«Rephi» rennt allen davon

Von stolzen Hunden und ihren Gefolgsleuten: Einblicke in die Schweizer Meisterschaft der Windhunde in Rifferswil

In der Schweiz rennt kein Saluki schneller als er: der fünfeinhalbjährige Rüde "Rephi".

In der Schweiz rennt kein Saluki schneller als er: der fünfeinhalbjährige Rüde "Rephi".

Maria Teresa Alcántara (58) mit fünf ihrer acht Saluki.

Maria Teresa Alcántara (58) mit fünf ihrer acht Saluki.

"Rephi" während des Rennens. Für 450 Meter benötigt er 31,5 Sekunden.

"Rephi" während des Rennens. Für 450 Meter benötigt er 31,5 Sekunden.

"Rephi" und seine Besitzerin nach der Siegerehrung. (Bilder Livia Häberling)

"Rephi" und seine Besitzerin nach der Siegerehrung. (Bilder Livia Häberling)

Diesem Hasenfell jagen die Hunde auf de Bahn hinterher.

Diesem Hasenfell jagen die Hunde auf de Bahn hinterher.

Die Schritte im taufeuchten Gras bleiben nicht lange unentdeckt. Die Wiese vor der Hunderennbahn in Rifferswil gleicht am frühen Samstagmorgen einem Campingplatz. Um einzelne Wohnmobile wurden Zäune errichtet, hinter denen die Hunde bellend auf und ab patrouillieren. Es sind Windhunde, die nach Actionhelden («James Bond») oder Modezaren («Karl Lagerfeld») getauft wurden und nun in ihrer eifrigen Sorge ums eigene Gärtchen weniger wie Haustiere, sondern eher wie Hausherren wirken. Das sei kein territoriales Verhalten, wird eine Besitzerin später erklären, sondern Vorfreude. Vor dem Wettkampf seien die Hunde «wie eine Horde kreischender Groupies».

Der Stellplatz von Maria Teresa Alcántara ist einer der hinteren. Die 58-Jährige mit dem bunten Zopfschwänzchen im Haar und dem feinen Raucherlachen ist aus dem Appenzell angereist. Im «Wohnmobil für arme Leute», wie sie über ihren umgebauten Lieferwagen ­lachend zu sagen pflegt. Mit dabei sind fünf ihrer acht Saluki, die gemeinhin auch als persische Windhunde bekannt sind. Der Star unter ihnen: Ein fünfeinhalbjähriger Rüde, der auf den klingenden Namen «Jazaha’s Re’phaim J’inn Asmaanii» getauft wurde und auf den Rufnamen «Rephi» hört, der im Jahr 2021 Bahn-Europameister wurde und heute in Rifferswil antritt, um seinen Schweizer Meistertitel als schnellster Saluki zu verteidigen.

Simples Spiel – zumindest für Hunde
Das Spiel geht so: Die Klappe der Startbox öffnet sich, das Seil mit dem Hasenfell rauscht vorbei, und weil «Rephi» und seine Mitstreiter Sichtjäger sind, werden sie intuitiv die Verfolgung aufnehmen, und jeder von ihnen wird versuchen, die Beute als Erster zu erwischen. Simple as that. Zumindest für die Hunde. Doch wie so oft wird die Sache mit dem Zutun des Menschen etwas komplizierter.

In verschiedenen Ländern hat sich um Hunderennen in der Vergangenheit eine millionenschwere Wettindustrie gebildet. Etwa in Grossbritannien, ­Irland und in Teilen der USA, wo Hunderennbahnen bis heute professionell betrieben werden. Wie beim Pferderennen wird auf die Hunde gewettet. 
Bei diesen Rennen kommen fast ausschliesslich Windhunde der Rasse Greyhound zum Einsatz. Die Tiere werden nicht als Haushunde gehalten, sondern leben in gewerbsmässig betriebenen Rennställen. Werden sie älter und langsamer, werden sie ausgemustert. Vielen von ihnen droht dann der Tod. Mehrere Tausend von ihnen sollen nach dem ­Karriereende jedes Jahr geschlachtet werden, sagen britische Tierschutzorganisationen. 

