«Der Notfall steht allen offen»
Spitaldirektor Lukas Rist über neue Angebote, das Notfallzentrum und Kostendruck

Lukas Rist (56), seit 2021 Direktor des Spitals Affoltern, erklärt hier im Interview, wie die Situation am Spital Affoltern aktuell aussieht.
Herr Rist, was läuft derzeit am Spital Affoltern?
Lukas Rist: Die Neupositionierung ist im Gange. Vom Kanton Zürich haben wir für die nächsten zehn Jahre stationäre Leistungsaufträge für die Bereiche Akutgeriatrie, Palliative Care, Psychiatrie – hier inklusive der Mutter-Kind-Abteilung – und ab 2024 neu auch für die Gerontopsychiatrie.
Und welche Bereiche sind weggefallen?
Die ganze Chirurgie, die wir schon im vergangenen Jahr geschlossen haben. 26 Stellen wurden abgebaut, alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben jedoch wieder eine Stelle gefunden. Und glücklicherweise konnten die weggefallenen chirurgischen Patientenzahlen dank dem Wachstum in der Altersmedizin aufgefangen werden.
Nochmals zur Neuausrichtung: Wie sieht die neue Strategie genau aus?
Die Altersmedizin und Palliative Care sowie die Psychiatrie sollen weiter gestärkt werden. In diesen zwei Bereichen ist das Spital Affoltern spezialisiert. Wir werden daher grundsätzlich das Angebot und die Plätze in beiden Bereichen ausbauen, da die Nachfrage hoch ist und weiter steigt. In der Mutter-Kind-Abteilung – einem schweizweit einzigartigen Angebot – haben wir aktuell 14 Plätze, die fast immer belegt sind. In der Akutgeriatrie und Palliative Care verzeichnen wir über 100 Austritte pro Monat mit steigender Tendenz. Unsere akutgeriatrische akutstationäre Delir- und Demenzabteilung ist ebenfalls ein im Kanton Zürich einzigartiges Angebot, das es so in Spitalumgebungen sonst nicht gibt.
Zum Ausbau der Altersmedizin und Psychiatrie gehört auch, dass ab 2024 im Spital Affoltern die Gerontropsychiatrie angeboten wird. Was ist das genau?
Hier geht es um psychische Erkrankungen, die vor allem bei älteren Menschen anfallen – beispielsweise Demenz oder Depressionen. Grundsätzlich werden Menschen ab dem 65. Lebensjahr behandelt, die sich in einer seelischen Krise befinden und einen Aufenthalt in der Klinik benötigen. Hier werden schrittweise bis zu 16 Plätze angeboten.
Der Spital Affoltern baute sein Angebot auch schon 2023 aus: Neu gibt es auf dem OVA-Areal beim Bahnhof Affoltern ein Dialysezentrum für Blutwäsche und seit August ein Pneumologie-Angebot.
Richtig, in Kooperation mit dem Stadtspital Zürich bieten wir im Dialysezentrum 12 Plätze für die Blutwäsche von Nierenpatienten an. Das Angebot wird bisher schon gut genutzt. Bei der Pneumologie und Schlafmedizin geht es um Atemwegsstörungen, Lungenerkrankungen, Allergien und alle Arten von Schlafstörungen, hier vor allem um Schnarchprobleme und Durchschlafstörungen.
Der Ausbau des Angebots und des Platzbedarfs auf dem Spitalgelände selber macht längerfristig auch bauliche Massnahmen nötig. Wie ist hier der Stand der Dinge?
Wir haben gerade jetzt eine Bestandesaufnahme der Gebäude in Auftrag gegeben. In zwei, drei Jahren möchten wir aufzeigen können, welche bisherige Bausubstanz weiterhin genutzt werden kann, wo es Renovationsbedarf gibt und was allenfalls neu gebaut werden könnte.
Ist grundsätzlich auch ein Spitalneubau an einem anderen Ort denkbar?
Eher nicht, ein kompletter Neubau würde sich kaum refinanzieren lassen. Zudem ist es für uns optimal, dass Psychiatrie und Medizin hier bei uns auf demselben Areal sind, was es erlaubt, den Patientinnen und Patienten eine umfassende Betreuung zu bieten. Auch die Palliative Care in der wunderschönen Villa kann nicht einfach so versetzt werden.
Der Leistungsauftrag für die Innere Medizin ist auf drei Jahre, bis 2025, befristet. Was heisst das?
