«Ich kann nicht zu ruhig werden»

Ex-Nati-Captain Stephan Lichtsteiner spricht über Vorbilder, die EM und seinen Weg als Trainer

Stephan Lichtsteiner auf der Sportanlage Moos. Im Cup war am Wochenende der FC Winterthur zu Gast. (Bild Dlovan Shaheri/CH Media)

Seit dieser Saison sind Sie Trainer des FC Wettswil-Bonstetten in der 1. Liga. Welche Ziele verfolgen Sie mit dem Verein?

Stephan Lichtsteiner: Das hauptsächliche Saisonziel ist klar: die Aufstiegsspiele erreichen. Und dann, wenn möglich, in die 1. Liga Promotion kommen. Allgemeiner ausgedrückt, möchte ich einen dominanten Fussball spielen lassen und Spieler auf dem Platz sehen, die ihre ganze Qualität ausschöpfen können.

Zuletzt waren Sie Trainer der U16 des FC Basel. Warum der Wechsel in die 1. Liga?

Noch einmal eine Saison bei der U16 des FC Basel hätte für mich wenig Sinn gemacht. Ich wollte eine neue Erfahrung. Dann hat sich die Möglichkeit mit dem FCWB ergeben. Ich finde das sehr spannend. Es erwarten mich ganz andere Voraussetzungen. Es gibt viele Absenzen – was auch so sein soll auf dieser Stufe. Ich habe nur noch drei Trainings pro Woche. Die Frage ist also: Bekomme ich es hin, meine Ideen zu vermitteln? Mit einem komplett anderen Coaching. Ich kann verbal nicht so streng und fordernd sein wie bei Junioren, die alle Profis werden wollen. Nun geht es noch mehr um Empathie und darum, die Trainings so aufzubauen, dass sie so viel Spass wie möglich bereiten. Gleichzeitig habe ich Mittwoch und Donnerstag komplett frei – und darum die Möglichkeit, verschiedene Vereine in Europa zu besuchen, Champions League oder Europa League zu schauen, dort Eindrücke zu sammeln. Das bringt mir für die individuelle Ausbildung mehr derzeit.

Wie sind Sie als Trainer?

Wenn man mich an der Seitenlinie erlebt, dann vermutlich mehr Diego Simeone als Carlo Ancelotti (lacht). Das Ziel ist es schon, ruhiger zu werden. Ich muss meinen Weg finden und gehen. Ich kann aber auch nicht zu ruhig werden, das wäre nicht mein Naturell. Dann würde ich auch nicht mehr so performen, wie ich es könnte. Diesen Punkt hat Ancelotti in seinem Buch auch ausgeführt. Er sagt, er werde häufig kritisiert für seine Art, zu lieb zu sein. Mag sein, aber wenn er anders wäre, dann wäre er nicht mehr authentisch und nicht mehr erfolgreich.

Als Spieler war eine Ihrer grossen Stärken, dass Sie sich jeden Tag gepusht haben, es zählte nur das Gewinnen – egal ob im Champions-League-Final oder einem Vorbereitungsspiel. Haben Sie dieses Gen auch als Trainer?

Wenn man über Jahre an der Spitze vorne dabei sein will und immer wieder gewinnt, sind Hunger und Leidenschaft Voraussetzung. Habe ich einen Titel gewonnen in meiner Karriere, dachte ich schon an den nächsten. Ich denke, als Trainer wird das ähnlich sein. Aber eines darf man nicht vergessen, vielleicht denkt man: Wow … 17 Titel gewonnen, aber ich war häufig auch nahe dran, habe wichtige Spiele verloren. Zwei Champions-­League-Finals verloren, Uefa-Cup-Final verloren, Schweizer Cupfinal verloren, italienischen Cupfinal verloren – andere Enttäuschungen wie die Achtelfinal-­Niederlagen mit der Nati an WM- und EM-Endrunden. Auch das prägt.

Wo sehen Sie sich? Haben Sie ein Ziel als Trainer? Wieder bei Juventus Turin landen, irgendwann? Oder Nati-Trainer im Jahr 2040 beispielsweise?