In Deutschland, Österreich und der Schweiz sind professionelle Windhundrennen verboten. An der Schweizer Meisterschaft in Rifferswil geht es also um nichts – von Spass, Ruhm und Ehre einmal abgesehen.

Grosse Opfer für die grosse Liebe
«Meine Hunde sind in erster Linie Familienmitglieder», sagt Maria Teresa Alcántara. Seit sie vor 40 Jahren dem ersten Windhund begegnet ist, hat sie die Faszination nicht mehr losgelassen. Inzwischen richtet sie nahezu ihr ganzes Leben nach den Tieren aus. Mit ihnen wohnt sie in einem alten Bauernhaus mit Umschwung, mit ihnen fährt sie fast jedes zweite Wochenende an Rennen oder Ausstellungen in ganz Europa und mit ihnen teilt sie sich nachts im Lieferwagen die Matratze.

Bleibt da noch Platz für eine Beziehung? Maria Teresa Alcántara verschliesst sich der Liebe nicht, doch sie mag sich ihretwegen auch nicht verbiegen. Ihr Lebenspartner müsste zum Beispiel Verständnis dafür haben, dass während der mehrwöchigen Welpenaufzucht eine Babysitterin mit im Haus wohnt, die sich um ihre kleinen Goldschätze kümmert. Oder dass sich die Hunde zu Hause genauso frei bewegen wie sie, und noch etwas freier: Sie schlafen nicht nur bei ihr im Bett, sie verweilen auch mal auf dem Küchentisch, wenn ihnen der Sinn danach steht. In anderen Worten: Ihr Partner müsste damit leben können, dass die Hunde an erster Stelle stehen.

Und so einem Mann ist Maria Teresa Alcántara bisher nicht begegnet. «Man muss sich innerlich für eines der beiden Leben entscheiden», sagt sie.

Häkeldecken und Hüttenkäse
In Rifferswil starten 45 Hunde in rund einem Dutzend Kategorien. Der Wettkampf von «Rephi» verläuft über 450 Meter, was etwas mehr als einer Bahnrunde entspricht. Zweimal wird der Rüde antreten. Einmal im Qualifikationslauf und später noch einmal im ­Finallauf. Das Teilnehmerfeld ist überschaubar; in seiner Kategorie sind mit ihm fünf Hunde am Start. 

Damit «Rephi» sein Tageswerk mit der nötigen Energie und Leichtigkeit in Angriff nehmen kann, hat ihn Maria Teresa Alcántara am Morgen ausnahmsweise mit Hüttenkäse und Eigelb gefüttert. ­«Trockenfutter liegt wie ein Stein im Magen», sagt sie. Ideal sind die Wetterbedingungen nicht. Zwanzig Grad Celsius und leicht bewölkter Himmel, so hätte Maria Teresa Alcántara es sich gewünscht, stattdessen sind es nach 10 Uhr bereits über 25 Grad. Damit sein Kreislauf nicht überhitzt, trägt «Rephi» in den Minuten vor dem Start eine rote Häkeldecke, die seine Besitzerin vorab mit Wasser getränkt hat. 

Der Rüde ist sichtlich nervös, er bleibt ständig in Bewegung, ab und zu bellt er. Die anderen Hunde in der Nähe sind ähnlich aufgedreht. «Sie wollen rennen», kommentiert Maria Teresa Alcántara die Vorwürfe, die ab und zu aus der Öffentlichkeit auftauchen: Windhundrennen seien Tierquälerei.

