Sport – ein Abbild der Gesellschaft

Im Rahmen der Vortragsreihe Wirtschaft und Werte der katholischen Kirche Zug hat sich am Mittwochabend im Kappeler Gemeindesaal eine hochkarätige Gesprächsrunde mit Pro und Kontra des Spitzensports auseinandergesetzt. Die Bilanz der Fachleute und Ethiker fiel zwiespältig aus.

Zum Thema Spitzensport im Spannungsfeld zwischen Leistung, Markt und Ehtik referierten von links Markus Huppenbauer, Gunter Gebauer, Moderatorin Regula Späni, Walter O. Frey, Natascha Badmann und Gian Gilli sowie Christoph Balmer, Geschäftsstellenl
Zum Thema Spitzensport im Spannungsfeld zwischen Leistung, Markt und Ehtik referierten von links Markus Huppenbauer, Gunter Gebauer, Moderatorin Regula Späni, Walter O. Frey, Natascha Badmann und Gian Gilli sowie Christoph Balmer, Geschäftsstellenleiter des Forums Kirche und Wirtschaft. (Bild Martin Platter)

In seinem rund einstündigen Eingangsreferat fand der renommierte Soziologe und Sportwissenschaftler Prof. Dr. Gunter Gebauer deutliche Worte für das Sittenbild im Sport. Ein Milliardengeschäft für die grossen internationalen Sportverbände wie das Olympische Komitee (IOC), bei dem die meisten Sportlerinnen und Sportler jedoch finanziell weitgehend auf der Strecke blieben. Gebauer fragte rhetorisch: «Weshalb werden die Sportler an Olympischen Spielen nicht an den gigantischen Erträgen aus dem Verkauf der TV-Rechte beteiligt?» Vor allem in den Radsportarten würden die Topathleten in Deutschland mit 1800 Euro Monatsgehalt abgespeist. Sie geben dafür ihre Jungend und oft auch ihre Gesundheit und stünden nach dem Rücktritt nicht selten vor dem Nichts. Gebauer plädierte deshalb für ein duales Bildungssystem (wie es in der Schweiz üblich ist) und die Fokussierung des Sportlers nicht einzig auf den Sport.

Wertesystem – aber nur für Sportler

Noch immer gelte in der Gesellschaft zwar das Wertesystem des Sports wie persönliche Bescheidenheit, Leistungsbereitschaft, der Wille, sich ständig zu verbessern, Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit. In den grossen Sportverbänden, die sich selber überwachen, setze man sich jedoch grosszügig über diese ethischen Grundregeln hinweg. Die Sportler würden systematisch ausgebeutet, während sich die Funktionäre mit diffusen Bonussystemen grosszügig belohnten. Als Beispiel für die Zwickmühle, in die die Sportler hineingeraten können, zitierte Gebauer das Buch von Kunstturnerin Ariella Käslin «Leiden im Licht». Als Vierjährige begann Käslin mit dem Training. Mit zehn wurde sie erstmals Elite-Schweizer-Meisterin. Mit elf trainierte sie bis zu 30 Stunden in der Woche. Sie erlebte dabei eine Stagnation als Mensch, während es im Sport immer weitergeht. Die Sportlerin lief leer. Das Besserwerden wurde irgendwann zur Qual, die Bekanntheit in der Öffentlichkeit zur Last. Nach dem Rücktritt kam die totale Leere. «Davor müssen wir die Sportler schützen», fand Gebauer.

Er verglich das Bild, das der Zuschauer auf dem Sportplatz oder im Fernsehen sieht, mit der schönen Benutzeroberfläche eines Computers. Was darunterliegt, der Code der Programme und die Hardware, blieben jedoch im Verborgenen. Wie auch die zuweilen schwer nachvollziehbaren Entscheide in den Sportverbänden und Sportschiedsgerichten. Er erwähnte das Beispiel der russischen Mittelstreckenläuferin Julia Stepanowa. Zusammen mit ihrem Mann hatte sie 2012 das systematische Doping der Leichtathletik in Russland, das zur teilweisen Sperrung der Delegation in Rio geführt hatte, ans Licht gebracht. Dennoch erhielt ausgerechnet sie für Rio keine Starterlaubnis vom IOC. Die vom Sportgericht CAS abgesegnete Begründung: Weil sie selber Teil der Doping-Maschinerie gewesen sei. Gebauer folgerte, dass Sportler in gewissen Nationen und Systemen zum Doping getrieben würden. Gelockt würden die Athleten bei Erfolg mit sozialem Aufstieg. Es gelte deshalb, die Sportler zu schützen. Die Verbände seien in der Pflicht.

