«Der Markt wird mit Fahrschulen überspült»

Seit die Führerausweisvorschriften revidiert wurden, brechen den Fahrschulen die Umsätze weg. Im Säuliamt bauen sich erste ein neues Standbein auf. Trotzdem steigt die Zahl der Berufseinsteiger stark an. Der Bund finanziert die Ausbildung grosszügig mit.

Che Chresta, Geschäftsführer bei der Fahrschule Chresta. (Bild Livia Häberling)

Che Chresta, Geschäftsführer bei der Fahrschule Chresta. (Bild Livia Häberling)

Raphael Häberli von der Fahrschule Tri-Line. (Bild zvg.)

Raphael Häberli von der Fahrschule Tri-Line. (Bild zvg.)

Fährt wieder Postauto: Beat Böni von der Fahrschule Beat. (Bild Werner Schneiter)

Fährt wieder Postauto: Beat Böni von der Fahrschule Beat. (Bild Werner Schneiter)

Vor einiger Zeit organisierte der Turnverein Hausen mal wieder eine Tombola. Beat Böni, Fahrlehrer und ebendort wohnhaft, wurde um eine Gabe gebeten – also spendierte er fünf gratis Schnupperstunden im Wert von je 50 Franken. Eine Fahrschülerin löste daraufhin ­einen solchen Gutschein ein und meldete sich für Fahrstunden an. Zwei Tage später rief sie an: «Sorry. Habe mich anders entschieden.»

So laufe das im Fahrschulgeschäft seit einer Weile, sagt Böni. Manche hätten am liebsten eine kostenlose Probelektion, andere versuchen um dem Preis zu feilschen. «Geht das nicht günstiger?», fragen sie ihn mit Blick auf das Zehnerabonnement, das bei Böni für 950 Franken zu haben ist. Sie haben längst gemerkt, dass sie als Kundschaft am längeren Hebel sitzen als die Fahrschulen. Das Angebot der Fahrschulen im Bereich Personenwagen übertrifft die Nachfrage seit einiger Zeit deutlich. Es wird sich also bestimmt jemand finden, der eine gratis Probelektion und einen Spezialpreis für das Abo offeriert.

«Das ist nicht schön», sagt Böni. Er war im Jahr 2010 noch unter komfortableren Bedingungen gestartet. Nachdem er sich mit seinem Ein-Mann-Betrieb etabliert hatte, deckte er mit Fahrstunden ohne Probleme ein 100%-Pensum ab. Mittlerweile kommt er noch auf ein 50%-Pensum. In guten Wochen.

Lernfahrten mit Mami und Papi ab 17

So wie Beat Böni geht es Fahrschulen in der ganzen Schweiz. Verknüpft sind diese Änderungen mit «Opera 3», einer grösseren Revision der Fahrausbildung des Bundesamts für Strassen (Astra). Für Lernende brachte sie mehrere Vereinfachungen: So ist etwa die Bestätigung für den Verkehrskunde-Unterricht und die Theorieprüfung nicht mehr zwei Jahre gültig, sondern unbeschränkt. Die obligatorische Ausbildung (Verkehrskunde-Unterricht und 2-Phasen-Kurs) umfasst weniger Stunden.

Per Februar 2019 entfiel der «Automateneintrag». Das heisst: Wer die Prüfung mit einem Automaten absolviert hat, darf nach bestandener Prüfung auch handgeschaltete Autos fahren. Und seit Anfang 2021 ist der Lernfahrausweis bereits ab 17 statt ab 18 Jahren erhältlich. Dafür ist er für unter ­20-Jährige an eine zwölfmonatige Übungs­phase gekoppelt.

Mit der Revision wollte das Astra die Sicherheit erhöhen, die Abläufe für Lernende vereinfachen und die Vorschriften an die technische Entwicklung anpassen. So etwa mit dem Wegfall des Automateneintrags, womit man im Rahmen der Energiestrategie 2050 die Elektromobilität fördern wollte. Vom Lernfahrausweis ab 17 mit einjähriger Übungszeit versprach man sich durch eine höhere Zahl an Trainingsfahrten weniger Unfälle. Die Vorlage erhielt während der Vernehmlassung viel Gegenwind. Grosse Teile der Fahrlehrerschaft, der Schweizerische Fahrlehrerverband oder die Verkehrssicherheitsstiftung Road Cross kritisierten die geplanten Änderungen teils scharf.

Schnellbleiche in wenigen Lektionen

Die obligatorische einjährige Übungsphase führt dazu, dass die Neulenkerinnen und Neulenker während dieser Zeit mehr private Lernfahrten absolvieren. «In die Fahrstunde kommen sie häufig erst gegen Ende dieser Übungsphase, wenn die Prüfung naht», erzählt Che Chresta, Geschäftsführer der Fahrschule Chresta in Affoltern. Während es früher üblich gewesen sei, die Lernenden von Beginn an zu schulen und in regelmässigen Abständen zu unterstützen, dienten die Fahrstunden heute eher dazu, um Fahrfehler, die sich während der privaten Übungsphase etabliert hätten, in wenigen Lektionen wieder auszumerzen oder prüfungsrelevante Abläufe zu erlernen. Etwa die korrekte Blicktechnik. «Nicht selten ist nur noch eine Schnellbleiche gewünscht.»

