Zufluchtsort, Hochwacht und Reiseziel
900 Jahre Stallikon (3): der Uetliberg – der bekannteste Teil von Stallikon

Ausserhalb von Stallikon wissen die wenigsten, dass der Uetliberg Kulm zu Stallikon gehört. Die Siedlung gelangte im Frühmittelalter zur Kirchgemeinde Stallikon und blieb es auch, als die französischen Besatzer 1798 die politischen Gemeinden, die sogenannten Munizipalitäten, gründeten. Entscheidend dürfte gewesen sein, dass nicht die Stadt Zürich an Stallikon grenzte, sondern Albisrieden, eingemeindet 1913, und Wiedikon, eingemeindet 1893. Für die Stadt Zürich bestand deshalb 1798 kein Grund, an den alten Grenzen der Kirchgemeinden zu rütteln, und anlässlich der Eingemeindungen wäre es schwierig gewesen, plötzlich auch den Uetliberg als Stadtgebiet zu beanspruchen.
Grandiose Legenden
Seit dem Spätmittelalter entstanden Legenden um eine Burg oder gar ein Schloss auf dem Uetliberg, und dies in verschiedensten Epochen. Erst die archäologischen Ausgrabungen auf dem Uetliberg, die zwischen 1980 und 1989 stattfanden, weckten Zweifel an verschiedenen Theorien, beispielsweise an einer beständigen Siedlung auf dem Uetliberg seit der frühen oder mittleren Bronzezeit (2000–1300 v. Chr.). Unbestritten aber ist, dass der Uetliberg seit der Jungsteinzeit immer wieder begangen wurde und vielleicht in Kriegszeiten als Zufluchtsort diente. Ständige Siedlungen sind dagegen fraglich.
Aus der späten Bronzezeit (1300–800 v. Chr.) wurde die enorme Anzahl von etwa 40000 Keramikscherben auf dem Uetliberg gefunden. In diesem Zeitraum kann daher von einer namhaften Siedlung auf dem Uetliberg ausgegangen werden, die Frage ist nur, wie lange diese Bestand hatte, denn 500 Jahre sind eine lange Zeit. Von heute aus gesehen liegt die Reformation 500 Jahre zurück.
Die spätbronzezeitlichen Funde vom Uetliberg sind teilweise vergleichbar mit solchen aus gleichzeitigen Siedlungen am Zürichseeufer. Der Uetliberg könnte in der Spätbronzezeit daher eine Produktionsstätte für Keramik gewesen sein, aber auch Zufluchtsort und Hochwacht mit Sichtkontrolle über die Wasser- und Landwege dem Zürichsee entlang. Allerdings bestanden vorrömische Siedlungen oft nur für wenige Generationen.
Militärische und zivile Nutzung
Die erste Wallanlage auf dem Uetliberg stammt aus der Eisenzeit. Diese Erkenntnis gründet auf Holzkohleanalysen aus Pfostengruben, die zwischen 800 und 400 v. Chr. eingeschlagen wurden. Es ist allerdings unwahrscheinlich, ob der Uetliberg von der Bronzezeit bis zur frühen Eisenzeit, der Hallstattzeit, durchgehend besiedelt war. Eine Verteidigungsanlage deutet eher auf eine militärische Nutzung hin. Später, zwischen 500 und 250 v. Chr., scheint dann tatsächlich auch eine grosse zivile Anlage gebaut worden zu sein, eine sogenannte keltische Zentralsiedlung. Funde von Keramik, Münzen, Fibeln und Amphorenfragmenten deuten darauf hin.
Keltische Gräberfunde auf dem Uetliberg lassen auf eine starke soziale Differenzierung schliessen. Luxuswaren aus Italien und Griechenland wurden in grösserem Stil über die Alpen transportiert, was den Reichtum der eisenzeitlichen Oberschicht zeigt. Teile einer griechischen Trinkschale und eines Krugs aus dem späten 6. oder 5. Jahrhundert v. Chr. wurden auf dem Uetliberg gefunden. Aus der Römerzeit wurden Gefässe und eine Münze gefunden. Plausibel ist eine weiterhin militärische Nutzung, während die Bevölkerung die Nähe zum See bevorzugte.
Der Chronist Johannes von Winterthur berichtete in seinem 1348 abgeschlossenen «Chronicon» von einer Festung auf dem Albis, die 1268 von der Stadt Zürich unter Führung Rudolfs von Habsburg erobert und zerstört worden sei. Heinrich Brennwald und Aegidius Tschudi ergänzten diese Geschichte mit weiteren Details und nannten den Uetliberg das stärkste Schloss der Regensberger. Tschudi beschrieb gar eine Kriegslist, durch die die Burg erobert wurde – eindrücklich zu lesen, aber frei erfunden.
Die Legende der sogenannten Regensberger Fehde, die Tschudi ausführlich schildert, basiert auf einer Urkunde von 1267, die nebenbei einen bewaffneten Konflikt zwischen Zürich und Habsburg auf der einen Seite und den Freiherren von Regensberg auf der anderen Seite suggeriert. Der Name Uetliburg war bereits bekannt und wird in einer Urkunde aus der Zeit zwischen 1210 und 1217 erwähnt. 1464 erwarb die Gemeinde Albisrieden Rechte an der «Oetliburg uff dem Albis». Wäre die Uetliburg tatsächlich erobert worden, hätte dies wohl Spuren in Urkunden und Chroniken hinterlassen.
Im 16. Jahrhundert zeugten höchstens noch Ruinen von der Burg auf dem Uetliberg. Systematische Grabungen der 1980er-Jahre ergaben, dass die Spitze des Uetlibergs im Frühmittelalter (6. bis 9. Jahrhundert) sporadisch genutzt wurde. Belege für eine angebliche alemannische Herzogssippe im Frühmittelalter fehlen. Möglicherweise wurde der Uetliberg als Fluchtplatz genutzt, etwa während der Ungarneinfälle im 10. Jahrhundert. Befestigungsanlagen aus römisch-keltischer Zeit könnten noch immer Schutz geboten haben. Im 10. Jahrhundert scheint die Befestigungsanlage ausgebaut worden zu sein.
Paris–Uetliberg retour
Solange regelmässig Kriege zwischen Zürich und Schwyz ausgetragen wurden, blieb der Uetliberg als Hochwacht ein wertvoller militärischer Stützpunkt für Zürich. Nach dem Sonderbundskrieg und der Gründung des Bundesstaates Schweiz 1848 erübrigte sich diese Funktion. Doch in Vergessenheit geriet der Uetliberg deswegen nicht, im Gegenteil: 1875 wurde Uetliberg Kulm als bisher einzige Bahnstation in Stallikon eröffnet. Es war damals sogar möglich, ab Paris oder London ein Retourbillett nach Uetliberg Kulm samt Übernachtung im gleichzeitig eröffneten Grand-Hotel zu buchen. Damit wurde die Zeit eingeläutet, dass beim Uetliberg die touristische Nutzung im Vordergrund steht.