«Zurzeit habe ich zwei Wochen Veloverbot»

Flurina Rigling, die frischgebackene Hedinger Doppel-Weltmeisterin im Paracycling, im Interview

Zwei Goldmedaillen von der Heim-WM in Zürich, eine Bronze- und eine Silbermedaille von den Paralympics in Paris – und das alles innerhalb von zwei Monaten: die Paracyclistin Flurina Rigling in ihrem Garten in Hedingen. (Bild Daniel Vaia)

Zwei Goldmedaillen an den Rad- und ­Paracycling-Weltmeisterschaften in Zürich und eine Silber- und eine Bronzemedaille an den Paralympics in Paris! Und das innerhalb von nicht einmal zwei Monaten. Haben Sie schon realisiert, welch unglaubliche Leistung das ist?

Flurina Rigling: Schon noch nicht ganz – weil ich halt nie wirklich eine Pause hatte. Es ist einfach immer weitergegangen. Es waren fast zwei Monate, in denen du deine Formebene halten musstest, in Paris sogar auf der Strasse und auf der Bahn. Das ist schon sehr intensiv. Körperlich geht es mir sehr gut, aber für den Kopf ist das sehr streng, auch wegen des ganzen Drumherums.

Das kriegt man von aussen jeweils kaum mit: Sie haben ja neben den Rennen noch Interviews zu geben, es gibt Sponsoren, Freunde und Fans, die einen sehen wollen, und in Zürich waren Sie noch offizielle WM-Botschafterin ... Woher nehmen Sie die Kraft, das durchzustehen?

Das Thema Energiemanagement beschäftigt mich permanent. Ich glaube, ich konnte sehr viel profitieren von meinem Alltag vor diesen Grossanlässen. Vorher hatte ich noch parallel mein Studium an der Uni zu absolvieren und sonst Projekte am Laufen. Schon während der Gymi-Zeit war es stressig, ich wollte immer super sein und das Beste herausholen. Ich glaube, diese Belastbarkeit, die kommt mir jetzt zugute. Es ist aber schon ein Kampf. Im besten Fall kann ich dafür sorgen, dass ich jeweils auch Energie zurückerhalte – und nicht nur das Gefühl habe, ich müsse jetzt dieses und jenes erledigen. Sonst würde es nicht aufgehen. Es ist immer eine Art Balance-Akt.

Und wie entspannen Sie sich jetzt? Ein solches Level hält man nicht ewig durch.

Jetzt bin ich mal eine Woche zu Hause in Hedingen und dann fahre ich für eine Woche mit meiner Familie nach Frankreich.

Das ist ja fast nichts. Und heute Nachmittag, sagten Sie mir vor dem Interview, besuchen Sie eine Vorlesung an der Uni ...

Manchmal ist es schon erholsam, wenn man wieder einen gewissen Alltag hat, der nichts mit Velofahren zu tun hat. Ich habe jetzt mal sicher zwei Wochen Veloverbot, zwei Wochen, in denen ich nicht aufs Velo darf.

Haben Sie sich das Verbot selber auferlegt?

Nein, mein Trainer.

Sind Sie froh darum?

Wenn das Wetter schön ist, juckt es mich schon manchmal. Aber ich weiss, ein solches Verbot ist wichtig, sonst holt einen die ganze Belastung irgendwann ein. Gerade wenn die Saisons lange sind, kannst du irgendwann körperlich oder mental nicht mehr, du wirst krank, du verletzt dich – oder du findest die Motivation nicht mehr. Es hilft mir, wenn jemand von aussen, wenn meine Trainer mich stoppen. Ich verliere zwar in dieser Zeit meine Fitness – was hart ist. Denn du kommst von deiner besten Form – und hast du die schlechteste Form, wenn du das nächste Mal aufs Velo steigst. Aber ich vertraue meinen Trainern. Das hat sich gerade zu Beginn dieser Saison als erfolgreich erwiesen. Sie sagten mir, ich müsse noch nicht sofort performen und noch nicht mega-mega-mega viel trainieren. So konnte ich bis zum Saisonschluss meine Bestleistung abrufen.

