, als sie dieser absetzen will, derweil die anderen drei den Besucher mit Fragen überhäufen. Der Fototermin ist vergnügt, danach gehts mit erstaunlich geringem Widerstand ins Bett. Schneebeli atmet durch. Einmal pro Woche hütet er abends die Kinder. Wir beginnen über sein Leben zu sprechen, in dem das Mountain Bike eine zentrale Rolle spielt.
19 Jahre ist es her, seit er vom Fussball aufs Rad gewechselt hat, weil ihm die Verletzungen an Knien und Fussgelenken zuviel wurden. Er kaufte sich ein Mountain Bike und steckte mit seinen Schwärmereien fürs neue Fortbewegungsmittel gleich auch noch seinen Vater an, der in der Midlife Crisis steckte. Mitte 40, 1.85 Meter gross, 112 Kilo schwer und unzufrieden, da völlig ausser Form sei er zu Beginn der 90er Jahre gewesen, blickt Schneebeli Senior zurück. Mit Ernährungsumstellung und Sport habe er in zwei Jahren rund 32 Kilo abgenommen.
Initialzündung am 1. Swiss Bike Masters
Intensiv begannen die beiden für ihre Teilnahme am ersten Swiss Bike Masters 1994 zu trainieren, das sie seither jedes Jahr bestreiten. Als 17. der Nichtlizenzierten erreichte Köbi Schneebeli das Ziel der 75-km-Strecke, sein Vater wurde bei den «Veteranen» auf Anhieb Vierter. Damit wollten sich die Schneebelis nicht zufrieden geben, begannen sich intensiver vorzubereiten und zählten um die Jahrtausendwende in ihren Kategorien zu den stärksten Marathonfahrern des Landes.
Als bisher wertvollstes Ergebnis bezeichnet Köbi Schneebeli den Kategoriensieg nach einem Sturz am Swiss Bike Masters 2000, bei dem er sich die linke Hand brach. «Meine Frau war gar nicht begeistert. Der Unfall ereignete sich sechs Wochen vor unserer Hochzeit», erinnert sich der heute 40-Jährige. Das erste Kind war da schon unterwegs und auch die Arbeit im elterlichen Elektroinstallationsgeschäft wurde immer mehr.
2008 übernahm er das Kleinunternehmen mit 13 Angestellten. Dennoch schafft Schneebeli noch heute regelmässig Topten-Klassierungen, hat inzwischen aber von der Amateur- in die umkämpftere weil lizenzfreie Fun-Kategorie gewechselt. Anstatt Trainingspläne erfasst er Arbeitsrapporte: «Ein Trainingsplan würde mich nur nervös machen, weil ich ihn nie einhalten kann». Sein Arbeitstag beginnt morgens um halb sieben und endet im ungünstigsten Fall um Mitternacht. «Ärgerlich sind jeweils Notfalleinsätze an lauen Sommerabenden. Dann, wenn ich fertig umgezogen gerade mein Bike aus der Garage rolle und mein Pikett-Handy klingelt», sagt Schneebeli.
Weder Trainingsplan noch Pulsuhr
Auch auf eine Pulsuhr verzichtet der sonst technikaffine Elektriker. Mit der Zeit lerne man sich und seine Grenzen richtig einzuschätzen, ist der 1.83 Meter grosse, 75 kg leichte Modellathlet überzeugt. Er hat sich inzwischen daran gewöhnt, dass der Bikesport nach Familie und Beruf erst an dritter Stelle kommt. Wobei er die Rangordnung relativiert: «Wenn ich zu lange nicht trainieren kann, werde ich ungemütlich. Das haben alle respektieren gelernt.»
Die gegenseitigen Zugeständnisse sind das Resultat langer Diskussionen mit seiner Frau Sonja, die in der Buchhaltung des Geschäfts mithilft, sich hauptsächlich der Familie widmet, aber keine angefressene Bikerin ist. Die gemeinsamen Ferien im Tessin lassen deshalb genügend Freiraum für Mountainbike-Solotrips. Ebenso die Wochenenden. Wobei ihm die älteren Töchter bereits nacheifern und auch schon in vorderen Rängen an Mountainbike-Kinderrennen anzutreffen sind. «Das Training am Wochenende bedingt jedoch, dass ich auch an Samstagen und Sonntagen früh aufstehe, denn die Nachmittage gehören der Familie.» Zur Not oder wenn es regnet trainiert Schneebeli im Keller auf der Rolle. Bestenfalls kommen so zehn Trainingsstunden pro Woche zusammen, schätzt der umgarnte Familienvater und Ehemann.
Zeit für andere Hobbys bleibt wenig. Im Winter Skifahren und im Sommer Pilze suchen. Und dann ist da noch ein kleines Waldstück und der Garten ums Haus, die gepflegt sein wollen.
Heilig ist Schneebeli nur der Donnerstagabend, wenn er sich zur Feierabendausfahrt mit Kollegen trifft – wenn nicht gerade das Notfall-Handy klingelt.