Der emotionale Wert der Dinge

Den Wert von Kleidungs- oder Schmuckstücken nicht in Franken messen

Martina Vraae ist professionelle Schneiderin mit Erfahrung im Bühnenbereich. Sie flickt Kleider und schneidert neue Modelle nach Mass. (Bilder Regula Zellweger)

Martina Vraae ist professionelle Schneiderin mit Erfahrung im Bühnenbereich. Sie flickt Kleider und schneidert neue Modelle nach Mass. (Bilder Regula Zellweger)

Avital Gur Cusenza designt unter dem Label «Purajoya Jewelry» Schmuck. Sie reinigt und repariert alten Schmuck und schafft aus Erbstücken neue Einzelstücke.

Avital Gur Cusenza designt unter dem Label «Purajoya Jewelry» Schmuck. Sie reinigt und repariert alten Schmuck und schafft aus Erbstücken neue Einzelstücke.

Ohrringe, die man von der geliebten Grossmutter geerbt hat, die aber weder zum eigenen Typ noch in die heutige Zeit passen – was tut man damit? Ein Kleidungsstück, das man getragen hat, bis es fadenscheinig wurde und an verschiedenen Stellen riss. Wie kann man es wieder zurückbekommen? Avital Gur Cusenza, Schmuckspezialistin, und Martina Vraae, Schneiderin, haben es sich zum Beruf gemacht, dass man aus der Mode gekommenen oder defekten Schmuck und unpassende oder kaputte Kleidungsstücke wieder mit Freude tragen kann.

Martina Vraae

Als Teenager war Martina Vraae begeisterte Balletttänzerin. Aus privaten Gründen wollte sie dieses Berufsziel aber nicht mehr weiterverfolgen. Welchen Beruf sollte sie nun wählen? Genäht hatte sie zu Hause schon immer gern. Sie entschied sich für Schneiderin – und als Theaterschneiderin war sie zwar nicht auf – aber immerhin hinter der Bühne. Sie erinnert sich gern an ihre Zeit am Schauspielhaus, als das Geld für Kultur noch lockerer floss. «Wir verarbeiteten beispielsweise wertvolle Stoffe von Weisbrod-Zürrer», erinnert sie sich. Ihr gefiel es, die kreativen Ideen von Kostümbildnern weiterzuführen und in die Realität umzusetzen.

Ihr Leben führte sie in deutsche Städte und schliesslich der Liebe wegen nach Dänemark. Heute lebt sie im ländlich-malerischen Hauptikon und hat sich in einem «Wöschhüsli» ein Nähatelier eingerichtet und nennt es heute «s’Nadelöhr».

Es begann mit Fastnachtskostümen

Als sie mit ihren beiden Kindern in Hauptikon lebte, realisierte das «Guggenzeinli» schnell, dass sie als professionelle Schneiderin hervorragend Fastnachtskostüme schneidern konnte. Rund um die Fasnachtszeit brannte das Licht im Atelier bis weit in die Nacht hinein. Es bereitete Martina Vraae Freude, effizient und doch perfekt Kostüme zu schaffen, die ihre Trägerinnen mit viel Spass trugen.

Bald kamen Nachbarn und Bekannte auch mit Kleidungsstücken zum Flicken oder zum Anpassen an veränderte Körpergrössen.

Gern fertigt die Schneiderin neue Kleidungsstücke an. Den Stoff bringen die Kundinnen immer mit, oft auch von einer Auslandreise. Martina Vraae berät gern, macht Offerten und sagt auch ehrlich, wenn sich eine Reparatur nicht lohnt. Denn zum Sparen lässt man sich heute keine Kleider mehr nähen – sie werden in Billiglohnländern für wenig Geld gefertigt und hier ab Stange gekauft.

