«Als Unternehmen lohnt es sich, in die Rekrutierung zu investieren»

Vor der Jubiläums-Berufsmesse: OK-Präsident Xavier Nietlisbach im Interview

Xavier Nietlisbach: «Die Berufsmesse liegt mir sehr am Herzen.» (Bild Thomas Stöckli)
Xavier Nietlisbach: «Die Berufsmesse liegt mir sehr am Herzen.» (Bild Thomas Stöckli)

Jugendliche aus 64 Unternehmen ­werden im Herbst in Bonstetten 61 verschiedene Lehrberufe vorstellen. Die Ämtler Berufsmesse wird zum 10. Mal durchgeführt. Für Xavier Nietlisbach wird es die letzte sein als OK-Präsident und Präsident des Ämtler Lehrstellenforums.

«Anzeiger»: 2017 haben Sie das Präsidium des Lehrstellenforums übernommen – was waren damals die Herausforderungen und wie hat sich die Situation seither geändert?

Xavier Nietlisbach: Das zeigt sich am Beispiel der Berufsmesse, die alle zwei Jahre stattfindet: Früher hatten wir zwar ein stabiles Gerüst an Betrieben, die immer mitmachen, darüber hinaus mussten wir jeweils im Januar, Februar, den Betrieben nachtelefonieren. Diesmal mussten wir einigen sogar absagen, um denen, die sich rechtzeitig angemeldet haben, den angemessenen Platz bieten zu können. Die Halle wird rappelvoll sein mit 64 Unternehmen und 61 verschiedenen Lehrberufen.

Das ist ein Zeichen, dass das OK in den vergangenen Jahren einen guten Job gemacht hat, aber auch, dass Ausbildungsbetriebe vermehrt um Jugendliche buhlen müssen.

Ja, wobei ich etwas spannend finde: Die Unternehmen, die sich in Berufsfindungsthemen eingesetzt haben, höre ich selten jammern, dass sie keine Lernenden finden. Wenn du dich aber nicht zeigst oder nicht selbst aktiv wirst, wird es schwierig. Wenn man dich nicht kennt, bewirbt sich auch niemand bei dir.

Sie sind bei Entsorgung und Recycling Zürich für die Ausbildung verantwortlich. Womit können Ausbildungsbetriebe punkten?

Das Wichtigste ist, eine gute Ausbildung anzubieten. Die Qualität und Professionalität entscheiden. Zum Erfolgsrezept gehört das Angebot von Schnuppertagen. Das ist eine einfache Möglichkeit, aufzuzeigen, was zur Ausbildung gehört und wie gut die Leute sind, die im Betrieb arbeiten. Entsorgung und Recycling tönt nicht von vornherein nach Traumjob, aber wenn Jugendliche bei uns schnuppern, finden sie es lässig und bewerben sich im Anschluss bei uns.

Ab wann sollten sich Jugendliche mit der Berufswahl befassen?

Ab dem Kindergarten (er lacht). Der Schwerpunkt liegt sicher in der zweiten Oberstufe. Dort wird auch an den Schulen viel gemacht. Dazu gehören der Berufsinfotag im Herbst sowie der Besuch im biz (Berufsinformationszentrum, Anm. d. Red.). Mal durch die Berufsmesse gehen und schauen, was wer so macht, kann schon in der ersten Oberstufe hilfreich sein. Wenn man danach nur schon weiss, was man sicher nicht will, ist das auch schon etwas. In der dritten Oberstufe geht es dann darum, zu wissen, wo man sich bewerben will.

Worauf sollten die Jugendlichen bei der Lehrstellenwahl achten?

Wie ist der Auftritt des Betriebs? Welches Bauchgefühl hast du, wenn du in die Firma läufst? Wenn du den Ausbildner nicht magst, sollte man einen anderen Betrieb wählen. Und wenn Mitarbeitende zum Znüni ein Bier trinken, würde mir das auch zu denken geben, nur schon von der Arbeitssicherheit her. Da sind wir wieder bei Qualität und Professionalität.

Mit dem Lehrvertrag ist es noch nicht getan. Die Lehrabbrüche nehmen zu. Woran liegt das und was sind die grössten Herausforderungen?

Das ist recht unterschiedlich – auch von Branche zu Branche. Während Corona fiel die Möglichkeit von Schnupperlehren weg. Ein Betrieb lernt potenzielle Lernende am besten kennen, wenn diese einige Tage mitarbeiten. Und auch die Jugendlichen bekommen so ein Bild, worauf sie sich einlassen. Als Unternehmen lohnt es sich, in die Rekrutierung zu investieren. Dazu gehört, genau hinzuschauen, und den Jugendlichen auch Zeit geben, sich zu entscheiden.

Die Jugendlichen investieren ihrerseits ihre Zeit in Schnupperlehren, oder um mal einen Informationsanlass zu besuchen, statt rumzuhängen oder Fussball zu spielen. Weiter braucht es Ehrlichkeit sich selbst gegenüber – und auch eine Portion Demut: Es muss nicht jeder Informatiker oder Mediamatikerin werden, es gibt auch tolle handwerkliche Berufe. Und man kann sich auch nach der Lehre noch weiterentwickeln. Kurz gesagt: Es braucht von beiden Seiten die Investition von Zeit.