Eigentlich habe man damit gerechnet, dass sich die Zahl der Fahrstunden wieder einpendle, sobald der erste Jahrgang die obligatorische einjährige Lernphase hinter sich habe. Bisher habe sich das Geschäft jedoch deutlich schleppender erholt als vermutet.

Die Fahrschule Chresta versucht auf diesen Trend zu reagieren, indem sie die Neulenker mit Rabatt-Aktionen anspricht. Dass eine Fahrstunde für 52 Franken höchstens noch die Kosten deckt, aber keinen Gewinn abwirft, räumt auch Che Chresta ein. Ein Plus ergibt sich erst, wenn die Neulenkenden weitere Fahrstunden zum regulären Tarif oder andere Angebote buchen. Etwa einen Nothelferkurs oder Verkehrskunde-Unterricht.

Rückkehr in den Chauffeur-Beruf

Für einige Fahrschulen sind solche Rabattaktionen ein rotes Tuch. Chresta dagegen sagt, diese Preisgestaltung sei längst schweizweit verbreitet. Das Internet habe den direkten Preisvergleich erleichtert; davon seien auch Fahrschulen nicht verschont geblieben. Früher hätten Weiterempfehlungen im Fahrschulgeschäft einen höheren Stellenwert gehabt als heute, wo die Entscheidung häufig aufgrund des Preises falle.

Bei der Fahrschule Chresta, wo aktuell zehn Personen für Fahrstunden in der Kategorie B (Auto) angestellt sind, hatte die verringerte Auftragslage Pensumreduktionen zur Folge. Teilweise hätten sich die Angestellten auch weitergebildet und so innerhalb des Unternehmens neue Arbeiten übernehmen können. Dass man vom Car bis zum Motorrad eine breite Palette abdecke, habe die Einbussen im Auto-Bereich zudem etwas abgefedert.

Bei Beat Böni hat die veränderte Auftragslage zu Existenzängsten geführt. Um sich über Wasser zu halten, war er im vergangenen Jahr als Freelance-Chauffeur im Einsatz. Mittlerweile fährt er wieder in einem 50%-Pensum Postauto, wie er das bereits während der Fahrlehrer-Ausbildung gemacht hatte.

Absolventen-Zahl hat sich verdreifacht

Raphael Häberli von der Fahrschule Tri-Line hat seine Ausbildung zum Fahrlehrer im Jahr 2012 abgeschlossen. Er hat den Eindruck, dass die Anzahl der Fahrschulen seither deutlich gestiegen ist. «Es mag regionale Unterschiede geben, aber zumindest im Kanton Zürich gibt es mittlerweile definitiv ein Überangebot», sagt er. «Der Markt wird mit Fahrschulen geradezu überspült.»

Die Statistik bestätigt seine Beobachtungen. Bei Neueinsteigern ist der Fahrlehrerberuf beliebter geworden: Die Zahl der Personen, die pro Jahr die Prüfung bestehen, hat sich in den letzten zwölf Jahren mehr als verdreifacht: 2010 waren es schweizweit noch 54 Fahrlehrer, 2022 bereits 169. Selbst Christian Stäger, Geschäftsleiter der Qualitätssicherungskommission der Berufsprüfung, spricht von einer «erstaunlichen Nachfrage», die sogar noch grösser wäre: Neben den 169 positiven Prüfungsbescheiden gab es 148 Personen, die nicht bestanden haben.

Bund zahlt 9500 Franken ans Diplom

Raphael Häberli vermutet, dass neben dem Traum von der Selbstständigkeit auch finanzielle Anreize eine Rolle für den Berufseinstieg spielen. Während er seine Ausbildung damals noch selber finanzieren musste, erhalten angehende Fahrlehrerinnen und Fahrlehrer seit 2018 nach bestandener Berufsprüfung einen Zuschuss vom Bund. Dies ist bei allen Kursen so, die auf eidgenössische Prüfungen vorbereiten. Doch die Höhe der Unterstützungsbeiträge variiert. Für die Ausbildung zur Fahrlehrperson gibt es den Höchstbetrag, der für Berufsprüfungen ausbezahlt wird: 9500 Franken.

Christian Stäger schliesst nicht aus, dass die Bundessubventionen eine grössere Nachfrage unterstützen. Er sagt, bei der Vernehmlassung zu dieser Subventionsregelung habe man damals darauf hingewiesen, dass die ohnehin grosse Nachfrage an der eidgenössischen Berufsprüfung als Fahrlehrer allenfalls noch verstärkt würde. «Diese Bedenken haben sich offenbar bewahrheitet.»

Die Ursachen für das grosse Interesse alleine in den Bundessubventionen zu suchen, greift für ihn jedoch zu kurz. «Neben der Bundesfinanzierung spielen auch kantonale Arbeitsämter und IV-Stellen eine Rolle, die gerne Umschulungen in diesem Bereich finanzieren.» Hinzu komme die aktive Werbung, welche die Anbieter für ihre Fahrlehrerausbildung machen.

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