Martina Vraae hat sich auch Erfahrungen im Brautkleidersektor geholt, nicht nur beim Theater. Im Moment arbeitet sie grade an einem Kimono, einem Erbstück, dessen Fäden vom Alter brüchig wurden, dessen Stoff in Farbe und Textur aber noch immer wunderschön ist. Es wird ein Weihnachtsgeschenk einer Mutter an ihren Sohn. Es ist mehr als ein Kleidungsstück, es sind Erinnerungen und Gefühle damit verwoben.

Avital Gur Cusenza

Avital Gur Cusenza hat einen ganz anderen Lebensweg als Martina Vraae. Sie lebt mit ihrem Mann in einer grossen Terrassenwohnung mit Blick über ganz Affoltern. Zum Schmuck kam sie auf Umwegen. Sie hat einen Master in Sozial- und Kommunikationswissenschaften und als Projektmanagerin begleitete und realisierte sie anspruchsvolle Projekte in der Wirtschaft. Das Organisieren und das Vernetzen von Spezialistinnen sind ihre Stärken. Diese nutzt sie mit ihrem Unternehmen Purajoya Jewelry. Sie designt Schmuckstücke und lässt ihre Modelle von Spezialisten im Knonaueramt realisieren. Sie bietet einen einzigartigen, lokalen Schmuck-Erneuerungsservice an. Der Fokus ihrer Dienstleistungen liegt auf Nachhaltigkeit: «Im Gegensatz zu grösseren Herstellern, die Schmuck für Reparaturen und zum Vergolden sogar ins Ausland schicken, werden bei mir alle Arbeitsschritte lokal durchgeführt. Egal, ob es sich um Reparaturen oder das Beschichten, beispielsweise Vergolden handelt – ich bin stolz darauf, dass alles vor Ort erledigt wird. Selbst die recycelten Edelmetalle können aus unserer Region bezogen werden.»

Von H&M bis Cartier

Nicht nur unbezahlbare Erbstücke und teure echte Schmuckstücke sind bei ihr in guten Händen, wenn es ums Reinigen, Polieren, Reparieren, Vergrössern oder Verkleinern oder ums Umarbeiten geht. Sie ist sich nicht zu schade, auch Modeschmuck zu reparieren oder zu veredeln.

Bei Avital Gur Cusenza kann man auch Schmuckstücke, die eine Allergie auslösen, beschichten lassen. «Die Haut ist unser grösstes Organ, zu dem wir Sorge tragen sollen. Schadstoffe aus Schmuckstücken, beispielsweise Nickel, können über die Haut in den Körper gelangen», erklärt sie.

Für ihre Schmuckstücke und zum Beschichten verarbeitet sie ausschliesslich Gold, Rotgold, Silber und Weissgold. Sein reines Weiss verdankt Weissgold der Rhodiumschicht, die auf die Goldlegierung aufgebracht wird. Avital Gur Cusenza weiss eine Menge über Edelmetalle und Edelsteine sowie über deren professionelle Verarbeitung zu Schmuckstücken. Dazu hat sie tagelang Spezialisten bei der Arbeit über die Schulter geschaut, sich in Kursen und mit Lektüre weitergebildet.

Das Aufarbeiten und Verwandeln alter Schmuckstücke liebt sie ganz besonders. «Die Leute wissen gar nicht, was alles möglich ist und vielleicht haben sie auch nicht die Kreativität, besonders ästhetische Lösungen zu finden.» Ein einzelner, geerbter Ohrring von besonderer Schönheit und verbunden mit Erinnerungen an einen lieben Menschen lässt sich beispielsweise auf einen Ring montieren oder zu einem Anhänger verarbeiten.

Avital Gur Cusenza und Martina Vraae sind sehr unterschiedliche Frauen. Gemeinsam ist ihnen das Anliegen, geliebte Dinge nicht einfach wegzuwerfen. Auch wenn das etwas kostet. Denn den Wert von Dingen soll man nicht ausschliesslich in Franken messen.

Weitere Informationen: purajoya.ch

und www.snadeloehr.ch

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