Mount-Everest-Jubiläum – auch für eine Hausemerin
Am 29. Mai hat sich die Erstbesteigung des Mount Everest durch Sir Edmund Hillary und Sherpa Tenzing Norgay zum 60. Mal gejährt. Am 21. Mai, morgens um 5.30 Uhr blickte auch Karin Böbner vom höchsten Berg der Welt. «Es ging mir fast zu einfach», sagt die Hausemerin rückblickend.
«Mir hat der lange Winter nichts ausgemacht. Während der anhaltend kühlen Temperaturen konnte ich mich optimal auf die Everest-Expedition vorbereiten», beginnt Karin Böbner mit gewinnendem Lächeln von ihrem Abenteuer im Himalaja zu erzählen. Etwas müde wirkt sie aber keineswegs abgemagert oder gar ausgemergelt, wie das nach solch strapaziösen Reisen durchaus die Regel sein kann. Auf ihrem Balkon in Heisch liegen beim Besuch des «Anzeigers» die textilen Ausrüstungsgegenstände nach dem Waschen zum Trocknen in der Sonne. Eine tibetanische Girlande zeugt vom ausserordentlichen Erlebnis, das nur wenigen Menschen auf unserem Planeten vorbehalten ist.
Eine gute körperliche Verfassung, ausserordentliche Fitness und rund 50000 Franken auf der hohen Kante genügen nämlich nicht alleine. Es braucht gewisse genetische Voraussetzungen, um die unwirtlichen Bedingungen auf Höhen über 7000 Meter auch geniessen zu können. Böbner besitzt diese Gabe, wie sich auf früheren Expeditionen immer wieder gezeigt hatte. In «tieferen» Lagen bis etwa 6000 Meter über Meer zählt sie zwar nach wie vor nicht zu den schnellsten Läufern. Doch darüber hat ihr Körper das Talent, besser mit der dünnen Luft fertig zu werden, wie es nur wenige besitzen. «Ich brauche weder Medikamente noch zusätzlichen Sauerstoff, damit ich mich in grosser Höhe wohlfühle, normal essen und nachts beschwerdefrei schlafen kann», erklärt die 48-Jährige, die kürzlich Grossmutter geworden ist. Mit der Besteigung des Everest hat sie sich einen Lebenstraum erfüllt. Wochenlang hat sie im Winter an sechs Tagen bis zu sechs Stunden trainiert. Mit 25 Kilogramm Ballast im Rucksack ist sie im Eilschritt auf alle erdenklichen Berge in der Region gelaufen, hat Ski- und Schneeschuhtouren mit dem Skiclub Hausen unternommen. Alles, um ihren Lebenstraum zu erfüllen, der wegen der unbestimmten Wetterlage lange Zeit ungewiss blieb.
Lange Akklimatisation
Je nach Wetter vier bis sechs Wochen dauert es von der Ankunft in Lhasa, der Hauptstadt des autonomen Gebiets Tibet der Volksrepublik China, bis man das Dach der Welt erreicht. Ein Dutzend verschiedene Routen sind bekannt, die auf den Everest führen. Der Berner Reiseorganisator Kobler und Partner, dem sich Böbner Anfang April angeschlossen hat, favorisiert die Besteigung von Norden her «da dies objektiv der sicherste Weg sei» (Zitat Homepage kobler-partner.ch). Der wegen Dissonanzen mit Sherpas ins Gerede geratene Extrembergsteiger Ueli Steck war zur gleichen Zeit aus Richtung Süden von nepalesischem Gebiet aus auf dem Weg zum Everest-Gipfel. Böbner hat den Medienrummel nur am Rande mitbekommen. In ihrem Team und auch in Begegnungen mit anderen Equipen sei die Stimmung friedlich gewesen, sagt sie.
Fünf Wochen dauerte die Akklimatisation. Während dieser Zeit pendelte die Hausemerin zu Fuss mir ihrer Reisegruppe zwischen den vier Basislagern, die sich in 5000 bis 7000 Metern Höhe befinden. Am 17. Mai war es endlich so weit. Der Wetterbericht sagte einen «Summit Day» voraus. «Der erste Anlauf misslang jedoch wegen des starken Windes. Wir mussten umkehren», erzählt die zähe Frau. Zwei Tage später startete der zweite Versuch – obschon es noch immer stürmte. «Neben der Kälte ist der Wind das grösste Problem. Auf dieser Höhe bläst es selten unter Windgeschwindigkeiten von 60 bis 80 Stundenkilometern.» Auf 7800 Metern habe man übernachtet, um am folgenden Tag auf 8300 Meter aufzusteigen. Nach einer weiteren Übernachtung war es am 21. Mai, morgens um 5.30 Uhr, endlich so weit: Karin Böbner erreichte den Gipfel des höchsten Berges der Welt auf 8844 Meter über Meer.
Unbeschreibliches Glücksgefühl
«Es war unglaublich. Für die letzten 550 Höhenmeter benötigte ich nur fünfeinhalb Stunden bei einem zusätzlichen Sauerstoffverbrauch von rund vier Litern pro Minute. Dann stand ich oben. Die Sonne schien, es war nahezu windstill und mit minus 22 Grad relativ warm, was äusserst selten vorkommt. Es herrschte eine sensationelle Aussicht auf die umliegenden Achttausender und der Himmel wirkte unbeschreiblich nah. Doch es ging mir fast zu leicht», versucht Böbner ihre einmaligen Eindrücke in Worte zu fassen. Gerne hätte sie es ohne zusätzlichen Sauerstoff versucht. Doch die Gefahren stiegen damit exponentiell. «Ohne zusätzlichen Sauerstoff lässt nicht nur das persönliche Leistungsvermögen massiv nach und die Konzentrationsfähigkeit nimmt markant ab.
Die Gefahr von Erfrierungen steigt, da die Extremitäten weniger gut durchblutet werden.» Es können zudem Lungen- und Hirnödeme auftreten. Die Wahrnehmenstrübung könne bis zum Wahnsinn führen. «Psychisch am Anschlag, wird man zudem leichter reizbar, was sich auch in aggressivem Verhalten äussern kann», hat Böbner beobachtet. Es gelte aber, keine Fehler zu machen, denn jeder Fehler könne sich beim Bergsteigen tödlich auswirken.
Medienberichte, wonach mit dem technischen Fortschritt und der massentouristischen Erschliessung des Everest quasi jeder den höchsten Berg der Welt erklimmen kann, lösen bei Böbner nur Kopfschütteln aus. Sie habe Tote und sterbende Menschen auf dem Weg zum Gipfel erlebt, denn die Leichen würden nicht abtransportiert, sondern lägen wie Mumien im ewigen Schnee. «Das ist grauenhaft. Aber jeder muss sich der Gefahren bewusst sein, in die man sich begibt, wenn man leichtsinnig ist, sich nicht richtig vorbereitet hat oder grosse Höhe nicht erträgt, das Risiko aber dennoch eingeht.» Man dürfe nicht ausser Acht lassen, dass der Aufstieg oft der einfachere Weg sei.
Die grösseren Gefahren lauerten auf dem Rückweg, der trotz Müdigkeit nochmals vollste Konzentration erfordere – und das während Stunden. Beeindruckende Worte einer Frau, die sich bereits das nächste Ziel in grosser Höhe vorgenommen hat.