Knall beim Frauenteam des FCA
Im Sommer 2021 sind die Frauen des FC Affoltern in die 1. Liga aufgestiegen. Nun hat sich das Team aufgelöst. Zuvor hatten sich Spielerinnen von ihrem Trainer mehrfach sexuell belästigt und vom Vorstand nicht ernstgenommen gefühlt.
In den vergangenen Monaten schien beim Frauenteam des FC Affoltern alles nach Plan zu laufen. Mit ihrem Sieg gegen den FC Veltheim standen sie Mitte Juni, und damit bereits zwei Spielrunden vor Schluss, als Tabellensiegerinnen fest. Es gelang der Aufstieg von der zweiten in die erste Liga. Für die Frauen war dieser Schritt historisch: Um den Tabellensieg und den Aufstieg hatte man zuvor noch nie gespielt.
Einen wesentlichen Anteil an diesem Erfolg hatte Trainer A. Der ehemalige Nati-B-Spieler, hatte sich im Frühling 2020 auf die freie Trainerstelle gemeldet. Das Team stellte ihn ein, und es lief gut: In der Meisterschaft punktete man zahlreich, nach der Vorrunde führten die FCA-Frauen die Tabelle mit einem komfortablen Vorsprung an. In der Rückrunde holten sie mit dem Sieg im Juni die entscheidenden drei Punkte.
Bei einem Trainingsbesuch des «Anzeigers» im August 2021 lobten mehrere Anwesende die Trainerqualitäten von A. Ihm gelinge es gut, die Spielerinnen zu motivieren. Die Trainings seien zwar streng, aber lehrreich, und deshalb sehr gut besucht. Die Stimmung wirkte an jenem Abend positiv aufgeladen. Immer wieder feuerte er sie mit Zurufen an. Bei einer Koordinationsübung kommentierte er, da sehe man nun, wer samstags in der Disco sei. Einer Spielerin rief er zu, sie sei ja «beweglich wie ein junges Reh». Der Umgang wirkte vertraut und locker.
Abseits des Trainingsplatzes sagte der 63-Jährige damals, es sei eine Gratwanderung, als Mann ein Frauenteam zu trainieren. Wie viel Spass, Körperkontakt – Nähe – liegt drin? Er deutete damit just jenes Spannungsfeld an, das ihm nun zum Verhängnis geworden ist.
Herzchen-Smileys und Träume
Am 15. Februar veröffentlichte der Vorstand des FC Affoltern auf seiner Website ein Communiqué, in dem die sofortige Auflösung des FCA-Frauen-Teams bekannt gegeben wurde. Als Grund für den Knall war von «unüberbrückbaren Differenzen» und «Vorkommnissen mit dem Trainer» die Rede. Welcher Art diese Vorfälle waren, zeigte sich kurz darauf auf mehreren Portalen. Watson.ch, Blick.ch oder das Fussballportal fupa.net zitierten aus Chat-Verläufen, die es zwischen Trainer A. und mehreren Spielerinnen gegeben hatte.
Die Screenshots, die auf einem der Portale aufgeschaltet sind, liegen dem «Anzeiger» vor. Einer Frau bot er demnach an, ihren Bluterguss herauszumassieren, einer anderen riet er, den Trainingsanzug eine Nummer grösser zu bestellen, weil dieser sonst «in den Schritt rutsche». Einer dritten schickte er animierte Tier-Piktogramme mit Herzchen-Augen und schrieb hinterher, da sei er «aber so was (von) auf die falsche Taste gekommen». Als er derselben Spielerin schrieb, dass er sehr oft an sie denke und von ihr träume, zeigte diese sich überrascht: «(...) ich weiss auch nicht, was ich auf so was antworten soll. Ich möchte einfach Fussball spielen, nicht mehr und nicht weniger.»
A. bestreitet die Inhalte der Chatverläufe nicht. Als Avancen mochte er seine Nachrichten indes nicht verstanden wissen. Der irritierten Spielerin antwortete er: «Leider wird bei mir zu oft vieles falsch verstanden!» Im Gespräch mit dem «Anzeiger» sagte A., er habe nie sexuelles Interesse an einer Spielerin gehabt, vielmehr habe er einfach seine Gedankengänge offen mitgeteilt. Seine Grenze liege diesbezüglich «wohl an einem anderen Ort». Für ihn habe das Ganze «nicht die Relevanz, die es vielleicht für die Spielerinnen hatte». Er sei «halt ein Plapperi».
