Sie schuftete bis zu 16 Tage am Stück, die versprochene Festanstellung kam nicht
Unbezahlte Überstunden, fristlose Kündigungen und Löhne, die auf sich warten liessen: Drei Ex-Mitarbeiterinnen aus der Reinigungs-Abteilung erzählen, was ihnen im Affoltemer «Prizeotel» widerfahren ist

Fall 1: 120 Überstunden in sechs Wochen - aber kein Arbeitsvertrag
Die erste Frau, die mit den Betreibern des «Prizeotel» negative Erfahrungen machen musste, ist Dana F. (Name geändert). Sie verfügt über eine Ausbildung und langjährige Erfahrung in der Hotellerie und wurde Mitte Juli auf der Plattform homeservice24.ch auf das Stelleninserat als Mitarbeiterin Housekeeping aufmerksam. «Wir bieten ein attraktives Gehalt von 32 Franken pro Stunde», warben die Betreiber des «Prizeotel» dort. Sie meldete sich. Das Vorstellungsgespräch fand am 17. Juli statt, zwei Wochen nach der Eröffnung. Nach dem Probearbeiten erhielt Dana F. mündlich positiven Bescheid. Ein schriftlicher Vertrag wurde ihr in Aussicht gestellt.
Was danach passierte, lässt sich wie folgt zusammenfassen: Zwischen 19. Juli und 28. August leistete Dana F. im «Prizeotel» insgesamt 374 Stunden, durchschnittlich mehr als 10,5 Stunden pro Arbeitstag. An dreizehn Tagen arbeitete Dana F. mindestens 13 Stunden. zweimal gar 16 Stunden oder mehr. Ein- oder auschecken mit einem Badge musste Dana F. nicht. Die Angaben basieren auf einer Liste, die sie auf Anweisung des Hotels geführt hat. Während ihres Arbeitstags war sie mit Arbeitskollegen und mit der Hotelleitung jedoch fortlaufend per WhatsApp in Kontakt. Anhand des Chatverlaufs (den der «Anzeiger» teilweise einsehen konnte) lassen sich ihre Arbeitstage und die Uhrzeiten präzis nachzeichnen.
16 Tage am Stück gearbeitet
Dana F. sagt, es habe keine Einsatzpläne gegeben. Sie beschreibt die Abläufe im Hotel als chaotisch. Es sei vorgekommen, dass Gäste angekündigt waren, aber kein Housekeeping-Personal vor Ort gewesen sei, weil es viel zu wenige Angestellte gegeben habe – ausser ihr, die dann die Arbeit mehrerer Mitarbeitender übernehmen musste. In einer Nachricht informiert sie ihren Vorgesetzten, dass sie vergangene Nacht bis morgens um 2.30 Uhr Bettwäsche gewaschen habe, weil es keine frische mehr gab, obwohl Gäste angemeldet waren. Dana F. sagt, sie habe das Hotel gebeten, mehr Bettwäsche einzukaufen, was zunächst aus finanziellen Überlegungen abgelehnt worden sei.
Auch wer die gesetzlichen Ruhetage beziehen wollte, habe darum bitten müssen. In den knapp sechs Arbeitswochen bezog Dana F. gemäss ihrer Auflistung lediglich sieben Ruhetage. Einmal arbeitete sie neun Tage am Stück. Vom 29. Juli bis 13. August gar 16 Tage, was sich mit Chat-Nachrichten belegen lässt. Als sie die Hotelleitung bat, ihr am 14. und 15. August freizugeben, wurde dies zwar bewilligt, aber nicht goutiert, wie der Chatverlauf mit einem der Inhaber nahelegt.
Dana F. nahm lange und strenge Arbeitstage in Kauf – in der Hoffnung, bald offiziell eine Anstellung zu erhalten. Weil sie noch einen Zweitjob hatte, arbeitete sie im «Prizeotel» zunächst nur Teilzeit (so lautete die Vereinbarung, doch ihre Stundenabrechnung zeigt, dass sie weit mehr als ein 100-%-Pensum erfüllte). Ihr Plan war, den Zweitjob zu kündigen, sobald der Arbeitsvertrag des «Prizeotel» vorliegt. Doch dieser liess auf sich warten. Dana F. sagt, man habe sie jedes Mal vertröstet, wenn sie nachgefragt oder um ein Gespräch gebeten habe.
