Kommt bald das Döner-Diktat?

Ein Antrag auf internationale Normierung des Döners sorgt für Unruhe in der Branche

Einmal mit allem ... der fertige Döner: Hauptsache, es schmeckt. (Bilder Brigitte Reemts Flum)

Einmal mit allem ... der fertige Döner: Hauptsache, es schmeckt. (Bilder Brigitte Reemts Flum)

Can Asaf vom Restaurant Stella in Affoltern bei der Arbeit.

Can Asaf vom Restaurant Stella in Affoltern bei der Arbeit.

Die Älteren unter den Leserinnen und Lesern erinnern sich noch gut an die Mitte der 90er-Jahre erlassene EU-Bananenverordnung. Dieses Regelwerk legte bis ins Detail die Standards für die Qualität von Bananen fest, welche innerhalb der EU gekauft und verkauft werden dürfen, und machte dabei auch nicht vor der Form und Länge der Früchte halt. Im Volksmund auch «Krümmungsverordnung» genannt, war die Krümmung dabei notabene nie Gegenstand der Bananenverordnung.

In der Schweiz, die kurz vorher den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum ziemlich knapp abgelehnt hatte, passt die Bananenverordnung natürlich bestens in das Narrativ vieler EU-Skeptiker. Regulierungswut, Bürokratie, fremde Richter – wir haben es ja gewusst und nicht einmal vor den Bananen machen die Bürokraten in Brüssel halt.

Döner – eine Migrationsgeschichte

Eine ähnlich dunkle Wolke zeigt sich jetzt wieder am Horizont. Welche Auswirkungen diese auch auf den Schweizer Markt haben könnte, ist noch nicht absehbar. Diesmal geht es um ein, zumindest bei unseren deutschen Nachbarn, noch emotionaleres Kulturgut als die Banane: den Döner. Denn aus deutscher Sicht ist der Döner Kebab (wörtlich: sich drehendes Grillfleisch) eine Erfindung der Ende der 1960er-Jahre in grosser Zahl angeworbenen türkischen Gastarbeiter. Insbesondere die Brottasche, in der der Döner heute serviert wird, entstand aus der Beobachtung heraus, dass die Deutschen, die es immer eilig haben, mittags gerne etwas «to go» konsumieren. Der internationale Siegeszug des Döners nahm also aus Sicht der deutschen Türken dort ihren Anfang und hat sich erst dann in der ganzen Welt weiterverbreitet und variiert.

Einmal alles ohne scharf

Die Fleischsorten, die Marinaden, die Brotzusammensetzung, die Gemüsebeilagen, die Saucen – der Fantasie bei der Zusammensetzung sind heute keinerlei Grenzen gesetzt. Es gibt Döner aus Hackfleisch oder aus geschichtetem Fleisch, aus Poulet, Lamm, Kalb, Rind. Es gibt Döner für Vegetarier und Veganer, und für Menschen, die auch beim Döner­essen einen gewissen Standard hochhalten, gibt es Döner aus Wagyu-Beef oder mit Trüffeln. Ebenso wie die Zusammensetzung variieren die Preise für Döner: In Deutschland kostet ein Döner zwischen sechs und acht Euro und angesichts der Preisexplosion wurde gerade eben ernsthaft eine «Dönerpreisbremse» für das Lieblings-Fast-Food diskutiert und von Bundeskanzler Olaf Scholz mit Verweis auf die freie Marktwirtschaft abgelehnt. Bei uns in der Schweiz kostet ein klassischer Döner zwischen 13 und 16 Franken, den teuersten Döner gibt es in Zürich, er kostet 91 Franken. Was genau man bekommt, wenn man mal «einmal alles ohne scharf» bestellt, kann also sehr unterschiedlich sein. Und so breit das Angebot, so gross auch die Toleranz gegenüber dieser Verschiedenheit: Hauptsache es schmeckt!

Der Standarddöner

Diesem bunten Treiben soll jetzt ein Ende gemacht werden. Und zwar beantragte die «International Döner Federation Türkei» im April bei der EU einen Schutz des Döners als «garantiert traditionelle Spezialität» und erhebt somit Anspruch auf den Döner. Der Verband findet, eine türkische Spezialität werde verhunzt, dem müsse Einhalt geboten werden. Zu den Hauptforderungen dieses Antrags gehören die Spezifikation des Fleisches, die Marinade und Zubereitung sowie der Zusatzstoffe. So dürfte für den Döner nur noch Fleisch von Lämmern oder mindestens 16 Monate alten Rindern verwendet werden, das Fleisch müsste in zwei bis fünf Millimeter dicke Streifen geschnitten werden, und zwar mit einem genau 55 Zentimeter langen Dönermesser, auch die Zusatzstoffe wie Salz oder Fett sind genau definiert. Sollte dieser Antrag durchkommen, müssen sich alle Döner-Produzenten in der EU an diese strengen Regeln halten. Zumindest wenn sie ihr Produkt «Döner» nennen wollen.

Wer hats erfunden?