Andere Vorstellungen davon, was in einer professionellen Trainer-Spielerinnen-Beziehung angemessen ist, dürften mitverantwortlich sein, dass A. sein Verhalten auch nach Zurechtweisungen nicht änderte. Nur zwei Wochen nach seinem Amtsantritt hatte er einer Spielerin sinngemäss geschrieben, wenn sie während des Trainings eine Sonnenbrille trage, sehe er ihre schönen Augen nicht. Daraufhin hatte sich das Team beraten und ihm eine Verwarnung ausgesprochen. Im Verlauf der Monate kam es zu einer zweiten Verwarnung. Der Vereinsvorstand wurde über diese Vorfälle nicht informiert.
Auf die Frage, warum er die gesteckten Grenzen nicht akzeptiert habe, sagte A. gegenüber dem «Anzeiger», er habe sich angestrengt, doch er habe seine Äusserungen nicht lassen können.
Das Fass zum Überlaufen brachte ein Vorfall, der sich kürzlich nach dem Training zugetragen hat. Demnach soll A. einer Spielerin angeboten haben, ihn kostenlos nach Las Vegas zu begleiten – man müsste einfach das Zimmer teilen. A. bestätigt die Unterhaltung. Er sagt, das Angebot sei «bloss ein Spass» gewesen. Die Spielerin meldete die Angelegenheit der Team-Kapitänin. Diese konfrontierte A., woraufhin dieser zurücktrat.
Ringen um den richtigen Wortlaut
Dass es nach dem jüngsten Vorfall zum Rücktritt des FCA-Frauen-Teams kam und dass die ganze Geschichte nun medial ausgetragen wird, wirft ein Schlaglicht auf das Verhältnis zwischen der Mannschaft und ihrem Verein.
Nach dem jüngsten Vorfall mit dem Trainer informierte die Team-Kapitänin den Vorstand des FC Affoltern. Während der Verein in einem Communiqué schreibt, er habe umgehend reagiert, mit den Involvierten Gespräche geführt, die Sachlage geklärt und die Vorkommnisse der Swiss Sport Integrity-Stiftung gemeldet, fühlten sich die Spielerinnen von der Vereinsspitze zunächst nicht ernstgenommen. Stattdessen hätten sie sich Vorwürfe anhören müssen. Der Trainer sei in Schutz genommen worden.
Als der Vorstand die Frauen zu einem klärenden Gespräch einlud, war für diese bereits zu viel Glas zerbrochen: Sie schlugen das Angebot aus, stattdessen gaben sie fast geschlossen ihren Rücktritt aus dem FC Affoltern bekannt. Als kurz darauf im ersten Communiqué von «unüberbrückbaren Differenzen» und «Vorkommnissen mit dem Trainer», nicht aber von sexueller Belästigung die Rede war und auch in einem zweiten offiziellen Statement ein entsprechender Wortlaut fehlte, entschieden sich die Frauen zum Schritt an die Öffentlichkeit.
Althergebrachte Männer-Privilegien
In seinen offiziellen Stellungnahmen schrieb der Vorstand, «dass es mit den Frauen 1 in den letzten Jahren einige vereinspolitische Meinungsverschiedenheiten gab», betonte indes «mit grossem Nachdruck, dass die Frauen- und Juniorinnen-Abteilung ein fester Bestandteil des Vereins sind und sein sollen.» Demgegenüber fühlten sich die Frauen, wie sie sagen, in der Vergangenheit «eher geduldet als gewollt».
Seit jeher musste das Team Frauen 1 den üblichen Mitgliederbeitrag beisteuern, während den Männern aus dem Team Herren 1 die Vereinsgebühr erlassen wurde. Zum Vergleich: Die Damen spielten damals in der zweiten Liga, die Herren in der dritten. Bestrebungen seitens der Frauen, diese Praxis zu ändern, waren zunächst nicht erfolgreich. Änderungen gab es erst, als die Frauen von der zweiten in die erste Liga aufstiegen. Seither bezahlen beide Teams denselben Betrag.
Der Vorstand betonte auf Anfrage, man habe sich in der Vergangenheit für mehr Gleichheit eingesetzt. Neben der Gleichstellung der Mitgliederbeiträge für die Frauen 1 und Herren 1 habe der Vorstand es begrüsst, dass eine Frau des Teams vorübergehend in die Vereinsleitung gekommen sei. Ausserdem wurden die Frauen für den Trainings- und Spielbetrieb von auswärtigen Plätzen zurück auf die Sportanlage Moos geholt.
«Stimmt», sagen die Frauen. Bei der Platzeinteilung seien sie trotz 1.-Liga-Status allerdings noch nach den Junioren und den Senioren-Mannschaften berücksichtigt worden.
Ohne wiederholtes Insistieren habe ihnen der Vorstand kaum je etwas zugestanden. Neue Trainingsutensilien, neue Trikots nach fünf Jahren in den alten und der Wunsch, auch in Affoltern zu trainieren: Jedes Anliegen hätten sie sich hart erkämpfen müssen.