Über die Konditionen, sagt sie, habe man nie verhandelt. Man sei sich einig gewesen, dass sie keine Mitarbeiterin sei, sondern eine übergeordnete Funktion habe. Welche genau, sei nicht abschliessend geklärt worden. Man habe ihr lediglich aufgetragen, ihre Stunden zu notieren. So ging Dana F. davon aus, vorläufig den Stundenlohn zu erhalten, der in der Stellenausschreibung vermerkt war (32 Franken). Von der Hotelleitung habe sie einmal ein Infoblatt erhalten, darin sei von einem Grundgehalt von 4750 Franken die Rede gewesen. Eingewilligt habe sie aber nie, sagt Dana F.; zu Lohnverhandlungen sei es nicht gekommen. Am 13. August habe ihr der Hoteldirektor mündlich versichert, dass man sie fest anstellen werde. Daraufhin kündigte Dana F. ihren Zweitjob. Doch weiterhin sei es weder zu Verhandlungen noch zu einem Vertrag gekommen. Man habe sie hingehalten. Bis man ihr am 28. August mündlich mitgeteilt habe, dass ihre Dienste nicht länger gefragt seien.
Auf 700 Franken Spesen sitzengeblieben
Am 29. August holte Dana F. ihre Sachen ab. Bis zu diesem Tag hatte sie im «Prizeotel» 374 Stunden gearbeitet und dafür noch keinen Lohn erhalten. Im Gegenteil: Mehrmals hatte sie für das Hotel private Ausgaben mit einem Gesamtwert von über 700 Franken getätigt. Am 1. August musste sie abends kurzfristig noch Frühstück für Gäste einkaufen, weil nichts vorbereitet gewesen sei. Ein anderes Mal hat sie mit dem Einverständnis der Hotelleitung für rund 640 Euro die dringend benötigten Bettlaken eingekauft (der «Anzeiger» konnte den WhatsApp-Verlauf und die Kassenbelege einsehen).
Welcher Lohn ihr für die geleisteten Stunden zusteht, ist strittig. Dana F. ist der Meinung, weil es keine Festanstellung gab, stehe ihr der Stundenlohn aus dem Inserat zu. Also 32 Franken. Als das «Prizeotel» ihr am 13. Oktober den Juli-Lohn auszahlte, geschah dies jedoch auf Basis eines Monatslohns von 4750 Franken brutto. (Wie ihn das Hotel auf dem Infoblatt erwähnt hatte.) Den August-Lohn, ebenfalls auf Basis von 4750 Franken, erhielt Dana F. am 15. November. Also mit zweieinhalb Monaten Verspätung. Bezahlt wurde sie nur bis zum Tag ihrer Entlassung, was faktisch einer fristlosen Kündigung gleichkommt.
Dana F. fühlt sich von den Hotel-Betreibern hintergangen: Geht man von einem Fixlohn aus (wie es das Hotel tut), hätte die wöchentliche Soll-Arbeitszeit von Dana F. wohl 42 Stunden betragen. Damit hätte sie vom 19. Juli bis 28. August mit den 374 Arbeitsstunden rund 120 Überstunden geleistet. Bezahlt wurde sie für diese Mehrstunden nicht. Auch ihre Spesenauslagen von mehr als 700 Franken blieben zunächst offen.
Das sagt das Hotel zu den Vorwürfen
Bogdan Trifunovic, Mitinhaber des «Prizeotel», stellt den Sachverhalt in einem Schreiben anders dar. Die Mitarbeiterin sei vor Stellenantritt im Detail über Tätigkeit, Gehaltsstruktur, Ferien und die Überstundenregelung einer Housekeeping Managerin mündlich und schriftlich informiert worden. Sie habe gewusst, dass es sich um eine Festanstellung handle. Auf einen schriftlichen Vertrag habe man nur deshalb verzichtet, weil man ihr aufgrund ihres Zweitjobs keine Vollzeitanstellung habe geben können. Mündlich sei eine Probebeschäftigung in einem reduzierten Pensum vereinbart worden.
Das Hotel sagt, es habe Dienst- und Schichtpläne gegeben. Dass der Lohn sich verzögert habe, liege daran, dass Dana F. das Formular mit den Personalangaben nicht früher eingereicht habe. Dass die August-Spesen erst Mitte Dezember bezahlt wurden, liege ebenfalls daran, dass man die Kontoangaben erst im September erhalten habe und nur quartalsweise abrechne. Zu den Überstunden schreibt das Hotel, es sei «nicht nachvollziehbar, wann sie diese Arbeitsstunden geleistet haben will». Dass sie 16 Tage am Stück gearbeitet habe, sei «nachweislich falsch». (Obwohl sich Dana F.s Arbeitstage und -zeiten belegen lassen)
Zur fristlosen Kündigung schreibt das Hotel, man sei mit Dana F.s Arbeit nicht zufrieden gewesen und habe die Reinigung schliesslich an ein Drittunternehmen ausgelagert. Deshalb habe man die Zusammenarbeit beendet.