Noch weiss ich nicht, ob ich irgendwann Profi-Trainer werden möchte. Falls ja, dann ist es schon das Ziel, möglichst schnell wieder ins Ausland zu kommen. Zu einem Verein, bei dem etwas Grosses möglich wäre. Wenn es denn meine Qualität als Trainer zulässt. Wenn es das Momentum zulässt. Für mich war klar, dass es nicht mein Naturell ist, zu Hause zu bleiben und den Ruhestand zu geniessen. Meine Leidenschaft für den Fussball und meine Energie sind zu gross, um nicht im Fussball weiter tätig zu sein. Aber ich werde auch nichts forcieren. Unsere Kinder, die sind jetzt 9 und 13, sind hier in der Schule. Da passt es gut, dass ich momentan hier bin und in meine Ausbildung investiere.

Haben Sie Trainer-Vorbilder?

Mich interessieren die jungen Trainer schon sehr. Ein Thiago Motta bei Bologna, der jetzt zu Juventus Turin wechselt. Ein Xabi Alonso. Ein Roberto De Zerbi, der kein junger Trainer mehr ist, aber einen modernen Fussball spielen lässt. Und vor allem interessiert mich, wie sie die Spiele vorbereiten. Ein Final ist etwas ganz anderes als ein Gruppenspiel im Herbst. Ich verfolge das Business mit anderen Augen als früher.

Sie haben in diesem Sommer das A-Diplom abgeschlossen. Wie sehr hat der Kopf gebrummt?

Schon ziemlich. Die Trainerausbildung in der Schweiz dauert enorm lange und der Aufwand ist sehr gross. Ich bin nicht mit allem einverstanden, aber es war mein Entscheid, den ersten Teil der Ausbildung in der Schweiz zu machen.

Stimmt da alles im System?

Manchmal frage ich mich schon, ob die Verhältnismässigkeit gegeben ist. Um das Uefa-Pro-Diplom – das höchste Trainerdiplom – zu erlangen, braucht man in der Schweiz zwischen sieben und zehn Jahren … Ich bin der Meinung, das geht zu lange. Schlussendlich reguliert sich der Markt selbst, das ist überall so und sollte auch im Fussball so sein.

Wie steht es um den Schweizer Fussball?

Wir müssen weiter Gas geben und dürfen uns nicht auf unseren Erfolgen ausruhen. Wir müssen gemeinsam ­einen Weg finden, damit gewisse Bereiche weiter verbessert werden können. Und alle vorhandenen Ressourcen ins Boot holen.

Wird das zu wenig gemacht?

Die Dichte an Schweizer Topspielern hat enorm zugenommen. Mittlerweile haben wir viele Spieler in grossen Ligen bei grossen Vereinen. In den letzten Jahren haben diverse Schweizer in Topvereinen gespielt und da auch Titel gewonnen. Das widerspiegelt auch die grossen Erfolge der Schweizer Nationalmannschaft in den letzten Jahrzehnten. Die Nati ist stets mindestens im Achtelfinal von Weltmeisterschaften und Europameisterschaften – das soll so bleiben! Jede Generation ist zuständig dafür, diese Gene und Erfahrungen ­weiterzugeben, um dieses Level halten zu können – oder bestenfalls sogar zu verbessern.

Wie haben Sie die Schweizer Leistungen an der vergangenen Europameisterschaft erlebt?

Da reichen wenige Worte nicht, um zu beschreiben, was die Jungs geleistet haben. Das haben aber auch schon genügend andere getan. Aber es hat enormen Spass gemacht, den Jungs zuzuschauen. Sie haben ein überragendes Turnier gespielt.

Was ist Ihre schönste Erinnerung als Nationalspieler?

Ich funktioniere da vielleicht ein bisschen anders. Ich denke an die Momente, wo wir nahe dran waren. An den WM-Achtelfinal gegen Argentinien 2014, an das Penaltyschiessen im EM-Achtel­final gegen Polen 2016, auch an das Ausscheiden an der Heim-EM 2008 – das es vielleicht gebraucht hat für die Entwicklung. Niederlagen tun enorm weh … aber man lernt am meisten daraus.

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