Ein neuer Anfang
Nach zweieinhalbjähriger Pause ist der Stalliker Deviprasad Rao als Künstler zurück
«Ihr Name war Savitha, eine meiner innigsten Freunde aus meiner Kindheit. Immer, wenn Traurigkeit oder Frustration mich umhüllten oder ich mich nach meiner Mutter sehnte, die Hunderte Meilen entfernt lebte, suchte ich ihre Nähe.»
Savitha ist eine Kuh, oder viel mehr war sie es. Längst lebt sie nicht mehr, aber in den Kindheitserinnerungen von Deviprasad (Devi) Rao, der 1970 in Indien geboren wurde und dort im Südwesten auf dem Landgut seines Grossvaters aufwuchs, nimmt sie bis heute eine prägende Rolle ein.
«Von ihr lernte ich eine tiefgreifende Wahrheit: Wir benötigen nicht immer einen anderen Menschen, um uns zu erheben. Manchmal kann Trost und Inspiration von den unschuldigsten Wesen kommen.»
Devi Raos Erinnerung an Savitha ist eine der Kurzgeschichten, die neu in der Schul- und Gemeindebibliothek Stallikon zu lesen sind; ergänzend zu seiner Ausstellung, die insgesamt 36 Bilder umfasst und heute Freitag eröffnet wird. «Neuanfang» hat er sie getauft.
Ein ebensolcher Neubeginn, eine gemeisterte Sollbruchstelle in seinem Leben, führte ihn vor 24 Jahren zur Kunst. Eine private Krise, so erzählt er, habe ihn damals stark belastet. «In der Malerei fand ich eine Art der Meditation.» 2002 reiste er nach Barcelona, angezogen von den Werken von Joan Miró und Pablo Picasso. Die Bilder, die er ursprünglich sehen mochte, bekam er zwar nicht zu Gesicht, doch in Barcelona, so erzählt er es heute, fasste er einen Entschluss, der sich als lebensprägend erwies: Er beschloss, seine Arbeit als PR-Redaktor aufzugeben und Künstler zu werden.
Filigrane Einzelteile werden ein Ganzes
Seither ist viel passiert. Bereits 2003 waren seine Werke in New Delhi in einer Einzelausstellung zu sehen. Weitere Ausstellungen folgten, zunächst in verschiedenen Regionen Indiens, später in Finnland, London oder Frankreich. Von 2014 bis 2015 zeigte er sein Schaffen in Lissabon im Museu do Oriente; 58 seiner Werke gehören inzwischen zur Dauerausstellung. Seit 2018 wohnt Devi Rao mit Frau und Sohn in Stallikon. Seither hat er auch zweimal im Bezirk Affoltern ausgestellt; zuletzt im Frühjahr 2022.
Dass Devi Raos neue Ausstellung nun, zweieinhalb Jahre später, im Zeichen eines Neuanfangs steht, hat zwei Gründe; einen körperlichen und einen mentalen. «Seit ich in der Schweiz lebe, hat sich meine Kunst weiterentwickelt», sagt er, «sie ist detaillierter geworden.» Tatsächlich sind auf seinen Bildern filigranste Einzelteile zu erkennen, zumindest auf den zweiten Blick. Auf den ersten scheinen sich all diese Pünktchen oder Kringelchen zu einem harmonischen Ganzen zusammenzufügen.
Die Technik dazu hatte er bereits im Jahr 2010 entwickelt, neu hingegen war, dass er sie ab 2019 mit Acrylfarben auf grossflächige Leinwände brachte statt wie bisher mit Wasserfarben auf Papier. «Für die Details setze ich Arm und Schulter ein und verharre teils minutenlang in derselben Position», erzählt er.
Eine Kunsthochschule hat Devi Rao nie besucht. Er ist Autodidakt. «Meine Bilder sind nicht intellektuell», sagt er. Es war gerade die fantasievolle Simplizität, die ihn an den Werken von Joan Miró so tief berührt hatte. «Ich versuche, mir eine ähnliche, kindliche Unbefangenheit zu bewahren und in meinen Bildern zum Ausdruck zu bringen. Ohne sie kann ich nicht malen», sagt er. «Es wäre nicht mein Stil, nicht ich.»
Doch gerade in den Zustand dieser beseelten Leichtfüssigkeit fand er zuletzt kaum noch. Im Sommer 2023 hatte er sich bereit erklärt, für die 900-Jahre-Feier von Stallikon das OK-Präsidium zu übernehmen. Diese Aufgabe lastete ihn komplett aus, sodass für seine eigene Kunst keine Ressourcen mehr übrig waren. Hinzu kam, dass die körperlich anspruchsvolle Arbeit an der Leinwand ihren Tribut forderte: Nachdem er an der Schulter immer öfter mit Schmerzen zu kämpfen hatte, wurde eine Operation für ihn unausweichlich.
Nun, nach einem geglückten Eingriff und vier Monate nach der Jubiläumsfeier von Stallikon, ist Devi Rao als Künstler zurück. Es ist sein Neuanfang.
«Neuanfang» – Ausstellung von Deviprasad Rao, Schul- und Gemeindebibliothek Stallikon, Massholderenstrasse 3. Montag bis Freitag, 15 bis 19 Uhr, und Samstag, 10 bis 12 Uhr. Die Ausstellung dauert bis 23. November. Finissage am 22. November, ab 19.30 Uhr