Fall 2: Trotz Krankschreibung fristlos entlassen
Isabel K. (Name geändert) wurde wie Dana F. via homeservice24.ch auf das «Prizeotel» aufmerksam. Nach einem Probe-Halbtag erhielt sie ab 15. August einen Dreimonatsvertrag für eine 100 -%-Stelle zu 4900 Franken brutto, bei 42 Arbeitsstunden. Genau wie Dana F. sagt Isabel K., es habe keine Schichtpläne gegeben. Sie habe sich von Woche zu Woche nach ihren freien Tagen erkundigen müssen. Als Mutter von Schulkindern sei sie jedoch auf Planung angewiesen. «Ich arbeitete hart», bekräftigt Isabel K., «ohne Pausen und so schnell ich konnte. Trotzdem forderten sie immer noch mehr Einsatz. Es war nie genug.» Mehrfach habe ihre Vorgesetzte ihr zum Schichtende hin weitere Arbeit auftragen wollen. Isabel K. beschreibt die Stimmung im «Prizeotel» als angsteinflössend. Mehrfach sei sie von ihrer Vorgesetzten angeschrien worden: «Ich habe so etwas noch nie erlebt», sagt sie. Am 13. Oktober habe ihre Vorgesetzte vorgeschlagen, den befristeten Vertrag per sofort aufzulösen, was sie ablehnte, zumal ihre Kündigungsfrist einen Monat betrug und sie noch Ferien zugut hatte.
Isabel K. sagt, am Morgen des 14. Oktober habe sie wegen akuter körperlicher Beschwerden an der Reception nach ihrem Vorgesetzten gefragt, um zum Arzt gehen zu können. Die Receptionistin habe ihr mit Lohnkürzung gedroht, wenn sie den Arbeitsplatz verlasse. Daraus habe sich ein hitziger Wortwechsel entwickelt. Isabel K. suchte trotzdem eine Arztpraxis auf und war ab 14. Oktober krankgeschrieben.
Am 21. Oktober wurde Isabel K. trotz Krankschreibung «fristlos» entlassen. Im Kündigungsbrief, der von einem der Inhaber unterzeichnet wurde, war nun von «beharrlicher Arbeitsverweigerung», von «fehlender Gewissenhaftigkeit und respektlosem Verhalten» die Rede. Man habe sie diesbezüglich «insgesamt dreimal abgemahnt».
Isabel K. bestreitet diese Anschuldigungen vehement. Sie kann sich lediglich an die erwähnte Auseinandersetzung an der Reception erinnern und ist überzeugt, man habe sie loswerden wollen.
Das sagt das Hotel zu den Vorwürfen
Von einem rauen Arbeitsklima will Mithinhaber Bogdan Trifunovic nichts wissen: Von konkreten Vorfällen habe man bis heute keine Kenntnisse. Aufgrund unbefriedigender Arbeitsleistungen habe man mit Isabel K. am 13. Oktober das Gespräch gesucht und die Vertragsauflösung angeboten. Am 14. Oktober habe K. die Person an der Reception und Gäste «lautstark beleidigt» und ihren Arbeitsplatz verlassen. Diese Art von «Arbeitsverweigerung» sei mehrfach vorgekommen. Deshalb habe man sie noch am selben Tag fristlos entlassen. Erst hinterher habe Isabel K. ein Arztzeugnis wegen einer Fussverletzung eingereicht.
Das Arztzeugnis liegt dem «Anzeiger» vor. Von einer Fussverletzung steht darin nichts. Isabel K. sagt: «Dass mir ein Arztbesuch als Arbeitsverweigerung ausgelegt wird, ist absurd.» Zum strittigen Kündigungszeitpunkt sagt sie: «Mir liegt eine schriftliche Kündigung vor, die auf den 21. Oktober datiert ist. Wäre ich tatsächlich noch vor der Krankschreibung am 14. Oktober fristlos entlassen worden, hätte mir das Hotel den Lohn wohl kaum freiwillig bis am 21. Oktober bezahlt.»
Isabel K. hat nun ein Betreibungsbegehren eingereicht. Ihr Vertrag wäre erst am 15. November ausgelaufen.
Fall 3: Abends erschien die Vorgesetzte an der Haustür
Elena H. (Name geändert) kam Anfang September mit dem «Prizeotel» in Kontakt. Weil sie keinen in der Schweiz anerkannten Berufsabschluss hat, war die gebürtige Südamerikanerin auf der Suche nach einem Job, den sie ohne Ausbildung ausführen kann. Elena H. sagt, bei ihrem Spontanbesuch vor Ort sei ihr eine Stelle im Bereich Housekeeping in Aussicht gestellt worden. Sofern sie den Probetag erfolgreich absolviere.