Sie haben aus Schweizer Sicht die WM stark geprägt durch Ihre beiden WM-­Titel – oder etwa den Jubelschrei nach der Zielankunft im Zeitfahren. Geblieben sind aber auch Ihre Tränen und Ihre stockende Stimme, als Sie nach dem Sieg im Strassenrennen in einem SRF-Interview erklärten, Sie würden Ihre Goldmedaille der kurz zuvor verstorbenen Schweizer Nachwuchs-Radrennfahrerin Muriel Furrer widmen. Wie haben Sie diesen Zwiespalt ausge­halten: einerseits die Freude über den Titel, andererseits die Trauer über diesen ­Todesfall?

Ich glaube, es ist wichtig, beidem Raum zu geben. Erstens wusste ich, dass die Familie von Muriel Furrer wünschte, dass die WM weitergeht – sonst wäre ich wahrscheinlich nicht an den Start gegangen. Vor dem Rennen habe ich zudem viele Gespräche geführt. Das hilft mir jeweils – wenn ich mich mit anderen austauschen kann und so eine Art Aussenspiegel bekomme.

Wenn der Todesfall nicht gewesen wäre, hätte ich mich wohl anders gefreut. Aber das war in diesem Moment nicht möglich.

Schauen wir noch mal auf die WM als Ganzes: Welche Bilanz ziehen Sie als offizielle WM-Botschafterin?

Ich denke, man kann sehr viel Positives mitnehmen. Die Bühne, die der Parasport erhalten hat, die Möglichkeit einiger Kategorien, dieselben Strecken fahren zu können, das war ein extrem wichtiger Schritt. Es macht diesen Sport fassbarer fürs Publikum, etwa wenn es sieht, wie die Handbiker den Zürichberg hinauffahren, und später die Elitefahrer auf demselben Abschnitt. Man konnte die Professionalität dieses Sports sehen, das ist ein megagrosses Anliegen.

Für mich ist es sehr wichtig, dass man jetzt die richtigen Lehren aus ­diesem Anlass zieht. Es war ein extrem langer Event. Vielleicht findet man Möglichkeiten, in vielleicht anderer Form weiter Rad- und den Para-Radsport­rennen an gemeinsamen Anlässen durchzuführen. Für mich ist es zentral, dass man dieses Ziel beibehält und nicht einfach fallen lässt.

Sie haben mit 28 eigentlich alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. An den Paralympics in Paris hat es zwar nicht zu Gold gereicht, aber dort waren die ­Kategorien gemischt, Sie mussten als ­Parasportlerin der Kategorie C2 gegen weniger handicapierte C3-Sportlerinnen antreten. Haben Sie überhaupt noch ­Ziele?

Ich betreibe diesen Sport, weil ich ihn mag, es ist mein Lebensstil. Ich ­fahre gerne Rennen, ich verbessere mich gerne und optimiere gerne und versuche, jeweils noch mehr herauszuholen. Ich sehe noch unendliches Potenzial. Das erfüllt mich – nicht die Medaillen an sich. Deshalb möchte ich unbedingt weitermachen. Ich sehe noch so viele Sachen, die ich verbessern möchte – und Ziele, die ich noch nicht erreicht habe.

Wie sieht Ihr Plan aus bis Ende Jahr?

Im Moment bin ich noch off-­season, ich mache Pause. Dann werde ich mich mal mit meinen Trainern ­zusammensetzen und zurück und vorwärts ­schauen. Der Rennkalender für die nächste Saison steht noch nicht. Klar ist nur, dass wir auch andere Sachen machen werden als üblich, weil das nächste Jahr für die nächsten ­Paralympischen Spiele nicht zählt, das heisst, wir müssen keine Punkte ­sammeln. Das erlaubt einem, gewisse Rennen nicht zu fahren und dafür ­anders zu trainieren – oder Dinge ­auszuprobieren. Auf das freue ich mich!

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