Es menschelt im Hundeclub
Zwischen Rennbahn und Clubhaus stehen ein paar Festbänke. Das Gelände ist überschaubar, der Publikumsaufmarsch ebenfalls. Höchstens eine Handvoll ­Zuschauer sind anzutreffen, nahezu alle anderen gehören zu den Teilnehmenden. Die Atmosphäre wirkt familiär. Manche tauschen ein paar Sätze, andere winken sich zu oder umarmen sich zur Begrüssung. Einzelne sind mit ihren Wohnmobilen bereits am Freitag angereist und sassen am Abend noch beisammen. 
Die Hunde sind Konkurrenten, die Besitzerinnen und Besitzer sind Freunde. Ist es so einfach? Ja und nein, sagt ein Besitzer, der seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte. Er hat an die Jahre in der Windhund-Szene schöne Erinnerungen, sass einst selbst in gemütlicher Runde unter Gleichgesinnten. Nun nimmt er in Rifferswil zum letzten Mal an einem offiziellen Turnier teil. «Die Freude ist mir vergangen.» Neid und Missgunst wurden ihm zu gross. Er ­erzählt von Züchterinnen, die sich gegenseitig in Verruf bringen und Konkurrenten, die an der Siegerehrung demonstrativ den Applaus verweigern. «Man könnte meinen, es gehe um Leben und Tod. Dabei sind die Hunde unser Hobby.»

Auch in Rifferswil wird im Kanon der Behaglichkeit der eine oder andere Misston hörbar. Nach mehreren Rennen muss sich die Jury mit der Frage auseinandersetzen, ob einzelne Hunde wegen Fehlverhaltens auf der Bahn sanktioniert oder disqualifiziert werden müssen. Und wo über den rüpeligen Hund getuschelt wird, sind spitze Bemerkungen über die Besitzerin oft nicht weit. Sippenhaftung für Mensch und Tier.

Stolzes Wesen, flegelhafte Manieren
«Rephi» kümmern die Nebengeräusche am Bahnrand naturgemäss wenig. Er hetzt einfach dem Hasenfell hinter, als es darauf ankommt. Nach 31,5 Sekunden ist er als erster im Ziel. Den Qualifikationslauf hat er damit gewonnen.

Maria Teresa Alcántara freut sich. Auch, weil Fleiss alleine bei Windhunden wenig fruchtet. «Es sind stolze Tiere, die ihren eigenen Kopf haben», sagt sie, «ihr Wesen gleicht eher dem einer Katze». Dieser Eigensinn macht für sie den Reiz aus, und manchmal nervt er sie zu Tode. Sie selbst ist schon im Schneegestöber eine Stunde lang ihrer Hündin hinterhergerannt. «Wer noch dringende Termine hat, lässt den Windhund besser nicht von der Leine.» Ein Mensch, der «bei Fuss!» rufen wolle und einen Vierbeiner suche, der sofort pariere, werde mit einem Windhund eher nicht glücklich.

Alles kann, nichts muss. Ob nun als typgerechte Haltung oder als selbsterfüllende Prophezeiung: Sichtbar wird die gelebte Maxime auf dem Renngelände jedenfalls. Die meisten Hunde scheitern an der Aufgabe, sich für ein Foto kurz zu setzen. Andere, bestückt mit Strasshalsband samt Kronenemblem, springen lustvoll an ihren Besitzerinnen hoch und hinterlassen auf dem T-Shirt einen Pfotenabdruck nach dem anderen. Es sind die Signaturen von Königen.

Jeder Hund ein Sieger
Am späteren Nachmittag lächelt Maria Teresa Alcántara neben einem Sonnenblumenarrangement und zwei Konkurrentinnen in die Menge. Sie wirkt auf dem Podest fast etwas verlegen. Einmal mehr steht sie zuoberst. Ihr «Rephi» bleibt weiterhin der schnellste Saluki der Schweiz.
Die Bescherung fällt für alle Teilnehmenden grosszügig aus. Zwei Hände reichen kaum, um alles zum Auto zu tragen. Manche bleiben noch eine Nacht in Rifferswil, andere packen nach der Prämierung direkt zusammen und ­machen sich auf den Weg nach Hause. Wo sich ihre Vierbeiner vielleicht bald auf dem gewonnenen, personalisierten Hundebett zur Ruhe legen oder sich das neue Spielzeug werfen lassen. Und einfach wieder Hund sind. 

Oder Hausherr, je nachdem.

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