«Der Probetag begann am 5. September morgens um sieben und dauerte bis abends um halb sieben», erzählt sie. Eine Mittagspause habe es nicht gegeben und danach zu fragen, habe sie nicht gewagt. Elena H. sagt, eine Entschädigung habe sie für diese elfeinhalb Stunden nicht erhalten. Nach vollendeter Schicht sei sie für den 6. September zu einem weiteren Probetag eingeladen worden. Dieser habe von 8 bis knapp 17.30 Uhr gedauert. Mit Mittagspause, aber erneut ohne Entschädigung. Als sie zu einem dritten Probetag eingeladen worden sei und ablehnte, habe sie einen Dreimonatsvertrag mit Startdatum am 6. September erhalten. Ihr Vertrag sah für ein 40-%-Pensum einen Brutto-Lohn von 1675 Franken und wöchentlich 17 Arbeitsstunden vor, was einem 100-%-Lohn von 4187 Franken brutto entspricht.
Beim Kündigungsdatum getrickst?
Fortan habe sie am Morgen eine Liste mit Aufgaben erhalten, die sie so schnell wie möglich abgearbeitet habe. Allerdings sei die Vorgabe von maximal 15 Minuten pro Zimmer nicht zu schaffen gewesen. Das, sagt Elena H., habe sie ihrer Vorgesetzten mehrfach zurückgemeldet. Diese wiederum habe sie angehalten, schneller zu arbeiten und habe ihr in letzter Minute zusätzliche Arbeiten übergeben wollen. Elena H. sagt, wenn sie dann auf ihr nahendes Schichtende hingewiesen habe, habe ihr die Vorgesetzte gedroht, «wegen Minusstunden» den Lohn zu kürzen. Elena H. hat ihre Stunden auf einem Zettel dokumentiert. Gemäss diesen Notizen variiert ihre geleistete Arbeitszeit zwischen acht und neun Stunden pro Tag.
Am Mittwochmorgen des 11. Oktober erhielt Elena H. mündlich die Kündigung, wie sie sagt. Mit der Begründung, dass man eine «flexiblere Person» suche. Zum Zeitpunkt der Kündigung war die einmonatige Probezeit bereits abgelaufen. Der Arbeitsvertrag war demnach nicht mehr innert sieben Tagen kündbar, sondern neu innert 30 Tagen zum Monatsende.
Am Abend dieses 11. Oktober, erzählt Elena H., habe es an ihrer Haustüre geklingelt. Draussen sei die Vorgesetzte gestanden und habe sie dazu gedrängt, die Kündigung zu unterzeichnen. «Ich fühlte mich unter Druck, also habe ich unterschrieben», sagt Elena H. Das Kündigungsschreiben war allerdings auf den 6. Oktober zurückdatiert (das Dokument liegt vor). Als Kündigungsfrist gibt das Hotel im Schreiben sieben Tage an.
Das sagt das Hotel zu den Vorwürfen
Es sei korrekt, dass Elena H. am 5. September zum unentgeltlichen Probearbeiten eingeladen worden sei, schreibt Bogdan Trifunovic. «Weshalb sie während ihrem Probearbeitstag keine Pausen eingelegt haben soll, entzieht sich unserer Kenntnis.» Man stelle den Mitarbeitenden Kaffee und einen Pausenraum zur Verfügung. Die drei Probetage begründet das Hotel damit, dass Elena H.s Leistungen sowohl am ersten als auch am zweiten Probetag «nicht genügend» gewesen seien. Nach dem dritten Probetag habe man ihr einen Arbeitsvertrag angeboten. Um sie für ihre Tätigkeit zu entschädigen, habe man den Vertrag auf den zweiten Probetag datiert.
Zum Arbeitstempo schreibt die Hotelleitung: «In unserem Hotel wird mit 30 Minuten Reinigungszeit pro Zimmer gerechnet. Dies liegt über der durchschnittlichen Zeit, welche Reinigungspersonal in Hotels in der Regel zur Verfügung gestellt wird. Der landesweite Durchschnitt liegt bei zirka 20 bis 25 Minuten pro Hotelzimmer.» Es könne daher nicht von einem branchenunüblichen Arbeitstempo ausgegangen werden.
Dass Elena H. nach Schichtende Zusatzaufgaben übertragen worden seien, weist das Hotel als «falsche Behauptung» zurück. Ebenso falsch sei, dass der Mitarbeiterin erst am 11. Oktober gekündigt worden sei. Irrtümlicherweise sei Elena H. an diesem Tag noch zur Arbeit erschienen, tatsächlich aber sei ihr am 5. Oktober – also in der Probezeit – mündlich gekündigt worden, was man mit Schreiben vom 6. Oktober 2023 noch schriftlich habe festgehalten wollen.
Elena H. bestreitet diese Version der Geschehnisse. Von einer angeblichen mündlichen Kündigung am 5. Oktober weiss sie nichts. Immerhin: Nachdem sie zunächst vergebens auf ihre Bezahlung wartete, erhielt sie am 26. Oktober den September-Lohn. Der Oktober-Lohn kam Mitte November. Bezahlt hat das Hotel Elena H. nur bis und mit 13. Oktober.