Unsere Zuger Kirschtorte, der Tête des Moines oder die Saucisson Vaudois stehen unter eben dem Schutz, den sich die Türkei jetzt für den Döner wünscht. Ebenso wie die Schweiz ist die Türkei kein Mitgliedstaat der EU. Gleichwohl beziehen und liefern beide in die Länder der EU und daher gibt es Abkommen, die beiden Seiten Schutz garantieren. Zurück geht das auf ein 1992 implementiertes System, welches den Schutz und die Förderung traditioneller und regionaler Lebensmittel zum Ziel hat. Unterschieden wird hier zwischen «geschützter Ursprungsbezeichnung» (g. U.), bei der alle Produktionsschritte in einem Gebiet abgewickelt werden müssen. Ein Beispiel hierfür wäre «Allgäuer Bergkäse». «Geschützte geografische Angabe» bedeutet, dass nur ein Produktionsschritt (also Erzeugung, Verarbeitung oder Zubereitung) in der jeweiligen Region stattfindet, zum Beispiel Lübecker Marzipan. Und bei der «geschützten traditionellen Zusammensetzung» geht es um den Schutz eines traditionellen Herstellungsverfahrens, unabhängig von der Region (wie Serrano-Schinken). Für den Döner bedeutet dies: Herstellen könnte auch den Normdöner jedermann, solange die Standards eingehalten werden.

Deutschland auf den Barrikaden

Der türkische Antrag erreichte die entsprechenden Kommissionen im April. Während der Prüfung des Antrages gibt es eine dreimonatige Einspruchsfrist. Mehrere deutsche Interessengruppen haben dies bereits getan. Sie sind grundsätzlich der Meinung, dass der Döner in seiner heutigen Diversität nicht wirklich in der Türkei erfunden wurde. In Deutschland ist der Begriff «Döner-Kebab» ausserdem bereits heute geschützt. Als Döner Kebab darf nur geschichtetes Fleisch mit einem festgelegten Maximalanteil an Hackfleisch verkauft werden. Aus diesem Grund werden dort auch in vielen Restaurants «Döner-Spiesse» oder «Spiess nach Döner-Art» verkauft.

Falls aber der türkische Vorstoss durchkommt, würde das bedeuten, dass ein überwiegender Teil der heute unter «Döner» verkauften Produkte umbenannt werden müsste. Die Alternative wäre, sich den Vorgaben zu beugen. Dies würde einerseits die gesamte Döner-Produktion zur Umstellung zwingen, und andererseits würde der Döner deutlich teurer und wäre nicht mehr an die regionalen Geschmäcker angepasst. Teurer deshalb, weil der Döner dann ausschliesslich aus geschichtetem Fleisch aus Rind oder Lamm bestehen dürfte, statt aus dem heute weitgehend verwendeten, billigeren Hackfleisch. Ähnlich wie in Deutschland macht hier jeder, was er will, beziehungsweise was der Markt verlangt. Doch anders als in Deutschland gibt es keinen Interessensverband, der die Branche vertritt. 2016 gab es einen Vorstoss sich im «Döner Kebab Gewerbe Verband» zu organisieren, doch der Verband fand wenig Unterstützung in der Branche. Heute ist er laut Moneyhouse in Liquidation. Wenn die Verordnung im August wirklich kommen sollte, ist sie für die Schweiz rechtlich erst einmal nicht bindend. Sie könnte aber indirekte Auswirkungen auf Handel und Preise haben, insbesondere wenn Schweizer Produzenten Produkte aus der EU importieren möchten.

Meinungspluralismus bei den Wirten

Unterschiedlicher könnten die Meinungen nicht sein, wenn man mit betroffenen Wirten spricht. Osman Duman, Inhaber des «Stella» in Affoltern, «findet den Vorstoss sehr gut». Aus seiner Sicht fehlt in der Branche Kontrolle und durch die Standardisierung würde eine gewisse Qualitätssicherung stattfinden. Die stellvertretende Geschäftsführerin, Vanessa Luciani ergänzt: «Man weiss heute nicht, was drin ist. Und ich will ja auch wissen, was ich esse.» «Die Umstellung ist kein Problem», da letztendlich nur Anpassungen in der Produktion gemacht werden müssten. Für sie ändere sich eigentlich nur der Verkaufspreis: «Rindfleisch ist in der Schweiz teuer, der Preis geht klar hoch.»

Ganz anderer Meinung ist da Sultan Gencer, Co-Geschäftsführerin von «aLBistro» in Hausen. Sie findet, dass das «keine gute Idee ist, weil es verschiedene Geschmäcker gibt». Sie esse beispielsweise in der Türkei nie Kebab, weil sie den Geschmack von Lamm häufig zu intensiv findet. Ausserdem findet sie, dass durch die Standardisierung jede Entwicklung gebremst würde: «Heute fragen wir uns täglich: Was können wir noch besser machen?» Dieses Bemühen würde bei einem international standardisierten Rezept keinen Sinn mehr machen. Und Aydin Bitikci, heute Mitarbeiter bei «aLBistro» und vorher viele Jahre in Deutschland in der Branche, meint: «Seit 50 Jahren entwickeln sich die Rezepturen der Döner und jetzt möchte man den Einheitsdöner radikal durchsetzen. Das kommt zu spät.»

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