In diesem und nächsten Jahr schauen wird gemeinsam mit der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich, welche stationären Leistungen der Inneren Medizin das Spital Affoltern auch nach 2025 weiter anbieten kann. Für uns ist – zusammen mit der Gesundheitsdirektion – wichtig zu definieren, was welche Leistungen der Inneren Medizin in Ergänzung zur Akutgeriatrie Sinn machen. Denn wir werden uns mehr spezialisieren müssen. Damit können wir als Regionalspital fachlich auf Top-Niveau behandeln.
Das Notfallzentrum wird es aber auch über 2025 hinaus geben?
In Zusammenarbeit mit dem Stadtspital Zürich und Schutz und Rettung Zürich betreiben wir eine 24-Stunden-Notfallstation an 365 Tagen im Jahr. Diese Notfallstation wird auch über 2025 hinaus weiter bestehen. Da es sich nicht um ein stationäres Angebot handelt, sondern um ein ambulantes, ist der Notfall nicht von einem kantonalen Leistungsauftrag betroffen. Hier kann das Spital in Eigenregie und im Interesse der Standortgemeinden handeln.
Wer kann in den Notfall kommen?
Der Notfall steht allen offen. Auch Kinder werden hier erstversorgt, auch wenn im Spital Affoltern keine Kinderärzte tätig sind. Je nach Krankheitsbild werden die Kinder an einen Kinderarzt in der Region oder ans Kinderspital Zürich überwiesen.
Viele haben aber bei kleineren Beschwerden Bedenken direkt in den Notfall zu kommen und für Überlastung zu sorgen und gehen lieber zuerst zum Hausarzt.
Der Notfall ist primär für die Versorgung aller Notfälle zuständig, Hausärzte sind jedoch nicht rund um die Uhr erreichbar. Ausserdem sind viele Hausärzte in den vergangenen Jahren in Pension gegangen, der Nachwuchs fehlt. Deshalb: In unserer Notfallstation bekommen Patientinnen und Patienten direkt Hilfe. Die meisten Behandlungen können direkt hier durchgeführt werden. Bei Bedarf gewährleisten unsere Kooperationspartner in komplexeren Situationen die entsprechende Weiterbehandlung.
Wie lange sind die Wartezeiten im Notfallzentrum?
Die Wartezeiten richten sich immer nach dem Schweregrad der Verletzung beziehungsweise der Erkrankung. Diese sind in unserem Notfall jedoch deutlich sehr kurz. Pro Monat verzeichnet unser Notfall rund 600 Konsultationen. 2022 waren es 9000 Patientinnen und Patienten.
Es gibt aber immer wieder Kritik, dass die Leute zu schnell in den Notfall kommen.
Bei dieser Diskussion geht es um die Kosten. Nur weiss man eben selten mit Gewissheit im Voraus, ob es sich um eine Bagatelle oder eine ernst zu nehmende Erkrankung handelt. Wird eine Krankheit zu spät behandelt, kann das wesentlich teurer werden. Mir sind keine Studien bekannt, die wissenschaftlich aufzeigen, dass Behandlungen im Notfall übers Ganze gesehen das Gesundheitswesen verteuern.
Für den Spital ist der Notfall aber auch wichtig, weil so Patienten für die stationäre Behandlung gewonnen werden.
Das stimmt. Es kommen bei uns, wie bei allen anderen Spitälern Patientinnen und Patienten, die dann für die stationäre Weiterbehandlung hier im Spital Affoltern bleiben.
Zum Schluss noch ein paar Zahlen. Wie sieht es mit der Anzahl Mitarbeitenden aus?
Aktuell haben wir 550 Angestellte, was 358 Vollzeitstellen entspricht und rund 30 Auszubildende.
Wie sehen die Geschäftszahlen für 2023 aus?
Wir rechnen in diesem Jahr mit einem Umsatz von etwa 60 Millionen. Wenn wir das Budget einhalten können – ein ausgeglichenes Ergebnis – sind wir sehr zufrieden. Grundsätzlich liegen wir in einem Spannungsfeld, nämlich dass wir die Kosten vor allem bei den Zusatzversicherten senken müssen, andererseits wollen wir nach Annahme der Pflegeinitiative und aufgrund der allgemeinen Teuerung höhere Löhne zahlen können. Das wird eine Herausforderung sein, da die Tarife diese Realitäten nicht abbilden
«Wir liegen in einem Spannungsfeld, dass wir die Kosten vor allem bei den Zusatzversicherten senken müssen.»
«Wir haben gerade jetzt eine Bestandesaufnahme der Gebäude in Auftrag gegeben.»
Der Affoltemer Spitaldirektor Lukas Rist auf dem Balkon seines Büros. (Bild Luc Müller)