Fünf Igelbabys und eine Weltneuheit

Die Igelstation Säuliamt startete im März 2023 mit dem Betrieb – Zeit für eine erste Bilanz

Stefan Bachmann, Präsident des Vereins, und Edith Stöckli, Leiterin der Pflegestation. (Bilder Brigitte Reemts-Flum)

Stefan Bachmann, Präsident des Vereins, und Edith Stöckli, Leiterin der Pflegestation. (Bilder Brigitte Reemts-Flum)

Mindestens 500 Gramm sollte Igel «Noe» auf die Waage bringen, um sich in den Winterschlaf zurückzuziehen.

Mindestens 500 Gramm sollte Igel «Noe» auf die Waage bringen, um sich in den Winterschlaf zurückzuziehen.

Hecken, Gehölze, auch gerne mal offene Flächen mit dichtem Gras. Ein bisschen Abwechslung eben, so dass sich sowohl gemütliche Schlafplätze finden lassen als auch Futter, wie zum Beispiel Käfer, Würmer, Raupen, Schnecken. Lecker! Und dies alles möglichst in einem konstanten Revier. Dort findet sich dann auch der perfekte Ort für den Winterschlaf: Irgendwo unter Ästen, in einer Hecke oder einer kleinen Höhle und mit Gras und Laub gut isoliert, so dass die Winterkälte nicht so durchdringt. Vorher gilt es aber ein ordentliches Gewicht zuzulegen, damit die Zeit im Winterschlaf auch gut überstanden wird. So oder so ähnlich sähe das ideale Leben des kleinen Igels «Noe» aus.

Stattdessen sitzt er aber seit dem 13. November in einer artgerecht ausgestatteten Wanne in der Igelstation Säuliamt in Hedingen und kämpft nicht nur gegen Zecken, Flöhe und andere Parasiten, sondern ist mit aktuell 383 Gramm Lebendgewicht auch noch weit entfernt von den mindestens 500 Gramm, die er auf die Waage bringen muss, um sich in den Winterschlaf zurückzuziehen. Und dabei hat er noch Glück. Hier bekommt er die medizinische Betreuung, Pflege und das geeignete Futter, um dann voraussichtlich in 4 Wochen wieder in seinem alten Revier ausgewildert zu werden. Wenn er denn in seinem Revier gefunden und von lieben Menschen in die Igelstation gebracht wurde. Andere Leidensgenossen werden auf der Strasse, in Treppenhäusern, Hauseingängen aufgefunden. Für diese muss erst einmal ein Revier gefunden werden, in das sie erst in ein Gehege und dann in die freie Natur ausgewildert werden können.

Organisatorischer Balanceakt

Aktuell arbeiten fünf bis sechs Pflegefachpersonen auf der Igelstation und übernehmen jeweils Tagesverantwortung. Neben der Diagnostik (zum Beispiel Kotuntersuchungen, um Parasitenbefall zu identifizieren), Erstellung von Therapieplänen und Behandlung der Igel (etwa Spritzen setzen), gehören auch Tierarztbesuche, Anfragenbearbeitung, Telefonberatung zu diesem ehrenamtlichen Engagement. Die Arbeit erfordert medizinische Kenntnisse oder die Bereitschaft, solche mit viel Initiative (Webinare, Selbststudium, Praktika) zu erwerben. Weitere Mitstreiter/innen, die bereit wären, Fachverantwortung zu übernehmen, wären sehr erwünscht. Den Tagesverantwortlichen gehen Pflegehelfende zur Hand, die beim Misten, Wiegen, Füttern unterstützen. Jeweils ein Tandem aus Fachperson und Helferin sind so sieben Tage die Woche im Einsatz. Und alles wird orchestriert durch einen komplex aussehenden Einsatzplan, der die doch mehr als 25 Freiwilligen auf die Schichten verteilt.

Erste Jahresbilanz

Die Igelstation Säuliamt, die erst im März dieses Jahres startete, läuft nicht nur in der Einsatzplanung bereits rund. Den knappen Raumverhältnissen setzte man die Weltneuerfindung der Doppelstock-Igelwanne entgegen und der wichtige Beratungsauftrag wird nicht nur per Mail und Telefon erfüllt, sondern durch eine sehr professionelle und ansprechende Website (www.igelstation-saeuliamt.ch) unterstützt. Auf dieser finden sich neben wichtigen sachlichen Informationen auch niedliche Igelgeschichten mit «Jö-Effekt».

Ein absolutes Highlight dieses Jahres, da sind sich Edith Stöckli und Stefan Bachmann, Präsident des Vereins, einig, war die Geburt von fünf kleinen Igeln auf der Station. Die Mutter fand sich in einem Hauseingang, unbeweglich und apathisch. Die kugelrunde Igelin wurde wie alle Schützlinge auf Parasiten untersucht und medizinisch versorgt. Von einer Trächtigkeit ahnte niemand etwas und so war die Überraschung gross, als am 17. August plötzlich fünf winzige Igelbabys im Gehege lagen.

Insgesamt konnten in den vergangenen acht Monaten sechsundachtzig Igel betreut und wieder in die freie Wildbahn entlassen werden. Aktuell sind noch neun stachelige Patienten in der liebevollen Obhut von Edith Stöckli und ihrem Team. Das kostet trotz des ehrenamtlichen Einsatzes aller Beteiligten natürlich Geld. Es werden weiterhin Gönner gesucht, die mit einem regelmässigen Jahresbeitrag die Arbeit der Station sicherstellen. Vielleicht ein sinnvolles Weihnachtsgeschenk?

Vorhersehbares Igelleid

Die Verantwortlichen der Igelstation erkennen bereits jetzt ein Muster hinsichtlich der Krankheiten ihrer Schützlinge. Im Frühling werden vor allem sehr magere Tiere gefunden, die nur knapp den Winterschlaf überlebten oder, falls die Böden noch gefroren sind, nicht genügend Futter finden. Im Frühsommer werden dann eher Jungtiere gebracht, die stark von Parasiten befallen oder verletzt sind oder beides. Letztlich wurzeln alle Probleme darin, dass es für Igel immer schwieriger wird, eine naturnahe Umgebung zu finden, in der es kreucht und fleucht. Die Igel teilen sich den Lebensraum mit uns Menschen. Unser Hang zu pflegeleichten Gärten, Verdichtung der Wohnfläche zu Lasten der Grünfläche, grenzenloser Mobilität bedeutet für Igel (und andere Tiere) eine Zerstörung des Lebensraumes. Für die Igelstation Säuliamt wäre daher das erfolgreichste Jahr eines mit möglichst wenigen «Patienten». Doch da dieser Wunsch wahrscheinlich anachronistisch ist, kann man immerhin hoffen, dass ein wieder aufgepäppelter Igel wie «Noe», an einem Stachel markiert mit Nagellack, so schnell nicht wieder auftaucht auf der Station.

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