Gute Erinnerungen überwiegen

Der frühere Spitzensportler Gian Gilli entgegnete, dass bei ihm rückblickend klar die guten Erinnerungen und Erfahrungen überwögen – mit Sportlern und Funktionären. Er relativierte jedoch: «Natürlich gab es auch Auswüchse. Sport ist ein Abbild der Gesellschaft.» Triathletin Natascha Badmann erklärte, dass sie den Sport von einer sehr positiven und erfüllenden Seite kennen gelernt habe und rückblickend nochmals den exakt gleichen Weg gehen würde, den sie eingeschlagen hat. Selbst den schweren Sturz, den sie 2007 am Ironman wegen eines unachtsamen Begleitmotorrads erlitten hatte, würde sie nicht rückgängig machen wollen. Gilli ergänzte, dass die schönsten Momente oft in der Vorbereitung erlebt würden. Aber es gebe auch im Sport nichts ohne Verletzungs-Risiko. Ethiker Markus Huppenbauer äusserte sich mit ambivalenten Gefühlen zu Badmanns Leistung und Comeback. Einerseits finde er es gut, wie sich Badmann nach dem Unfall wieder aufgerafft habe und der Invalidität entronnen sei. Dennoch sei er skeptisch, ob man im Sport alles erreichen könne: «Was geschieht mit den vielen Leuten, die es eben nicht schaffen?» Badmann antwortete: «Es ging mir um Eigenverantwortung und Selbstachtung. Ich wollte einfach das gute Gefühl beim Sporttreiben wieder zurück. Das hat mich in der Reha angetrieben.»

Gebauer warf ein: «Vor lauter Kämpfen darf man das Leben nicht aus den Augen verlieren. Man muss einen gesunden Mittelweg finden, denn das Sportsystem ist toxisch und birgt Suchtpotenzial.» Sportarzt Walter O. Frey ergänzte: Bei Sportlern sei der Wille sehr ausgeprägt, nach einem Unfall wieder gesund zu werden. Da erlebe er manchmal Dinge, die an medizinische Wunder grenzten.

Eltern sind prägend

Moderatorin Regula Späni stellte die Frage, welche Rolle die Eltern von Jungsportlern spielen. Gebauer erklärte, dass die Elternbindung für die Kinder sehr prägend sei. Danach kämen die Trainer, Verbände, Sponsoren und Medien ins Spiel. Dieses Spannungsfeld bezeichnete Gilli als nicht immer einfach, da es um Geld, Prestige und spezifische Interessen gehe. Da werde nicht immer nach moralischen Grundsätzen gehandelt. Huppenbauer warf ein: «Wir wollen keine Heiligen. Aber es müssen Strukturen geschaffen werden, die es den Sportlern ermöglichen, ehrlich zu handeln.» «Wer ist dafür zuständig?», wollte Gebauer wissen und gab zu bedenken: «Das IOC und andere grosse Sportverbände kontrollieren sich selbst.» «Es liegt in der Verantwortung der Konsumenten», befand Huppenbauer. «Nicht immer», widersprach Frey und nannte als Beispiel Norwegen, wo sich nach einem Dopingfall im Langlauf kürzlich staatliche Instanzen für die Wiederherstellung des guten Rufes eingeschaltet haben. Frey bestätigte, dass vor allem die Familie einen grossen Einfluss auf den Sportler hätten. Dann beispielsweise, wenn es darum gehe, Athleten mit medizinischen Mitteln wieder fit zu machen. Die Trainer seien diesbezüglich sehr zurückhaltend und von Sponsoren habe er noch keine Druckversuche erlebt. Dennoch sagte Frey mit anderen Worten, dass das Sportsystem viele Anzeichen von einer Hochkultur in der Endphase hätte.

Der Mensch im Mittelpunkt

Gilli sagte, dass der Sport mehr Verlierer als Gewinner produziere. Letztlich seien aber doch alle Gewinner, denn die Jungen hätten in der Zeit des aktiven Sporttreibens ihre Leidenschaft ausgelebt, seien fokussiert gewesen und hätten gelernt, was es heisst, auf ein Ziel hinzuarbeiten. Davon profitiere wiederum die ganze Gesellschaft. Das sieht auch Gebauer so. Dennoch sprach er sich dagegen aus, die Jungen allzu früh in den Spitzensport zu treiben. «Trainer sollten Ausbildner sein», fand Badmann, die es das Glück bezeichnete, dass ihr Trainer zugleich ihr Mann ist. Denn so sei sie auch als Mensch wahrgenommen worden, und nicht nur als Sportlerin.

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