Zurück zur Ämtler Berufsmesse: Da werden die Stände von Lernenden betrieben, inwiefern profitieren sie?

Sie sammeln erste Erfahrungen im Projektmanagement. Sie dürfen Verantwortung übernehmen und sollen einen Zeitplan einhalten können. Natürlich gelingt da nicht immer alles wunschgemäss, aber auch das gehört zum Lernprozess – und die Besucher merken in der Regel nichts davon.

Seit den ersten drei Durchführungen, 2005 in Hedingen, 2007 in Obfelden und 2009 in Affoltern, findet die Messe in Bonstetten statt, was zeichnet den Standort im Sportzentrum Schachen aus?

Vor allem die Infrastruktur: Die Lage am Bahnhof, die Dreifachturnhalle mit grossem Vorplatz, vom Schulareal entkoppelter Lastwagenzufahrt und ausreichend Parkplätzen. Wir bekommen die Lokalität gratis zur Verfügung gestellt und über die Jahre haben sich die Zusammenarbeit und die Raumplanung eingespielt.

Für Sie ist es die letzte Berufsmesse als Präsident des Lehrstellenforums – ist schon eine Nachfolge gefunden?

Ja, mein Nachfolger ist sich bereits am Einarbeiten. Er ist sehr gut vernetzt, muss aber im März nächsten Jahres noch an der GV offiziell gewählt werden.

Wird er als Lehrstellenforums-Präsident auch Ihre Nachfolge als OK-Präsident der Berufsmesse antreten?

Nein, fürs OK 2025 sind wir noch auf der Suche.

Was gilt es da alles zu organisieren?

Es braucht einen Projektleiter. Punkt. Es geht darum, mit einem erfahrenen, eingespielten OK eine Messe auf die Beine zu stellen. Dazu braucht es kein Berufsbildungs-Fachwissen.

Wann sind Sie selber erstmals mit der Berufsmesse in Berührung gekommen?

Als ich ganz frisch in der Berufsbildung war, habe ich sie als Besucher erlebt. Ich war beeindruckt, mit wie viel Enthusiasmus die Lernenden ihre Stände kreiert hatten. Das hebt unsere Messe ab von anderen, sie ist viel, viel persönlicher. Von Jungen für Junge. Die Jugendlichen vor und hinter den Ständen kennen einander teilweise oder das Unternehmen liegt bei der einen oder dem anderen auf dem Schulweg.

Für Sie ist es bereits die fünfte Messe im OK, davon die dritte als Präsident. Was sind die schönsten Erinnerungen?

Wenn es vorbei ist (er lacht). Schön ist es, die zwei Tage zu geniessen, auf die man ein Jahr lang hingearbeitet hat. Durch die Messe gehen, staunen, was entstanden ist, die angeregten Gespräche mitverfolgen, Teil davon sein zu dürfen. Das alles ist schön. Meine Kolleginnen und Kollegen im OK leisten jeweils Hervorragendes für den Bezirk und für die Jugendlichen. Da tut natürlich auch das positive Feedback von Schulen, Unternehmen und Messebesuchenden gut.

Auf was dürfen sich die Besucherinnen und Besucher der Jubiläums-Berufsmesse freuen?

Vom Konzept her ändert sich nichts. Speziell ist, dass wir diesmal am Freitagabend einen Netzwerk-Apéro durchführen für die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber. Als Gastredner wird Simon Billeter, ehemaliger Leader der Patrouille Suisse (Kunstflug-Staffel der Schweizer Armee, Anm.d.Red.), zum Thema Teambildung und Selektion referieren. Zudem wird ein ehemaliger Lernender eine Film-Dokumentation über die Berufsmesse erstellen.

Weshalb sollten auch Eltern der zukünftigen Lernenden die Messe besuchen?

Die Berufsfindung ist für die jungen Menschen eine wichtige, herausfordernde und oft auch überfordernde Zeit. Umso wichtiger ist es, sie als Eltern aktiv zu begleiten, auch mal Fragen zu stellen mit der Lebenserfahrung eines Erwachsenen. Die Messe bietet eine einfache Gelegenheit, viele Berufe und regionale Betriebe auf engem Raum zu erleben.

Was erhoffen Sie sich von der Jubiläums-Ausgabe?

In erster Linie, dass alles reibungslos funktioniert. Die Berufsmesse liegt mir sehr am Herzen. Sie ist ein einzigartiges Angebot und dem muss man auch Sorge tragen. Am Freitag werden wir in einem 90-Minuten-Turnus ständig rund 200 Jugendliche in der Halle haben. Und ich wünsche mir, dass auch am Samstag viele kommen, nur schon als Zeichen der Wertschätzung für die Leistung der jungen Menschen.

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