Motocross in Muri zeigt familiäre Züge
Rund 10000 Zuschauer haben am Montag das spektakuläre Pfingst-Motocross in Muri besucht. Im stark besetzten Feld der MX2-Fahrer hat auch der Rifferswiler Junior Phillippe Vollenweider seine Sporen abverdient. Ohne seine Familie wäre er jedoch chancenlos geblieben.
«Thunder», wummert die australische Hardrockband «AC/DC» aus dem riesigen Boxen-Kubus, der über dem Startgelände hängt. Es ist das Zeichen, dass das Startgatter in wenigen Sekunden fallen wird. 40 Motocross-Rennfahrer, die es bald nicht mehr erwarten können, auf die schnelle, anspruchsvolle Runde entlassen zu werden, drehen nervös am Gasgriff. Noch fünf Sekunden. Mit ohrenbetäubendem Lärm heulen die Motoren einen Moment auf. Dann knallt das Gatter zu Boden. Stollenbereifte Hinterräder krallen sich in die Wiese und werfen meterhohe Erdfontänen auf. Tief über den Lenker gebeugt, damit sich die leichten Crosstöffs nicht zu sehr aufbäumen, schiessen die Fahrer wie ein Rudel Wildpferde auf die erste Haarnadelkurve zu. Die ist natürlich viel zu schmal für alle. Während die Spitzenfahrer bereits auf den ersten 100 Metern einen Abstand zwischen sich und den Rest zu legen vermögen, verhaken sich einige Teilnehmer in den hinteren Positionen.
Glück und Gas
Von links aussen ist Phillippe Vollenweider mit seiner knapp 40 PS starken 250-er Kawasaki losgeprescht. Zuerst touchiert ihn ein Mitstreiter, später rutscht ihm die Maschine ganz weg und er muss zu Boden. Alles in der ersten von 15 Runden. Dennoch hat er grosses Glück: Beim Angasen vor dem grossen Sprung, bei dem die Cracks bis zu 30 Meter weit fliegen, springt ihm unvermittelt der Gang raus. Das provoziert eine äusserst heikle Situation, denn mit Gewichtsverlagerung, Bremsen und vor allem Gasgeben wird die Fluglage der Maschine kontrolliert. Ohne Gas kann das Motorrad buchstäblich abstürzen. Mit viel Akrobatik kann dies Vollenweider verhindern. Doch das Aufsetzen ist so hart, dass er nach dem Rennen die Gabel und seine Glieder wieder richten muss. Im Moment der harten Landung hat er jedoch so viel Adrenalin und auch Endorphine im Blut, dass er die Schmerzen zunächst nicht spürt. Kontrolliert spult er die restlichen 14 Runden ab und arbeitet sich noch auf den 25. Platz vor. «Nicht schlecht im Feld mit den besten Schweizern in der 250-er-Klasse», bilanziert er in der Mittagspause.
Zurück im Fahrerlager hat sich Vollenweider beim Wohnwagen sofort aus seiner «Rüstung», bestehend aus Helm, Nackenstütze, Stiefeln sowie zahlreichen Schonern und Panzern geschält und sich rasch unter die Dusche gestellt. Mutter Conny hat Tape, Massageöl und Salbe bereit gemacht. Während sich Vater Hans um die lädierte Maschine kümmert, massiert und taped Conny Vollenweider den geschundenen Körper ihres Sohnes. Gezeichnet von den Strapazen hat der sich inzwischen auf einem Gartenstuhl vor dem Wohnwagen niedergelassen. Zehn Minuten später liegt der Filius bereits auf der Pritsche im Wohnwagen und macht ein kurzes Nickerchen. Derweil die Schwester und seine Freundin am Kartoffelschälen fürs Mittagessen sind. Mutter Conny steht nun am Herd, während Vater Hans den Grill angefeuert hat. Es gibt Rösti und Teigwaren mit Schnitzel und Salat. Kohlehydrate, Eiweiss und Vitamine, damit der Energiespeicher wieder voll ist, wenn der Sohn am Nachmittag zum zweiten Lauf antritt.
Ohne Familie läuft (fast) nichts
Motocrossfahren ist bei den meisten Jungsportlern eine reine Familienangelegenheit. Die Mitglieder sind ein eingespieltes Team, bei dem jede und jeder weiss, was er oder sie zu tun hat. Das beginnt bei der Vorbereitung. Während Phillippe mit dem Wohnwagen und dem Töff im Anhänger bereits am Pfingstsonntag nach Muri gefahren ist, sind die Eltern mit dem restlichen Material erst am Pfingstmontag zum Rennen angereist. Mit gutem Grund: Phillippes erstes Training hat bereits morgens um 7.20 Uhr stattgefunden. Auf Platz übernachten schafft mehr Erholungszeit und Konzentration, da auch das Umfeld voll und ganz auf Moto-Cross eingestellt ist.
Ganze Wagenburgen richten sich die einzelnen Teams jeweils ein. «Nötig wäre es ja eigentlich nicht, auf Platz zu übernachten, wenn der Wettkampf so nahe von zu Hause stattfindet», räumt Phillippe Vollenweider ein. Aber man gewöhne sich im Laufe der Jahre an gewisse Rituale, die zur Rennvorbereitung gehörten. Wie das Zusammenräumen, putzen, waschen und Instandstellen von Maschine und Material, das wiederum unter den Angehörigen aufgeteilt erledigt wird.
In wenigen Minuten fällt das Startgatter zum zweiten Lauf. Wieder knallt AC/DC aus den Boxen. Wieder muss Vollenweider in der Startrunde zu Boden – diesmal durch Fremdverschulden – und kann erst als Letzter wieder ins Renngeschehen eingreifen. Danach läuft es dem 18-Jährigen besser, wie im ersten Durchgang. Kontinuierlich arbeitet er sich auf den 21. Platz vor. Es ist das letzte Ergebnis für dieses Wochenende.
Am Dienstag stand der Drittlehrjahrstift wieder im «Stollen» als Baumaschinenmechaniker. Heute Freitag geht die Leidenschaft von Neuem los. Der fünfte Lauf der «MXRS»-Serie steht auf dem Programm. Im luzernischen Willisau misst sich Vollenweider dann wieder in der Super-Race-Kategorie, wo der Leistungsunterschied nicht mehr ganz so krass sein wird wie am Rennen in Muri. Vollenweider belegt in der MXRS-Zwischenwertung den fünften Platz. Die Spitze wäre das Ziel.