Auf dem Weg zur höchsten Spitze

Sommerserie "hoch hinaus": Überraschungen im Mettmenstetter Kirchturm

Apéro mit Pfarrer Andreas Fritz (links) und Sigrist Erst Suter.

Apéro mit Pfarrer Andreas Fritz (links) und Sigrist Erst Suter.

Der 60 Meter hohe Kirchturm von Mettmenstetten. (Bilder Marianne Voss)

Der 60 Meter hohe Kirchturm von Mettmenstetten. (Bilder Marianne Voss)

Das faszinierende Innenleben des hohen, schlanken Turmes. (Bild Ernst Suter)

Das faszinierende Innenleben des hohen, schlanken Turmes. (Bild Ernst Suter)

Bevor ich beginne, den Kirchturm von Mettmenstetten zu erklimmen, erfahre ich sitzend im Kirchenschiff ein paar Besonderheiten dieser Kirche. Eine davon ist ihr Turm, der mit 60 Metern der höchste Kirchturm im Säuliamt ist. An den Prime Tower, mit 126 Metern das höchste Hochhaus in Zürich, kommt er längst nicht heran. Aber er ist immerhin fast doppelt so hoch wie der Aussichtsturm Albis-Hochwacht.

Die reformierte Kirche in Mettmenstetten wurde 1520 neu gebaut, damals noch als katholisches Gotteshaus und mit dem verbreiteten Käsbisse-Turm. 1521 erhielt die Kirche eine kunstvoll geschnitzte Holzdecke, die bis heute erhalten ist. Erhalten ist in der Mitte der Decke auch das Bild von Maria mit dem Jesuskind im Arm. Ebenfalls an die Zeiten vor der Reformation erinnert das Glasfenster mit der Abbildung von Petrus und Paulus, denn die ursprüngliche Kirche war diesen Heiligen geweiht. Petrus mit dem Schlüssel und Paulus – aber mit einer Schreibfeder statt eines Schwerts – sind auch als Relief auf dem Taufstein zu sehen. Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Turm durch einen hohen, schlanken Spitzhelm ersetzt. Fünf Glocken erhielten Platz im geräumigen Glockenstuhl auf knapp 20 Metern Höhe.

Turmmuseum

Beim Aufstieg werde ich von Pfarrer Andreas Fritz und dem Sigristen Ernst Suter begleitet. Schon nach den ersten Treppenwindungen erwartet mich eine Überraschung. Hier ist ein kleines Turmmuseum eingerichtet mit Gegenständen, Büchern, Bibeln und Möbeln aus früheren Zeiten. Es wirkt ein bisschen wie die Schreibstube eines Gelehrten. Es sei nicht sein Arbeitszimmer, erklärt Andreas Fritz humorvoll. «Wohnt hier vielleicht der Turmgeist?», möchte ich wissen. Er habe ihn nie angetroffen, so die Antwort des Pfarrers. Auch der Sigrist kennt keinen Turmgeist an seinem Arbeitsplatz.

So weit also alles gut. Wir steigen nun mehrere Holztreppen hoch, zuerst bis zum beeindruckenden Uhrwerk, dann bis zum Glockenstuhl. Es schlägt Viertel vor. Zum Glück hat Ernst Suter uns vorgewarnt, damit wir die Ohren zuhalten. Wenn hier alle fünf Glocken für das volle Geläute schwingen, ist das weit herum zu hören. Andreas Fritz wohnt im Pfarrhaus gleich neben der Kirche. «Am Samstagabend, wenn mit fünf Glocken der Sonntag eingeläutet wird, lasse ich alles liegen, öffne das Fenster und geniesse es einfach.»

Anstossen unter der grossen Glocke

Ab dem Glockenstuhl mit den vier Fenstern beginnt der eigentliche Aufstieg und wird zur Herausforderung. Denn ab hier muss auf Leitern in die Höhe geklettert werden. Die Holzkonstruktion im Innern des Turmes ist ein architektonisches Kunstwerk mit unzähligen Verstrebungen. Wie das wohl damals mit den technischen Mitteln jener Zeit gebaut wurde? Bis zur Luke, wo an Festtagen die Fahnen montiert werden, steigt Ernst Suter ab und zu auf. Danach wird es immer enger und irgendwann würde man wohl stecken bleiben.

Zurück im Glockenstuhl machen wir unter der grossen Glocke Rast. «Von hier aus musizieren vier Turmbläser jeweils an Silvester kurz vor 24 Uhr», erzählt Ernst Suter. «Sie verkünden so dem Dorf das neue Jahr. Das ist eine schöne Tradition.»

Jetzt wartet eine weitere Überraschung auf mich: Die Herren haben den Apéro dabei. Sie packen den gekühlten «Féchy» und richtige Gläser aus dem Rucksack. Na, dann Prost! Vor dem Drei-Uhr-Schlag lassen wir die Gläser klingen, dann halten wir uns wieder die Ohren zu. Die Schwingungen des tiefen Tons der grossen Glocke sind körperlich spürbar. Inzwischen tut aber auch der Wein seine spürbare Wirkung. Das Gespräch wird lustig und auch philosophisch. Was bedeutet denn «hoch hinaus»? Warum strebt der Mensch nach immer mehr? Nach dem Erklimmen von den höchsten Gipfeln oder nach Erfolg, Einfluss, Geld und Macht? «Gehört denn der Pfarrer nicht auch zu denen ganz oben?» Er lacht. «Nein, heute nicht mehr. Die Zeiten sind vorbei. Und das ist auch gut so.»

Wie ist es, Sigrist oder Pfarrer der Kirche mit dem höchsten Turm im Säuliamt zu sein? «Es ist schön, dass sich viele interessierte Gäste, Gruppen und Schulklassen melden, die unsern schönen Turm besichtigen möchten», antworten sie. «Das macht uns schon auch etwas stolz.»

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